Sexismus behindert Frauenfußball "Der Fußball hängt in den 60er-Jahren fest"
07.06.2019, 07:42 Uhr
Gendergerechte Sprache sieht anders aus: Auf der Binde steht Spielführer, obwohl es sich bei Alexandra Popp um eine Spielführerin handelt.
(Foto: imago images / photoarena/Eisenhuth)
Weniger Geld, dafür mehr Vorurteile und Sexismus: Frauen setzen sich im Fußball täglich gegen viele Hindernisse durch. Und die Medien berichten über sie nicht annähernd so intensiv und umfangreich wie über die Männer - auch nicht bei der Weltmeisterschaft, die an diesem Freitag in Frankreich beginnt. Nina Degele hat seit 2001 eine Professur für Soziologie und Geschlechterforschung an der Universität Freiburg und forscht unter anderem zu Homophobie, Rassismus und Sexismus im Fußball. Im Gespräch mit n-tv.de erklärt sie die Gründe für die mangelhafte Berichterstattung und die immer noch nicht vorhandene Gleichberechtigung im Fußball.
n-tv.de: Frau Degele, die Nationalteams der Frauen treten in Frankreich zur Weltmeisterschaft an. Sie forschen zu Sexismus und Fußball - wie macht sich die deutsche Medienlandschaft beim Frauenfußball?
Nina Degele: Sie hält sich zurück. Zur Weltmeisterschaft 2011 in Deutschland waren Anstrengungen zu beobachten, aber die sind deutlich zurückgegangen. Der Stellenwert des Frauenfußballs sinkt immer stärker. Das ist ein Riesenunterschied zum Männerfußball: Die Mannschaft war bei der WM 2018 ja auch nicht gerade die tollste und trotzdem ist die mediale Aufmerksamkeit ungebrochen.
Welche Mängel sehen Sie in der Berichterstattung über Frauenfußball in Deutschland?
Bei der WM 2011 hat die Berichterstattung die Spielerinnen dauernd in den Konflikt gebracht, beweisen zu müssen, dass sie "richtige" Frauen sind, obwohl sie Fußball spielen. Mit diesem Widerspruch haben Männer nicht zu kämpfen. Fußball ist einfach eine Sportart, die sehr stark gegendert ist, also mit dem männlichen Geschlecht assoziiert wird. Selbst als Claudia Neumann bei der Männer-EM 2016 ein Spiel kommentiert hat, gab es einen riesigen Shitstorm. Das war unglaublich und so was ist nur noch im Fußball denkbar, weil die Gesellschaft eigentlich schon weiter ist. Fußball ist ein letztes Reservat von einer überdauernden Männlichkeit.
Warum ist das so?
Deutschland ist ein Fußballland, aber das gilt nur für Männerfußball. Es wird zwischen Fußball und Frauenfußball unterschieden. Frauenfußball ist immer die Abweichung. Männerfußball ist schon immer Nationalsport und dagegen anzukommen, ist unglaublich schwer. Dahinter steckt ein dicker historischer Ballast. Das Wunder von Bern 1954 half den Männern, wieder Selbstbewusstsein zu tanken. Die Frauen, die Deutschland aufgebaut hatten, mussten zurück an den Herd. 1955 wurde dann gleich der Frauenfußball vom DFB für 15 Jahre verboten. Dass so etwas überhaupt möglich war, zeigt die negative gesellschaftliche Wertschätzung und Stimmung, gegen die Frauen immer anzukämpfen hatten und haben.
Das heißt, Fußball hinkt in Sachen Geschlechtervorstellung hinterher?
Der deutsche Fußball hängt noch in den 60er-Jahren fest. Und da geht es auch nicht nur um den DFB oder die Fifa. Auch im banalen Land- und Wiesenfußball sind Frauenteams schlichtweg eine Konkurrenz im Kampf um Trainingszeiten, Plätze und Material. Die Etablierten fürchten um ihre Etabliertenvorrechte, das ist normal und verständlich. Auch in den 50er Jahren war der Frauenfußball eine Bedrohung für den DFB, der Angst hatte, seinen Platz in der Fußballgesellschaft teilen zu müssen.
