Anleger scheuen weitere Verluste Wirecard: Schadensersatz ohne Kostenrisiko - so geht's
16.06.2023, 10:44 Uhr Artikel anhören
Protagonist in einem der größten deutschen Wirtschaftsskandale: das Unternehmen Wirecard.
(Foto: IMAGO/NurPhoto)
Die Uhr tickt für geschädigte Anleger des ehemaligen DAX-Unternehmens Wirecard. Wer Geld mit der Aktie verloren hat, sollte jetzt aktiv werden, um die Chance auf Schadensersatz zu sichern. Das geht auch ohne Kostenrisiko.
Der 18. Juni 2020 hat sich in das Gedächtnis vieler Wirecard-Aktionäre eingebrannt. Damals meldete das Münchener Fintech per Ad-hoc-Meldung, dass es Zweifel gebe an der Existenz von 1,9 Milliarden Euro - immerhin einem Viertel der Bilanzsumme. Die Aktie verlor allein an diesem Tag 60 Prozent ihres Wertes. Eine Woche später war Wirecard pleite.
Nun, drei Jahre später, nähert sich der Zeitpunkt der Verjährung für Anleger, die Ansprüche auf Schadensersatz für ihre Verluste geltend machen wollen. Zum Jahresende 2023 fällt die Klappe. Dann sind weitere Ansprüche nach Ansicht von Experten aussichtslos. Allerdings sollten Anleger auf keinen Fall so lange warten. Denn zumindest ab einer gewissen Schadenshöhe sind die Aussichten auf Schadensersatz gar nicht schlecht - und erfordern noch nicht einmal, dass geprellte Aktionäre für Kosten in Vorleistung gehen. Dazu gleich mehr.

Roland Klaus arbeitet als freier Journalist in Frankfurt und ist Gründer der Interessengemeinschaft Widerruf.
Doch zurück zum 18. Juni 2020. Denn dieses Datum ist auch entscheidend dafür, wie heute die Chancen auf Schadensersatz einzuschätzen sind. Denn wer vor Veröffentlichung der Ad-hoc-Meldung Aktien von Wirecard gekauft hat, hat gute Chancen. Wer danach gekauft hat, hat dies bereits in Kenntnis der Existenzbedrohung des Unternehmens getan - und dürfte somit kaum Aussichten auf Wiedergutmachung haben.
Doch auch jene, die eigentlich gute Aussichten auf Schadensersatz haben, scheuen oft ein Vorgehen. Wie wir aus zahlreichen Gesprächen mit Betroffenen wissen, wollen geprellte Anleger vor allem eins vermeiden: schlechtem Geld gutes Geld hinterherzuwerfen, sprich: weitere Verluste mit Wirecard zu produzieren - diesmal für Anwälte und Gerichte.
Vorgehen gegen EY erscheint aussichtsreich
Doch das ist gar nicht immer nötig, um sich die Chance auf Schadensersatz zu sichern. Der aussichtsreichste Weg auf Wiedergutmachung ist ein Vorgehen gegen den langjährigen Wirecard-Wirtschaftsprüfer EY (Ernst&Young). Ansprüche auf Schadensersatz gegen EY werden im Rahmen einer sogenannten Musterklage vor dem Bayerischen Obersten Landgericht in München verhandelt. Bis September ist noch die Anmeldung von Ansprüchen möglich.
Mehrere Anbieter - darunter auch die Interessengemeinschaft Widerruf - bieten Anlegern die Möglichkeit, im Rahmen einer Prozessfinanzierung an diesem Musterverfahren teilzunehmen, ohne weiteres Geld zu riskieren. Das Prinzip funktioniert so: Der Prozessfinanzierer legt sämtliche Kosten vor, damit die Ansprüche der Anleger angemeldet werden können. Gelingt es, Schadensersatz von EY zu erstreiten, erhält der Finanzierer ein Erfolgshonorar. In der Regel sind das rund 25 Prozent des Schadensersatzes.
Prozessfinanzierung ohne Kostenrisiko
Zahlt EY dagegen keinen Schadensersatz, dann bleibt der Prozessfinanzierer auf seinen Kosten sitzen. Der Wirecard-Aktionär hat dann zwar kein Geld gewonnen - aber zumindest auch kein weiteres Geld verloren.
Für die Teilnahme an einer solchen Prozessfinanzierung gibt es einige Voraussetzungen: Zum einen beziehen sich die Angebote nur auf Wirecard-Aktien (WKN: 747206). Wer Verluste mit Derivaten auf Wirecard gemacht hat, der bleibt in der Regel außen vor. Denn bei Zertifikaten und Optionsscheinen gelten andere juristische Regeln als bei der Aktie. Zum anderen müssen die Wertpapiere vor dem 18. Juni 2020 erworben worden sein. Wer erst nach der ominösen Ad-hoc-Meldung gekauft hat, hat schlechte Karten. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Aktien inzwischen verkauft wurden oder noch im Depot gehalten werden.
Mindestschadensvolumen erforderlich
Schließlich müssen die geschädigten Wirecard-Aktionäre einen gewissen Mindestschaden mitbringen. Denn juristische Kosten entwickeln sich degressiv. Kleine Schäden sind unwirtschaftlich. So verlangen einige Prozessfinanzierer mindestens 100.000 Euro Schaden. Andere - wie die IG Widerruf - setzen schon bei 10.000 bis 20.000 Euro an.
Wer diese Voraussetzungen erfüllt, sollte seine Wirecard-Verluste nicht vorschnell abschreiben. Zwar ist realistisch gesehen nicht zu erwarten, dass EY 100 Prozent der Verluste ausgleichen wird. Aber wir halten eine Quote zwischen 20 und 50 Prozent für durchaus realistisch. Und das würde bedeuten, dass für Anleger - auch nach Abzug des Honorars für den Prozessfinanzierer - mehr als nur eine kleine Wiedergutmachung übrigbleibt.
Über den Autor: Roland Klaus ist Gründer der Interessengemeinschaft Widerruf. Sie hilft bei der Durchsetzung von Verbraucherrecht in Finanzfragen und wird dabei von spezialisierten Anwälten unterstützt.
Quelle: ntv.de