Recht verständlich Wann liegt Mobbing vor?
06.07.2022, 12:53 Uhr Artikel anhören
Mobbing liegt erst dann vor, wenn ein systematisches, zielgerichtetes schikanöses Verhalten bewiesen und festgestellt werden kann.
(Foto: imago stock&people)
Die Vorgesetzte verhält sich ruppig und beschimpft ihre Mitarbeiterin als "schwächlich und unselbstständig". Zudem sind Überstunden et cetera ein Streitthema. Die darüber krank werdende Mitarbeiterin verlangt eine Entschädigung wegen Mobbings - zu Recht?
Das Thüringer Landesarbeitsgericht (LAG, Az.: 1 Sa 269/20) wies kürzlich darauf hin, dass für Mobbing ein systematisches, zielgerichtetes Verhalten bewiesen werden muss. Hierbei zählten im Arbeitsleben übliche Konfliktsituationen, die sich durchaus auch über einen längeren Zeitraum erstrecken können, nicht mit.
Nicht jede unberechtigte Kritik, Unhöflichkeit oder rechtlich falsche Handlung wie zum Beispiel eine unwirksame Arbeitgeberkündigung bedeutet gleich Mobbing beziehungsweise eine Vertragspflichtverletzung oder unerlaubte Handlung. Auf das subjektive Empfinden der Mitarbeitenden komme es nicht an.
Wie war der Fall?
Eine bereits seit circa zehn Jahren in einem Altenheim beschäftigte Pflegekraft gab an, dass sich das Betriebsklima unter der neuen Pflegedienstleitung (PDL) und Heimleitung stark verschlechtert und dass dies bereits zu stärkerer Personalfluktuation geführt habe. Sie erhob einen Mobbingvorwurf, insbesondere wegen des Verhaltens der PDL. Anlässlich ihrer Bitte um einen freien Sonntag - die Vorgesetzte kümmerte sich gerade um einen Notfall - gab es eine verbale Auseinandersetzung. Die klagende Pflegekraft trug vor, die PDL habe unwirsch reagiert und gesagt, dass sie an dem Sonntag nicht arbeiten müsse, dann aber auch "nicht mehr zu kommen" bräuchte.

Rechtsanwältin Dr. Alexandra Henkel ist Fachanwältin für Arbeitsrecht, Wirtschaftsmediatorin und Business Coach.
Auf Nachfrage sei sie dann angeschrien und aus dem Zimmer geworfen worden. Im Vorfeld eines dann geplanten Personalgesprächs mit anwaltlicher Begleitung habe die PDL bei ihr in der Freizeit angerufen und ihr vorgeworfen, sich lächerlich zu machen; es sei nun mal ihre Art, lautstark und manchmal böse zu werden. Die PDL habe dann noch dreimal angerufen und sie als schwächlich und unselbstständig bezeichnet. Dies habe bei der Mitarbeiterin zu einem Nervenzusammenbruch sowie schweren Angstzuständen und Depressionen geführt.
Streitig waren auch noch Überstunden und -zuschläge, die Arbeitgeberseite berief sich unter anderem auf die geltenden Verfallfristen und begehrte die rückwirkende Änderungsvereinbarung einer Arbeitszeitaufstockung. Anberaumte Schlichtungsverhandlungen fanden wegen Absage der Mitarbeiterin nur mit deren anwaltlicher Vertretung statt, sie gab als Grund eine Trauerfeier an, wurde dafür von der Heimleitung der Lüge bezichtigt. Hinterher stellte sich heraus, dass es zwei Trauerfeiern gab, die Heimleitung aber nur eine kannte.
Die Mitarbeiterin wurde stationär psychiatrisch behandelt und legte ein Attest vor, das eine "schwere depressive Episode nach Mobbing einer Vorgesetzten" bescheinigte, kündigte schließlich aus gesundheitlichen Gründen wegen der andauernden Konfliktsituation und verlangte Schmerzensgeld wegen Mobbings in Höhe von mindestens 30.000 Euro, weitere rund 20.000 Euro Schadensersatz wegen Verursachens des Arbeitsplatzverlustes durch die Arbeitgeberseite, Überstundenvergütung und eine bessere Zeugnisnote (gut statt befriedigend).