Wie können Zuschauer und Journalisten diese überholten und stereotypischen Denkweisen vermeiden?
Das Problem ist, dass diese ja unterbewusst stattfinden. Ich hoffe, dass es bei der WM in Frankreich hauptsächlich um Fußball geht und dass Geschichten rund um Privatleben und Vermarktbarkeit keine Themen sind. Ein erster Schritt wäre eine gendergerechte Sprache, auch wenn das viele Widerstände und Aggressionen provoziert: In Frankreich stehen nicht elf Mann auf der Platz, sondern Frauen oder Spielerinnen. Deshalb ist auch der Begriff Team treffender als Mannschaft. Konsequenterweise sollten wir auch vom Männerfußball reden, um nicht die Gegenüberstellung von Fußball und Frauenfußball zu verwenden. Und auch wenn die Spielerinnen über sich als "Mädels" sprechen, wie die Männer über sich als Jungs, sollten Journalisten, die ja die Position der Deutungshoheit innehaben, von solchen Verniedlichungen die Finger lassen.
Ist es von Nachteil, dass es mehr Sportjournalisten als Sportjournalistinnen gibt?
Das ist ein Problem wie in allen Schaltstellen der Gesellschaft, wo Frauen unterrepräsentiert sind. Es geht da um unbewusste Selbstverständlichkeiten, die aus der eigenen Position heraus normalerweise nicht thematisiert werden. Männer haben Etabliertenvorrechte. Sie sind privilegiert, aber erkennen ihre Privilegien nicht so einfach und demnach auch nicht die Verhältnisse, die Fußball ganz deutlich mit Mannsein in Verbindung bringen. Wenn man nicht im Rollstuhl sitzt, nimmt man in der Stadt nicht bewusst wahr, wo es als Rollstuhlfahrer Probleme an Bürgersteigen geben könnte. Deshalb braucht es mehr Frauen im Sportjournalismus, um besser über Frauenfußball und dessen Hindernisse berichten zu können.
Hindernisse sind zum Beispiel Vorurteile und Klischees: Noch bei der EM 2013 ließ das ZDF Fußballerinnen in einem Spot in Waschmaschinen schießen.
Da setzt bei mir eine Müdigkeit ein und ich denke: "Oh je, dieses Wiederbedienen bei Klischees hört einfach nicht auf." Die beste Reaktion lieferte die aktuelle Nationalmannschaft mit ihrem Clip, in dem sie verkünden: 'Wir brauchen keine Eier, wir haben Pferdeschwänze."
In dem Werbespot feuern die Spielerinnen Vorurteile gegen den Frauenfußball auf den Zuschauer zurück. Worum geht's da?
Die Idee ging nicht vom DFB aus, sondern vom Sponsor und den Spielerinnen. Das war eine super Strategie, um an den nicht hinterfragten Selbstverständlichkeiten zu rütteln. Es ist auch eine Art der Selbstermächtigung. Dem Zuschauer wird eine Sichtweise offenbart, die in der Form vom Männerfußball sicher nicht gekommen wäre.
Immerhin scheint Homosexualität im Frauenfußball akzeptierter als im Männerfußball zu sein.
Es ist nicht ganz so tabuisiert wie im Männerfußball. Für lesbische Frauen ist die Einstiegshürde nicht das Lesbischsein, sondern das Frausein. Das ist aber auch Hürde genug. Frauen ziehen sobald sie Fußball spielen aber auch den Verdacht auf sich, lesbisch oder keine "richtige" Frau zu sein. Dagegen gingen einige Nachwuchspielerinnen an, als sie sich während der WM 2011 für den Playboy auszogen, um zu beweisen, dass sie attraktiv sind, "obwohl" sie Fußball spielen. Es gab auch während der WM 2011 immer wieder Fotoshootings, in denen die Spielerinnen sich in Kleidern oder Tütüs ablichten lassen mussten. Diese Weiblichkeitszwänge sind mit dem Wunsch nach Anerkennung verbunden und der Preis, um als "nicht-Mannweib" durchzugehen.
Die Nationaltorhüterin Almuth Schult kritisierte jüngst mehrfach, dass der DFB Frauenfußball nicht ernst nimmt. Was läuft da schief?
