Wieduwilts Woche

Streit um Wadephul Geht Merz mit einem Undiplomaten ins Wahljahr 2026?

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Johann Wadephul. Wenn ein CDU-Minister die Schmerzpunkte von AfD-Anhängern übergeht, stärkt er die Rechtsextremen.

Johann Wadephul. Wenn ein CDU-Minister die Schmerzpunkte von AfD-Anhängern übergeht, stärkt er die Rechtsextremen.

(Foto: IMAGO/NurPhoto)

Es ist Sitzungswoche und in Berlin jagt ein Beschluss den nächsten, von Standortförderung bis zur Produktsicherheit. Aber das bekommt kaum jemand mit - denn nach dem wochenlangen "Stadtbild"-Feuerwerk dreht sich nun alles um Äußerungen des Außenministers.

Die Erzählung, Friedrich Merz’ Regierung bringe nichts voran, bekommt gerade unnötiges Futter. Der Befund des Bundesinnenministers Alexander Dobrindt, die "Migrationswende" zeige Wirkung, versickert. Wieder geht es um vergurkte Kommunikation - und wieder geht es im Kern um Empathielosigkeit.

Empathielosigkeit? Außenminister Johann Wadephul badet doch in Lob der Grünen, weil er sich empathievoll gegenüber potenziellen syrischen Heimkehrern gezeigt hat! Er sagte bei einem Besuch vor Ort im verwüsteten Harasta, Syrien sehe so schlimm aus, da könnten "kaum Menschen richtig würdig leben". Was, wenn ich die TV-Bilder vom intakten Prenzlauer Berg aus betrachte, wohl stimmt.

"Schlimmer als Deutschland 1945"

Gemeint hatte Wadephul lediglich freiwillige Rückkehrer, nicht Straftäter, doch das ging in der Debatte unter - Straftäter wolle man bald abschieben, sagte Wadephul, insofern bestand tatsächlich jene Regierungseinigkeit, die der Bundeskanzler kurz darauf beschwor.

Wadephul erlaubte sich keine Empathielosigkeit gegenüber Syrern oder anderen Migranten. Er erlaubte sich eine gegenüber den eigenen Landsleuten, kurze Zeit später, als er in der Unionsfraktion das Wort ergriff. Da sagte er: "Syrien sieht schlimmer aus als Deutschland 1945."

Der vermeintliche Undiplomat ist ein zugewandter Mensch, er wird Harasta im November 2025 plastischer vor Augen haben als Dresden, Hamburg, Köln des Jahres 1945. Dass eine solche Gegenüberstellung unsinnig ist, liegt allerdings auf der Hand: Wie vergleicht man das? Anhand der zerstörten Häuser? Funktionierender Telefonleitungen? Geht es um Quadratmeter verbrannter Erde oder Kubikmeter voll Schutt?

Das Problem ist ein anderes: Undiplomat Wadephul relativierte mit dem Weltkriegsvergleich ein Problem, aus dem der Hauptgegner der CDU, die AfD, regelmäßig Profit zieht. Die AfD ist nämlich nicht nur in Teilen rechtsextrem, sie ist auch revisionistisch.

Warum ist die AfD so stark?

Immer wieder probieren besonders Vertreter des formal aufgelösten "Flügels" um Björn Höcke und andere Kräfte der "Neuen Rechten", Wehrmachtsverbrechen zu relativieren, indem sie die Opfer auf deutscher Seite übertreiben. Dieser Teil des Rechtsextremismus stemmt sich gegen den angeblichen "Schuldkult" und betreibt damit eine Enttabuisierung, die verfassungsfeindlicher Politik den Weg bereiten kann, etwa der Remigration.

Warum ist die AfD so stark, warum kommt die Union nicht vorbei? Ich kann die Frage nicht mehr hören, aber sie steht immer wieder im Raum. Zum Teil ist die Antwort dieselbe, wie für alle populistischen Bewegungen rund um den Globus, von Eric Zemmour über Ron DeSantis bis zu Björn Höcke. Weil ein Teil der Bevölkerung nicht global denkt, sondern national, nicht erinnerungskulturell, sondern revisionistisch. Diesem Teil sind die eigenen Leute näher als jene in Syrien.

