Reise

Entschleunigung statt Stress Im Schlafwagen nach Rom

Während der Fahrt ruckelt es, aber in den Schlafwagen bekommen Reisende zumindest etwas Schlaf.

Während der Fahrt ruckelt es, aber in den Schlafwagen bekommen Reisende zumindest etwas Schlaf.

(Foto: Marek Knopp/ÖBB/dpa-tmn)

Es ist die romantische Vorstellung von einer entspannten Bahnfahrt oder eine Alternative zum Flugzeug, die Reisende für Nachtzüge begeistert. Passagiere, die von München nach Rom mit dem Nightjet fahren, schätzen vor allem die Entschleunigung.

In einer Zeit, in der alles schnell gehen soll, wirkt der Nachtzug wie ein müder Dinosaurier. Tatsächlich verschwindet diese Art des Reisens allmählich: Ende 2016 hat die Deutsche Bahn ihr Nachtzuggeschäft eingestellt, die Verluste waren zu hoch. Die benachbarten Österreicher halten hingegen daran fest. Acht Nachtzug-Verbindungen von Deutschland aus gibt es noch. Betreiber sind nun die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB).

"Den Römer fahren" sagen Nachtzugführer, wenn sie die Strecke von München nach Rom meinen. Sie führt über die Alpen, Bologna und Florenz in die italienische Hauptstadt. Die Route klingt romantisch. Und der Nachtzug? Reisen, während man schläft, im Speisewagen mit Fremden trinken, vielleicht die Liebe des Lebens treffen oder einen Mord beobachten - meine Vorstellung ist dank Filmen und Literatur reichlich aufgeladen, und natürlich kann die Realität dann nur noch ein Stattdessen sein.

Der Nightjet fährt von München nach Rom.

Der Nightjet fährt von München nach Rom.

(Foto: picture alliance / Wegscheider/Ö)

Nightjet heißt der blaue Nachtzug der ÖBB. Das klingt nach Flugzeug, aber vor mir steht natürlich ein Zug. Ich blicke in ein normales Abteil mit drei Sitzen, die Tür kann man abschließen, das Fenster einen Spalt öffnen. Das Bad ist auch im Abteil. Wenn ich in dem separaten Raum duschen will, muss ich das Waschbecken zur Seite schieben. Einen Speisewagen gibt es nicht. Verpflegung bekomme ich vom Schlafwagenbetreuer. Was hatte ich erwartet? Es ist kein rollendes Hotel.

Night Stewart - oder Schlafwagenbetreuer

Mühe haben sie sich gegeben: Auf dem Sitz erwartet mich eine Tüte mit Schlafmaske, Ohrstöpseln, Erfrischungstuch und Einmal-Hausschuhen. Wasser, Saft und Prosecco stehen auch bereit. Nur das Bett - wo ist das Bett? Das ist doch der Schlafwagen. "Das Bett bauen wir später auf", sagt Francisco Schrammel. Er ist der Night Stewart, aber man darf ihn auch Schlafwagenbetreuer nennen. Schrammel (33 Jahre, charmanter Wiener Akzent) baut die Betten auf und wieder ab, sammelt die Pappkarten ein, auf denen die Frühstückswünsche angekreuzt werden, bringt Essen und Getränke. Drei bis vier Kollegen hat er pro Nacht noch, darunter den Zugführer. Sie kümmern sich um bis zu 150 Passagiere. Nachts macht Schrammel Rundgänge, morgens weckt er die Gäste. Er selbst schläft nicht. "Nicht mal ein Nickerchen."

Das Bad ist klein und praktisch.

Das Bad ist klein und praktisch.

(Foto: dpa-tmn)

Schrammel ist auch für die Sicherheit verantwortlich. Diebe und Schwarzfahrer könnten im Nachtzug einen gewissen Reiz sehen, überlege ich. Einen Taschendieb hätten er und ein Kollege mal erwischt, erzählt Schrammel. Ansonsten sei es unmöglich, sich in einem Zug zu verstecken, in dem Reservierungspflicht gelte und die Mitarbeiter wüssten, wer ihre Fahrgäste seien. In der Toilette verstecken ist dann wohl einfallslos? "Ja, einfallslos", sagt Schrammel.

