Druck auf Kreditnehmer wächst Die Zinswende ändert für Immobilienkäufer alles
15.07.2022, 12:04 Uhr (aktualisiert) Artikel anhören
Aktuell sieht die FMH aber noch keine dramatischen Verwerfungen am Immobilienmarkt.
(Foto: imago/Christian Ohde)
Nicht nur die Immobilienpreise, auch die Zinsen steigen inzwischen rasant. Das wirkt sich auch auf die Nachfrage aus – und auf das Verhalten der Kaufinteressenten. Wird das Eigenheim nun unerschwinglich? Der Marktkompass Baufinanzierung zeichnet hierzu ein klares Bild.
Die Zinswende ist da. Und sie vollzieht sich deutlich schneller als erwartet. Für Ende 2022 sagen die Experten der FMH-Finanzberatung bereits vier Prozent Zinsen für ein Baudarlehen mit zehnjähriger Festschreibung voraus. Zudem steigen die Rohstoff- und Energiepreise. Im Vergleich zu den Vorjahren sind das fundamentale Änderungen. Wirkt sich dies auf das Verhalten von privaten Immobilienkäufern aus? Und wie ändern sich ihre Präferenzen bei der Finanzierung?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich eine aktuelle Studie des Datenspezialisten FMH X und des Analyseinstitut SWI Finance (SWI), die ntv vorliegt. Dafür werteten die Experten der FMH-Finanzberatung mehr als 20.000 Anfragen aus, die zwischen 2016 und 2022 beim Online-Baufinanzierungsrechner eingingen. Flankiert wurde die Analyse durch eine repräsentative Online-Befragung des SWI im Juni 2022. 2000 Teilnehmer gaben dabei Auskunft über ihren Wissensstand und ihr Interesse an einer Baufinanzierung.
Käufer zahlen immer mehr

Max Herbst ist Inhaber der FMH-Finanzberatung, die seit 1986 unabhängige Zinsinformationen erstellt.
Die Zahlen der FMH-Finanzberatung belegen zunächst den fulminanten Anstieg der Immobilienpreise. Zwischen dem ersten Quartal 2016 und dem ersten Quartal 2022 schossen sie um fast 80 Prozent nach oben. Die Anfragenden müssen für gleichwertige Immobilien also immer höhere Preise bezahlen.
Entsprechend fragten die Kunden bei der FMH auch immer teurere Immobilien ab: Die potenziellen Kaufpreise stiegen im beobachteten Zeitraum deutlich stärker als Einkommen und Mieten. Damit müssen Käufer einen höheren Anteil ihres Einkommens in die Finanzierung stecken. Eigentlich. Denn auch die Eigenkapitalquote in den vergangenen Jahren ist massiv gestiegen.
Lag sie 2016 noch bei 26 Prozent der angefragten Kaufpreise, beträgt sie heute rund 34 Prozent. Da sich diese Entwicklung nicht auf ein entsprechendes Einkommenswachstum zurückführen lässt, könnte die Steigerung auf Schenkungen oder Erbschaften zurückgehen. Zudem ist es denkbar, dass sich der Immobilienmarkt zunehmend zu einem Tummelplatz für die Wohlhabenderen entwickelt.
Die Lage spitzt sich zu
Aktuell sieht die FMH aber noch keine dramatischen Verwerfungen am Immobilienmarkt. Deutlich erkennbar ist jedoch bereits, dass sich das Finanzierungsverhalten der Menschen verändert: Angesichts der gestiegenen Zinsen und Preise stecken Kunden einen deutlich höheren Anteil ihres Haushaltseinkommens in die Finanzierung als früher: 2020 lag der durchschnittliche Anteil der monatlichen Rate am Familieneinkommen noch bei 22,8 Prozent. 2021 waren es bereits 23,5 Prozent und 2022 sogar 26,1 Prozent.
Allerdings ist der Wert noch deutlich von der als kritisch angenommenen Belastungsgrenze entfernt. Sie beträgt 35 Prozent. Zudem ist die durchschnittliche Zinsbindung mit 13,4 Jahren im ersten Quartal 2022 nach wie vor hoch. Das erhöht die Planbarkeit und stabilisiert den Markt. Noch.
Erbschaften helfen den oberen Zehntausend
Denn es gibt auch problematische Entwicklungen: So sind zum Beispiel die jährlichen Tilgungsquoten seit ihrem Höchststand im Jahr 2018 um fast ein Viertel gesunken. Die Anfragenden wählen im Mittel heute mit circa 3,2 Prozent eine geringere anfängliche Tilgung als zu Beginn der Beobachtung (rund 3,8 Prozent). Damit liegen sie zwar immer noch oberhalb der empfohlenen Mindesttilgung von zwei bis drei Prozent der Darlehenssumme. Dennoch bedeutet diese Entwicklung, dass die Käufer ihre Schulden langsamer zurückzahlen müssen, weil die monatlichen Raten sie sonst überfordern würden.
Insgesamt kommt die Studie damit zu dem Ergebnis, dass die Situation für Immobilien-Interessenten zunehmend kritisch wird. Der Druck auf die Kreditnehmer erhöht sich weiter. Dazu passt es auch, dass in der SWI-Umfrage sogar bei den Besserverdienern stolze 23 Prozent der Meinung sind, dass eine Baufinanzierung für sie inzwischen zu teuer ist.
Knapp 40 Prozent der Immobilieninteressierten kalkulieren bei der Baufinanzierung zudem mit einer Schenkung oder Erbschaft. Ihr Anteil steigt über die Einkommensgruppen stetig an. Bei Interessenten mit mehr als 6000 Euro Monatsnetto rechnen fast zur Hälfte mit solchen Mitteln, bei den Einkommensgruppen unter 2000 Euro pro Monat sind es hingegen nur 34 Prozent. Dieser Trend verfestigt das bestehende Wohlstandsgefälle zwischen den Einkommensgruppen über die Generationen hinweg.
Max Herbst ist Inhaber der FMH-Finanzberatung, die seit 1986 unabhängige Zinsinformationen erstellt.
(Dieser Artikel wurde am Montag, 11. Juli 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de