Den derzeit etwa 26 Prozent AfD-Anhängern im Bund und vor allem jenen 40 Prozent in Sachsen-Anhalt stößt Wadephul mit seinem Weltkriegsvergleich doppelt vor den Kopf. Dort eine CDU, die sich vermeintlich mehr um syrische Rückkehrer sorgt als um die eigenen Landsleute. Und hier eine AfD, die ihre Anhänger in der Rolle der Zukurzgekommenen stärkt. Es geht im "Nazi"-Gerufe bisweilen unter, aber die stärkste Waffe der AfD ist nicht Hass, sondern ihre demonstrative Deutschenliebe.

Haltung, Haltung, Haltung!

Die AfD hat die offene Flanke sofort genutzt: Alice Weidel spricht von Respektlosigkeit, Wadephul habe "den Fleiß und die Aufopferung der Nachkriegsgenerationen mit Füßen getreten". Höcke erinnert an "14 Millionen Vertriebene", die nicht geflohen seien, sondern in ein "zerstörtes Restdeutschland" zurückkehrten.

Aber darf man auf Befindlichkeiten von AfD-Anhängern überhaupt Rücksicht nehmen? Ist das nicht ein Kotau vor den Rechten? So sehen es derzeit viele vor allem eher linke Stimmen. Es scheint eine generelle Linie zu sein, auf den Wunsch der Mehrheit nach einer Politik rechts von der Ampel mit Trotz zu reagieren: Jetzt erst recht! Kante zeigen!

So marschierte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Wiebke Esdar, auf einer Demo gegen ihren Bundeskanzler (und dessen "Stadtbild"-Formulierung). Ihre Kollegen in der Unionsfraktion reagierten mit Empörung. Haltung vor Zusammenhalt, so lautet offenbar das Motto.

Mit Undemokratie gegen die AfD

Die Haltung ist wohlmeinend, die Ergebnisse verheerend. In Dortmund wollte eine SPD-Politikerin einen Ratsbeschluss herbeiführen, durch den eine Mitwirkung der AfD ausgeschlossen würde. Die Kommunalaufsicht stellte fest: Das verstößt gegen Verfassungsrecht. Also: Wer ist denn nun eine Gefahr für die Demokratie?

Obwohl die AfD auf Rekordniveau verharrt und im kommenden September die Sachsen-Anhalt-Wahl die Republik auf den Kopf stellen könnte, macht man weiter wie bisher - und manchmal auch ein wenig mehr: In Hamburg-Othmarschen wurde in dieser Woche das Auto des AfD-Politikers Bernd Baumann angezündet, die Antifa soll sich mit einem Schreiben dazu bekannt haben.

"Bildet ein, zwei, drei, viele Hammerbanden!", heißt es darin. Die Öffentlichkeit blieb recht ungerührt, als ginge es bei "Hammerbande" um Teambuilding-Maßnahmen bei Obi und nicht um linksextreme Gewalttäter. Der AfD-Typ wird’s schon verdient haben, schienen viele zu denken.

Emotional verständlich, strategisch falsch

Je größer und bedrohlicher der Rechtsextremismus in Deutschland wird, desto unerbittlicher reagieren Linke. Das ist emotional verständlich, aber es ist strategisch kurzsichtig. Der Schlüssel zu gelungener Kommunikation ist Empathie, nicht Härte.

Wenn ein CDU-Minister die Schmerzpunkte von AfD-Anhängern übergeht, stärkt er die Rechtsextremen. Wenn ein CDU-Kanzler die Schmerzpunkte von Migranten übergeht, verliert er den Koalitionspartner. Wenn niemand mehr ans große Ganze denkt, steht das Ganze vor dem Aus. An Standortförderung und Produktsicherheitsgesetz werden sich Menschen in Sachsen-Anhalt an der Wahlurne nicht erinnern - an Wadephuls Weltkriegsvergleich schon eher.

Um das zu erkennen, wird Merz' Empathie ausreichen: Sein Außenminister ist ein Risiko.

Quelle: ntv.de

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