Das Urteil
Die Klage wurde durch die LAG-Richter vollumfänglich abgewiesen. Für alle Ansprüche fehlte nach dem Urteil die entsprechende Darlegung und Beweisführung durch die Pflegekraft.
Der Vortrag reiche nicht für einen Mobbingvorwurf aus, der einen Schmerzensgeldanspruch auslösen kann. Mobbing liegt nach ständiger Rechtsprechung erst dann vor, wenn ein systematisches, zielgerichtetes schikanöses Verhalten bewiesen und festgestellt werden kann. Normale beziehungsweise "übliche" Konfliktsituationen, unhöfliches, unfreundliches Handeln oder auch rechtlich fehlerhaftes Handeln reichen dafür nicht aus. Nicht jede unberechtigte Kritik, überzogene Abmahnung oder gar unwirksame Kündigung stelle gleichzeitig auch eine Persönlichkeitsverletzung dar und führe zu einer Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht mit einer Schmerzensgeldfolge. Mobbing sei objektiv zu prüfen; auf subjektives Empfinden komme es nicht an, so das Gericht.
Die Begründung
Die Pflegekraft habe nur die beiden Vorfälle mit der PDL konkret vorgetragen, alles andere seien pauschale Behauptungen von schlechterem Betriebsklima und einer darauf beruhenden Personalfluktuation. Die beiden Vorfälle reichten nicht für eine systematische, zielgerichtete Mobbingeingriffsqualität, selbst wenn man einmal den - streitigen - Vortrag der Mitarbeiterin als richtig unterstelle, auch wenn möglicherweise die Grenze der Höflichkeit überschritten worden sei.
Bei der Begebenheit mit der Frage nach dem freien Sonntag sei die PDL auch gerade mit eine Notfall beschäftigt und daher sei ein Nichteinhalten von Höflichkeitsregeln zumindest nachvollziehbar gewesen. Der Vorwurf eines schikanösen Anfeindens der Mitarbeiterin und der Herabsetzung als Person scheitere schon daran, dass die PDL ihre aufbrausende Art zugegeben habe. Damit stehe dann fest, dass sich diese nicht gegen die Mitarbeiterin als Person richte. Außerdem sei der begehrte freie Sonntag gewährt worden. Das Telefonat, bei dem die PDL die Mitarbeiterin als schwächlich und unselbstständig bezeichnet haben soll, habe zwar eine andere Qualität und sei keine sozialadäquate Konfliktsituation mehr, sie sei aber im zeitlichen Zusammenhang mit dem anderen Vorfall und zeitlich so nah beieinander, dass es sich um ein singuläres Ereignis und eben gerade nicht um ein über einen längeren Zeitraum systematisches schikanöses Verhalten handele.
Auch aus dem Vorwurf der Lüge durch die Heimleitung folge kein Mobbing, weil sich dies später als Missverständnis und nicht als Schikane herausstellte. Personalmaßnahmen wie hier die Vertragsänderung mit Anpassung der Arbeitszeit dürfe ein Arbeitgeber versuchen. Streit über Überstunden, die hier sogar zu einer Teileinigung geführt hatten, seien ebenfalls sozialadäquat.
Für den Schadensersatzanspruch hätte die Mitarbeiterin ein Auflösungsverschulden der Arbeitsgeberseite darlegen müssen, was nicht gelang. Gegen eine Alternativlosigkeit der Eigenkündigung spreche auch, dass die Mitarbeiterin mehrfach durch ihren Anwalt vorgetragen habe, dass sie weiterarbeiten wolle. Damit habe sie die Zumutbarkeit selbst deutlich gemacht. Auch die begehrte bessere Zeugnisnote scheiterte an fehlendem Vortrag und Beweis durch die Klägerin - für eine besser Note als ein durchschnittliches Befriedigend trage die Mitarbeiterin die Darlegungs- und Beweislast und sei dieser nicht nachgekommen.
Rechtsanwältin Dr. Alexandra Henkel ist Fachanwältin für Arbeitsrecht, Wirtschaftsmediatorin, Business Coach und zertifizierte Datenschutzbeauftragte (TÜV).
Quelle: ntv.de