Griechenland vor dem Referendum "Wir haben zu viel über Geld gesprochen"
01.07.2015, 22:43 Uhr
Alexis Tsipras hält an dem Referendum über den Spar- und Reformkurs fest und empfiehlt den Griechen mit "Nein" zu stimmen. Damit ist er für viele der Buhmann und die Presse analysiert, wann im Griechenland-Debakel der entscheidende Fehler begangen wurde.
Athen hält an dem für kommenden Sonntag geplanten Referendum über den Spar- und Reformkurs fest und empfiehlt dem griechischen Volk mit "Nein" zu stimmen. In einer Fernsehansprache fordert der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras von den Gläubigern: "Die Erpressung muss aufhören". Ein mehrheitliches "Nein" in der Volksabstimmung könnte seine Position in den weiteren Verhandlungen stärken. Die deutsche Presse ist sich uneins darüber, wann in dem Trauerspiel um Griechenland der entscheidende Fehler begangen wurde. Alexis Tsipras ist allerdings ein gern genannter Buhmann.
Die Neue Osnabrücker Zeitung sieht den griechischen Ministerpräsidenten vollends gescheitert. "Während es vor den Banken unter mittellosen Rentnern zu Tumulten und Streit kommt, versucht Ministerpräsident Alexis Tsipras zu retten, was nicht mehr zu retten ist: Das Vertrauen der europäischen Partner und der Geldgeber in die Links-Rechts-Koalition in Athen ist so tief erschüttert, dass eine Einigung mit den gegenwärtigen Akteuren kaum mehr möglich scheint." Sie vermutet, dass Politiker vieler europäischer Hauptstädte insgeheim darauf hoffen, dass "sich Tsipras am Sonntag bei der Volksabstimmung über die Reformvorschläge eine blutige Nase" holt. Der Weg könne dann frei werden für Neuwahlen oder eine Regierung der nationalen Einheit.
Neuwahlen nach einem "Ja" im Referendum am Sonntag prophezeit auch das Handelsblatt und sieht darin eine mögliche Lösung für das Griechenland-Debakel: "Ob Konservative, Sozialisten oder die neue Partei To Potami: Sie alle sind weitaus verhandlungsbereiter. Richtig: Ein Selbstläufer ist auch dieses Szenario nicht. Schließlich müsste sich bei Neuwahlen erst einmal eine mehrheitsfähige, verhandlungsbereite Regierung finden. Nach Bankenschließungen, Geldknappheit und Hamsterkäufen ist aber nicht ausgeschlossen, dass sich eben solche neuen Mehrheiten in Griechenland finden."
Die Tageszeitung hingegen kritisiert die Absage der Bundesregierung an eine Eil-Lösung im Schuldenstreit mit Griechenland: "Die Eurozone mutiert zu einer Diktatur der Technokraten. Es ist erschreckend, das zehnseitige Verhandlungspapier zu lesen, das die EU-Kommission veröffentlicht hat. Bis ins allerletzte Detail ist vorgegeben, was das Athener Parlament zu beschließen hat." Das Blatt aus Berlin sieht die von der Kanzlerin immer wieder betonten demokratischen Werte "demoliert": "Die Eurozone hat derart eskaliert, dass jetzt nur noch die Vollbremsung bleibt: Merkel muss sich großzügig zeigen. Sonst ist Europa gescheitert, noch bevor der Euro endgültig am Ende ist."
Die Zeit meint, den alles entscheidenden Fehler auszumachen. Es sei zu viel über Geld gesprochen worden: "Wir haben zugelassen, dass es nur noch um Schuldenstände ging. Und so wurde die Frage, ob es wirklich richtig sei, Griechenland weiter zu helfen, am Ende zu einer Rechenaufgabe, nach dem Motto: Was hätten wir Deutschen davon - und was die Griechen?" Das Hamburger Blatt erinnert an die europäische Idee und mahnt: "Eine gemeinsame Währung aber ist mehr als das. Sie ist das in Münzen gegossene Versprechen, füreinander einzustehen."
Zusammengestellt von Lara Dalbudak
Quelle: ntv.de