EU-Gipfel vertagt Flüchtlingspolitik "Afrika leidet vor unserer Haustür"
25.10.2013, 20:11 Uhr
Täglich spielen sich vor Lampedusa Dramen ab. Gerade erst rettet die italienische Marine mehr als 700 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer. Aber nicht immer geht die Fahrt in einem seeuntauglichen Boot so glimpflich aus. Doch die Hunderte Toten der letzten Monate hält die Flüchtlinge nicht davon ab, Richtung Europa zu drängen. Die EU muss eine Lösung finden - und vertagt das Thema. Woher rührt die Ratlosigkeit der Politiker?
Oft seien es aktuelle Ereignisse, die die Tagesordnung bei EU-Gipfeln bestimmten, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Neben der NSA-Affäre handelt es sich dabei dieses Mal um die Flüchtlingsmisere im Mittelmeer: "Eine Öffnung der EU für mehr legale Einwanderung steht vor dem Problem, dass dies Wasser auf die Mühlen rechtsextremer und populistischer Parteien in Europa wäre. So wurde die Grundsatzdebatte über die Asylpolitik auf später vertagt, was eine Art und Weise ist, die allgemeine Ratlosigkeit zu bemänteln. Man kann das als Versagen beschimpfen; im Grunde ist es aber nur ehrlich."
Die Stuttgarter Zeitung ist enttäuscht über den Aufschub bei einem so drängenden Problem wie der Flüchtlingspolitik: "Kein Wort von Verteilungsschlüsseln, legalen Einwanderungsmöglichkeiten oder der Aufnahme einer relevanten Anzahl syrischer Bürgerkriegsopfer. Um jene Fragen, welche die Flüchtlingsproblematik in die Mitte Europas bestimmen, haben die EU-Staaten wieder einen großen Bogen gemacht. Im Abstand weniger Tage ertrinken Menschen. Doch der Gipfel vertagt die Bemühungen, ihnen zu helfen, auf Dezember - und eine grundlegende Debatte auf Juni nächsten Jahres. Die Staats- und Regierungschefs haben ihr Recht verwirkt, um die Toten von Lampedusa zu trauern."
Auch die Frankfurter Rundschau kann ihre Unzufriedenheit nicht verbergen: "Die Themen reichten von der digitalen Wirtschaft über die Bankenunion bis zu den Flüchtlingen im Mittelmeer. Eine bunte Themenvielfalt also - mit einer zusätzlichen Ereigniskarte: dem Spähangriff. So läuft das künftig: Europa arbeitet eine Aufgabenliste ab. Das ist ein bisschen wenig als Unterbau für das europäische Projekt. Zu spüren ist diese Seelenlosigkeit an der Flüchtlingspolitik. Schiffe der Grenzagentur Frontex will Europa schicken, man preist die Drohnen des Grenzüberwachungssystems Eurosur. Das zeigt die Schwäche von Europas neuer Agenda: Sie ist allein auf Wirtschaftlichkeit und Effizienz ausgerichtet. Aus dieser ökonomistischen Sicht haben die Flüchtlinge - scheinbar - wenig zu bieten. Sie fallen durch Europas Effizienzraster. Deshalb müssen sie draußen bleiben."
"Europa ist einfach noch nicht bereit, sich seine Jahrhundertschuld gegenüber Afrika einzugestehen. Einem Kontinent, der durch Sklaverei, Kolonialismus, Stellvertreterkriege, umweltzerstörenden Raubbau und unfaire Handelsbeziehungen systematisch ruiniert worden ist", kommentiert die Nordsee-Zeitung aus Bremerhaven. "Die Flüchtlingsströme wird diese Verweigerung nicht aufhalten. Ebenso wenig wie Patrouillenboote, Razzien und Ausweisungen. Afrika leidet vor unserer Haustür. Halten wir die Tür zu, kommen die Notleidenden eben durchs Kellerfenster herein."
Quelle: ntv.de