Es lief besser, als Theo Zwanziger noch DFB-Chef war. Die Wertschätzung vom DFB für den Frauenfußball war noch nie riesengroß, aber momentan ist sie noch mal deutlich geringer als vor einigen Jahren. In Dänemark und USA haben die Frauenteams zum Beispiel für gleiche Bezahlung geklagt. Das passiert in Deutschland nicht, weil hier der Frauenfußball einen schlechteren Stand hat und die Spielerinnen sich mit eine Klage vielleicht ein Eigentor schießen würden. Ich bin mir sicher, das würde einen Shitstorm auslösen - was aber nicht schlecht sein muss, denn so würde das Thema wenigstens diskutiert werden. Viele wissen nicht, dass bei den Frauen einige noch parallel Berufsausbildungen machen oder mit halbem Amateurstatus spielen.
Für den WM-Titel in Frankreich würden die Spielerinnen eine Rekordprämie erhalten. Die 75.000 Euro pro Kopf sind allerdings knapp fünfmal weniger als die 350.000 Euro, die die Männer für den Titel in Russland erhalten hätten. Sollten Fußballerinnen und Fußballer gleich bezahlt werden?
Das ist vielsagend. Es braucht keinen weiteren Kommentar, um deutlich zu machen, dass eine komplett unterschiedliche Wertschätzung stattfindet. Es wäre natürlich sinnvoll und ein deutliches Zeichen, alle gleich zu bezahlen. Auch wenn es den Spielerinnen vielleicht nicht primär um Geld geht: Aber gesellschaftlich am anerkanntesten für Wertschätzung und Anerkennung ist Geld. Wer auf Geld verzichtet, weil er sagt, dass er das nicht braucht, den kann ich gut verstehen. Aber gesellschaftlich ist er der Depp. In Norwegen klappt es mittlerweile, die Fußballer verzichten auf Teile ihrer Gelder und die Fußballerinnen erhalten die gleichen Prämien.
Kann man aber nicht argumentieren, dass der Männerfußball eben mehr Geld generiert?
Das verfestigt genau die bestehende Situation und innerhalb der Logik unseres Systems ist das kontraproduktiv. Wenn man da nicht irgendetwas aufbricht, wird sich die Benachteiligung immer weiter verfestigen und man kommt aus dieser Mühle nicht mehr raus. Zu einer anderen Form des Umgangs und der Wertschätzung kommt man nicht, wenn man einfach nur abwartet.
Was macht diese fehlende Wertschätzung mit Fußballerinnen?
Es kann gut sein, dass ein Mädchen in diesem von Jungs und Männern dominierten Umfeld ihren Weg nicht weiter geht. Besonders wenn sie keine Mitstreiterinnen hat, mit denen sie sich zusammentun kann, um vielleicht ein Team zu gründen und Trainingszeiten zu bekommen. Aber auch im Profibereich manifestiert sich die fehlende Wertschätzung nicht nur in der Bezahlung. Es ist frustrierend, dass die Frauen immer die schlechteren Karten haben, wenn Anstoßzeiten beim Frauen- und Männerfußball kollidieren.
Wie kann Gleichberechtigung im Fußball gelingen?
Auf der medialen Ebene muss es mehr Berichterstattung geben und Berichterstattung, die nicht auf Stereotype abzielt, sondern inhaltlich orientiert ist. Die Sprache und Form muss auch geschlechtergerechter werden. Die Verbände müssen Anerkennung zeigen, indem sie die Verteilung von Ressourcen und die Bezahlung angleichen. Und die Spielerinnen sollen einfach weitermachen und sich so wenig wie möglich irritieren lassen.
Es ist natürlich positiv, dass heutzutage mehr Frauen und Mädchen Fußball spielen und dass der Rechtfertigungsdrang nicht mehr ganz so groß ist. Die positiven Entwicklungen von der WM 2011 sind aber leider wieder auf den niedrigen Level zurückgegangen, auf dem sie davor waren. Das ist richtig schade und deshalb sind die Erwartungen begrenzt.
Mit Prof. Dr. Nina Degele sprach David Bedürftig
Quelle: ntv.de