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Recht verständlich Chef wegen Quarantäneverstoßes anzeigen?

Ist Gefahr in Verzug, gelten schon mal andre Regeln.

Ist Gefahr in Verzug, gelten schon mal andre Regeln.

(Foto: imago images/Christian Ohde)

Ein Mitarbeiter sorgt sich um seine Gesundheit und erstattet Anzeige wegen Verletzung von Quarantänebestimmungen durch den Vorgesetzten beziehungsweise den Arbeitgeber. Darauf wird ihm fristlos gekündigt. Zu Recht?

Das Arbeitsgericht Dessau-Roßlau entschied kürzlich (Az.: 1 Ca 65/20), dass eine Strafanzeige eines Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber zwar grundsätzlich eine Kündigung rechtfertigen kann. Entscheidend seien aber unter anderem Motivation und Verhältnismäßigkeit. Geht es um die Verletzung von öffentlich-rechtlichen Quarantäneregelungen, dann muss ein Arbeitnehmer - anders als bei einem innerbetrieblichen Missstand - nicht erst die innerbetriebliche Klärung ersuchen, insbesondere dann nicht, wenn Gefahr im Verzug ist. Eine dennoch ausgesprochene Kündigung ist dann unwirksam.

Wie war der Fall?

Ein Landkreis hatte eine Allgemeinverfügung zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 nach dem Infektionsschutzgesetz erlassen, nach der die Bevölkerung bestimmter Ortsteile ihre Wohnung beziehungsweise ihr Wohngrundstück nicht verlassen durften. Ausnahmen gab es nur für den Weg zum Arbeitsplatz innerhalb dieser Ortsteile; ein Verlassen der Ortsteile war genauso wie Kontakte mit Personen außerhalb der häuslichen Gemeinschaft grundsätzlich untersagt. Geschäftsführer und Meister des Arbeitgeber-Unternehmens wohnten beide innerhalb dieser Quarantänezone und hätten also nicht zur Arbeit im Unternehmen außerhalb der Quarantänezone erscheinen dürfen.

Dr. Alexandra Henkel ist Fachanwältin für Arbeitsrecht, Wirtschaftsmediatorin und Business Coach.

Dr. Alexandra Henkel ist Fachanwältin für Arbeitsrecht, Wirtschaftsmediatorin und Business Coach.

Unter Verstoß gegen die Quarantäneregelung erschienen sie aber dennoch am Arbeitsplatz. Ein Mitarbeiter bemerkte dies, verließ seinen Arbeitsplatz, rief die Polizei an und fragte nach, ob das Verlassen der Quarantänezone zulässig sei. Vom Meister, der das bemerkte, angesprochen, gab er an "natürlich habe ich die Bullen angerufen", "ich muss mich ja schützen", "sollte ich mich infiziert haben, können Sie sich frisch machen und Herr X auch".

Der Meister gab an, er sei der Meinung, er habe sich rechtmäßig verhalten, weil er ohne Kontrolle durch die Absperrung gelangt sei. Er verließ dann aber den Betrieb. Später kam es auch noch zu einem Streitgespräch mit dem Geschäftsführer, der aber im Betrieb blieb. Der Geschäftsführer machte am Folgetag einen Corona-Test, der negativ war, und kam zwei weitere Tage später erneut trotz fortgeltender Quarantänebestimmungen in den Betrieb. Der Mitarbeiter schickte eine E-Mail an den Landkreis und bat um Einschätzung, gegebenenfalls Einleitung rechtlicher Schritte. Der Landkreis leitete dies an die Polizei weiter, die daraus eine Strafanzeige erstellte und ein Ermittlungsverfahren gegen Geschäftsführer und Meister einleitete. Der Geschäftsführer kündigte daraufhin dem Mitarbeiter fristlos, hilfsweise fristgerecht; der Mitarbeiter erhob Kündigungsschutzklage.

Das Urteil

Das Gericht gab dem Mitarbeiter recht und erklärte beide Kündigungen für unwirksam. Das Gericht wies zunächst darauf hin, dass das Erstatten einer Strafanzeige gegen den Arbeitgeber grundsätzlich eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann. Entscheidend sei aber, aus welcher Motivation die Anzeige erfolgte und ob die Anzeige letztlich als eine unverhältnismäßige Reaktion des Arbeitnehmers auf das Verhalten des Arbeitgebers angesehen werde.

Als Indiz für die Unverhältnismäßigkeit kann zählen, wenn die Anzeige unberechtigt ist oder nie der vorherige Versuch eines innerbetrieblichen Hinweises auf die Missstände unternommen wurde. Ein wichtiger Grund für eine Kündigung sei dann gegeben, wenn die Darstellung des Sachverhalts in der Anzeige wissentlich unwahr ist oder leichtfertig falsche Angaben enthält oder wenn der Anzeigende mit Schädigungsabsicht oder aus Rache handelt. Ist Anlass der Anzeige ein innerbetrieblicher Missstand, muss der Arbeitnehmer aufgrund seiner Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß dem Bürgerlichen Gesetzbuch vor der Einschaltung betriebsexterner Stellen grundsätzlich den Versuch einer innerbetrieblichen Bereinigung des Missstandes unternehmen.

Die Begründung

In dem vorliegenden Fall sahen die Arbeitsrichter keine unverhältnismäßige Reaktion des Mitarbeiters bei der E-Mail an den Landkreis, aus der dann eine Strafanzeige wurde. Hier habe der Mitarbeiter keine wissentlich oder leichtfertig falschen, unzutreffenden Tatsachenbehauptungen aufgestellt, die relevant gewesen wären. Es sei ihm nicht darum gegangen, den Betrieb zu schädigen oder den Geschäftsführer einer Strafverfolgung auszusetzen, sondern um die Einhaltung der Quarantänebestimmungen und den Infektionsschutz.

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Bei der Verletzung einer behördlichen Allgemeinverfügung handele es sich auch nicht um einen innerbetrieblichen Missstand, der erst innerbetrieblich angezeigt werden muss, sondern um eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung. Außerdem habe es bereits streitige Gespräche zwischen dem Mitarbeiter und dem Meister sowie dem Geschäftsführer gegeben, die nichts gebracht hätten. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass Gefahr in Verzug war und der Geschäftsführer schon das zweite Mal unter Verstoß gegen die Quarantäneregelungen im Betrieb erschienen sei. Der Corona-Test ändere daran gar nichts, zumal dieser auch allenfalls relative Sicherheit für den einen Tag bringe. Auch eine fristgerechte Kündigung sei bei diesem Sachverhalt nicht gerechtfertigt.

Rechtsanwältin Dr. Alexandra Henkel ist Fachanwältin für Arbeitsrecht, Wirtschaftsmediatorin und Business Coach.

Quelle: ntv.de

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