An seinem Job gefalle ihm, dass er viel reise. Schwierig seien Gäste, die zu hohe Erwartungen hätten. Seit Anfang 2017 arbeitet Schrammel als Nachzugbetreuer, vorher war er lange in der Wiener Gastronomie. "Es ist eng hier", sagt er. Stimmt, der Flur neben den Kabinen könnte auch auf einem Schiff sein. Aber eng ist auch gemütlich. Julia und Christina aus Bremen sitzen in einem Zweibettabteil. Julia hat Angst in Flugzeugen, Christina wäre auch geflogen. "Im Flieger wackelt es genau so wie hier, nur nicht so lange." Julia findet es gut, ihrem Reiseziel langsam entgegen zu fahren - der Zug startet um 20.10 Uhr in München und ist um 9.22 Uhr in Rom.

"Hier kann ich gut denken"

Gegen 6.00 Uhr morgens will Franco Nannini aussteigen. Der Italiener in der Kabine direkt neben meiner fährt nach Florenz, seinen Sohn besuchen. Er arbeitet in Berlin, den Nachtzug nimmt er, weil auch er Angst vor dem Fliegen hat. Ob er gut schlafe? "Ich kann hier gut denken", sagt der 60-Jährige und lächelt. Ein paar Stunden später höre ich ihn schnarchen.

Die Nacht verbindet - auch wenn im Nachtzug Klassensystem herrscht. Es gibt Schlaf-, Liege- und Sitzwagen. Die Menschen bleiben, wo sie reserviert haben. Sie treffen sich nur auf dem Bahnsteig zum Rauchen oder auf dem Gang. Dort steht ein Paar mit gleicher Frisur: vorne kurz, hinten lang, er brünett, sie blond. Ich frage mich, ob sie nach Italien oder in die Achtziger reisen, er küsst sie in den Nacken. Im Sitzwagen wird derweil Schnaps gereicht. Wer kein Bett hat, muss anders in den Schlaf finden oder gar nicht.

Zurück in meinem Abteil finde ich es seltsam, auf den Bahnsteigen Menschen zu sehen, wo ich doch fast im Bett bin. Lesend rolle ich Italien entgegen, bis ich müde werde. Nachtwagenbetreuer Schrammel zieht die Sitze mit ein paar Handgriffen weg und ein Bett aus der Wand. "Gute Nacht!" Bis auf das Poltern der Schienen ist es ruhig. Als ich das Licht in der Kabine lösche, gibt der Vollmond den Blick in ein Tal mit Dörfern frei. Vor dem Zugfenster tanzen Tannen, wir müssen in den Alpen sein. Der Anblick ist so idyllisch, dass ich vergesse, dass ich schlafen wollte.

Ich wache auf, weil es stinkt. Ob die Toilette kaputt ist, frage ich mich im Halbschlaf, bis mir einfällt, dass ich das Zugfenster offen gelassen habe und wir wohl an güllegetränkten Feldern vorbeifahren. Als ich wieder aufwache, geht die Sonne über der Toskana auf. Die Farben der Herbstlandschaft rauschen vorbei, und auf einmal verstehe ich nicht mehr, warum man sich in ein Flugzeug zwängen soll, auf das man Stunden warten muss. Nicht nur ist das Zugfahren entspannter, es ist auch interessanter. Man sieht, wohin man fährt, kommt dem Ziel tastend näher. Der Zugführer spricht jetzt Italienisch. "Haben Sie den Sonnenaufgang über der Toskana gesehen?", fragt Schrammel, als er das Bett in der Wand verstaut und einen Tisch montiert. Zum Frühstück schaue ich aus dem Fenster, an mein Buch denke ich nicht mehr, noch eine Stunde bis Rom, die Zeit verfliegt.

Auch Julia und Christina sind wach. "Ich hab die ganze Zeit rausgeschaut heute Nacht, es war so schön", sagt Julia. Ihre Schwester hat geschlafen, fühlt sich aber nicht so. Die beiden packen ihre Sachen, wir fahren schon durch Roms Vororte. In Rom Termini herrscht das übliche Bahnhofsgewimmel, es kommt mir unwirklich vor, dass die Nacht mich hierher gebracht hat und jetzt ein sonniger Tag vor mir liegt.

Ob er glaube, dass der Nachtzug Zukunft hat, frage ich Francisco Schrammel, der noch am Abend mit demselben Zug zurück nach München fahren wird. "Die Sympathie für die Züge ist da", antwortet er.

Quelle: ntv.de, Alexandra Stahl, dpa

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