Pressestimmen

Birthler-Behörde "Zeitgeschichtliche Bombe"

Im Wirbel um den Fall Kurras hagelt es Kritik. Die Presse ist sich uneinig: Die einen halten die Kritik für ein Ablenkungsmanöver, andere werfen der Birthler-Behörde Unprofessionalität vor.

Marianne Birthler sieht sich heftiger Kritik ausgesetzt.

Marianne Birthler sieht sich heftiger Kritik ausgesetzt.

(Foto: AP)

Im Wirbel um den Fall Kurras sieht sich die Stasi-Unterlagenbehörde massiver Kritik ausgesetzt. Die Presse ist sich uneinig: Die einen halten die Kritik für ein Ablenkungsmanöver all jener, bei denen das eigene Weltbild ins Wanken geraten sei, andere werfen der Behörde Unprofessionalität vor. Interessant sei jedoch vor allem, wie der "Zufallsfund" den Blick auf die Geschichte ändern werde.

"Ein Zufallsfund hat das Amt in die Schlagzeilen gebracht", fasst die Braunschweiger Zeitung zusammen. "Dass der West-Berliner Polizist Karl-Heinz Kurras, der am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, Mitglied der SED und zugleich Inoffizieller Stasi-Mitarbeiter war, ist durchaus eine zeitgeschichtliche Bombe", meint das Blatt. Das werfe Fragen auf: "Warum wurden die Kurras-Erkenntnisse des Forschungsmitarbeiters Helmut Müller-Enbergs im ZDF verkündet und nicht von Marianne Birthler? Wer will aus dem Fall Kurras/Ohnesorg politischen Honig saugen, um den Studentenprotest von einst als Stasi-gesteuert umzudeuten? Wer versucht, die Birthler-Behörde zu diskreditieren, weil ihm die Aufarbeitung nicht passt? Verbirgt sich hinter der Forderung, die Akten ins Bundesarchiv in Koblenz zu überstellen, der Wille nach einem Schlussstrich?"

Der neunte Tätigkeitsbericht der Behörde wurde nun vorgelegt.

Der neunte Tätigkeitsbericht der Behörde wurde nun vorgelegt.

(Foto: AP)

"Wem die Wahrheit das eigene Weltbild ins Wanken bringt, der flüchtet sich gerne in Ablenkungsmanöver. Anders ist die Kritik an den Arbeitsmethoden der Stasiunterlagen-Behörde nicht zu erklären, die formuliert wird, während sich erweist, dass der Gründungsmythos der 68er-Generation einen doppelten Boden hat", urteilt die Landeszeitung aus Lüneburg. "Dabei ist es müßig, der Frage auszuweichen, ob die Geschichte anders verlaufen wäre, wenn schon nach dem 2. Juni 1967 aufgedeckt worden wäre, dass der Ohnesorg-Todesschütze Karl-Heinz Kurras ein Stasi-Spitzel war." Das Blatt ist sich sicher: "Natürlich wäre sie das, anders als Ex-Studentenführer heute meinen." Es hält es aber für wichtiger, "wie sich der heutige Blick auf die Geschichte ändert". "Denn so einfach, wie die Frontlinien damals schienen, ist auch noch heute manches Selbstverständnis."

"Ärgerlich ist, dass die Behörde durch unprofessionellen Umgang mit sensiblen Themen - der Fall Kurras ist nur eines davon - immer wieder selbst die Existenzfrage herausfordert", kritisiert der Berliner Tagesspiegel die Arbeit der Behörde. Denn damit spiele sie "denen in die Hände, die die Institution lieber heute als morgen abwickeln würden". Die Gründe dafür seien verschieden - "weil durch die Fokussierung auf die Stasi die führende Rolle der SED verschleiert würde, weil sie zu teuer sei, auch aus wissenschaftlichem Konkurrenzneid". Das Blatt begrüßt es, dass eine Expertengruppe die Behörde in der kommenden Legislaturperiode unter die Lupe nehmen und über eine Eingliederung ins Bundesarchiv befinden werde. Das bedeutete aber auch, "dass die Akten nach dem Bundesarchivgesetz bis 2019 verschlossen blieben".

Der Fall Kurras zeige, wie sehr die einstige DDR und die Bundesrepublik miteinander verwoben waren, betonen die Westfälischen Nachrichten. "Nur wenn die Öffentlichkeit ein Interesse an Aufklärung wach hält, wenn die Aufmerksamkeit dafür bleibt, dass auch in Westdeutschland einige mit dem Honecker-Regime paktiert haben, werden wir in dieser Frage möglicherweise weitere Enthüllungen erhalten."

Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung halten ein Plädoyer für das Stasi-Archiv, das als einzigartige Quelle der Geschichtsforschung allein schon deswegen erhalten bleiben müsse, "weil es im Gegensatz zum Bundesarchiv, wo die Quellen 30 Jahre für die Öffentlichkeit gesperrt sind, für jedermann frei zugänglich ist". Wer wolle, "dass die Birthler-Behörde noch intensiver forscht, darf ihr daher nicht die Stellen streichen, sondern muss sie mit zusätzlichem Personal ausstatten und sie in die Lage zu versetzen, die Millionen Akten auszuwerten". Und an die Adresse der Kritiker: All jene, "die Marianne Birthler jetzt Untätigkeit vorwerfen, hätten nur selber einen Antrag auf Einsicht in die Akte von Karl-Heinz Kurras stellen müssen". "Dann hätten sie die Akte auch erhalten. Doch auf die Idee kamen sie nicht."

Zusammengestellt von Nadin Härtwig

Quelle: ntv.de

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