
Der Mercedes setzt zu oft auf dem Boden auf, das kostet Zeit.
(Foto: AP)
Ferrari und Red Bull sind Mercedes enteilt. Das sagt nicht irgendwer, sondern darin sind sich Teamchef Toto Wolff und Rekordweltmeister Lewis Hamilton einig. Die Silbernen suchen beim Formel-1-Auftakt nach Lösungen. Denn die Probleme scheinen nach dem Qualifying zahlreich.
Es ist nur ein einzelnes Qualifying. Das erste von geplanten 23 in dieser Saison, der umfangreichsten in der illustren Geschichte der Formel 1. Und doch ist sich Mercedes schon jetzt bewusst, vor einer großen und anspruchsvollen Aufgabe zu stehen. Die Startplätze fünf für Lewis Hamilton und neun für George Russell scheinen nämlich kein Ausrutscher zu sein. Sondern Ausdruck der ungewohnten Schwäche, die den Konstrukteursweltmeister der Jahre 2014 bis 2021 vor dem Großen Preis von Bahrain (heute, 16 Uhr/Sky und im Liveticker bei ntv.de) umgibt.
"Es ist ein Weckruf", sagte Teamchef Toto Wolff nach der ersten ernstzunehmenden Bewährungsprobe. Die Autos sind völlig neu entwickelt, mitunter hieß es, einzig das Lenkrad könne unverändert vom Vorjahresmodell übernommen werden. Die Formel 1 selbst spricht sogar von einer neuen Ära, die an diesem Wochenende ihren Anfang nehme. Bei der vorigen großen Regeländerung zur Saison 2014 war Mercedes der große Gewinner, 2022 gehören die lange dauer-siegenden Silbernen den ersten Eindrücken nach zu den Verlierern. "Wir sind das drittschnellste Team", resümierte Wolff nach dem Qualifying.
1. Charles Leclerc (Ferrari) - 2. Max Verstappen (Red Bull)
3. Carlos Sainz (Ferrari) - 4. Sergio Perez (Red Bull)
5. Lewis Hamilton (Mercedes) - 6. Valtteri Bottas (Alfa Romeo)
7. Kevin Magnussen (Haas) - 8. Fernando Alonso (Alpine)
9. George Russell (Mercedes) - 10. Pierre Gasly (AlphaTauri)
11. Esteban Ocon (Alpine) - 12. Mick Schumacher (Haas)
13. Lando Norris (McLaren) - 14. Alexander Albon (Williams)
15. Zhou Guanyu (Alfa Romeo) - 16. Yuki Tsunoda (AlphaTauri)
17. Nico Hülkenberg (Aston Martin) - 18. Daniel Ricciardo (McLaren)
19. Lance Stroll (Aston Martin) - 20. Nicholas Latifi (Williams)
Der Rückstand zu Ferrari und Red Bull scheint dabei größer zu sein als der Vorsprung auf das Mittelfeld. Valtteri Bottas im Alfa Romeo, Kevin Magnussen im Haas und Fernando Alonso im Alpine stehen in der Startaufstellung zwischen den beiden Mercedes. Ein Haas vor einem Mercedes. Im Vorjahr stellte der Rennstall von Mick Schumacher das bei weitem langsamste aller Autos, in der Qualifikation zum Saisonauftakt jetzt bezwingt Rückkehrer Magnussen den als künftigen Weltmeister gehandelten Russell. Dass der Brite auf seiner letzten schnellen Runde patzte, dürfte auch in den Schwächen des W13 begründet liegen.
Wolff sieht keine schnelle Besserung
Aus diesen Schwächen, die kaum zu übersehen sind, macht Lewis Hamilton kein Geheimnis. "A bit of a nightmare" sei die Quali gewesen, die Fahrbarkeit seines Arbeitsgeräts also mehr Albtraum als Vergnügen. Insbesondere das Porpoising macht Mercedes im Vergleich zur Konkurrenz Probleme, das Hüpfen des Autos aufgrund des abreißenden Luftstroms entlang des Unterbodens. Das "überschattet alles", erklärte Wolff vielsagend. Denn es dürfte bedeuten, dass die Suche nach dem optimalen Einsatz des Ground-Effekts zwar die dringendste, aber eben nicht einzige Baustelle ist.
Am Rande der Testfahrten hatte die Konkurrenz noch nicht glauben wollen, dass die Probleme bei Mercedes so substanzieller Natur sind. 111 der jüngsten 160 Grand-Prix-Siege waren schließlich in Autos mit dem berühmten Stern auf der Fahrzeugnase errungen worden, obwohl die Silbernen vor den Auftaktrennen in den Vorjahren immer wieder betont hatten, in diesem Jahr ausnahmsweise doch mal schlagbar zu sein.
Als "typisch Mercedes", charakterisierte Ferrari-Pilot Carlos Sainz dieses Herunterspielen der eigenen Stärke daher jüngst, "und dann kommen sie zum Rennen und pusten alle weg." Auf dem Bahrain International Circuit fehlten Hamilton fast 0,7 Sekunden zu Charles Leclerc, der im Ferrari drei Jahre nach seiner ersten Pole an selber Stelle zum zehnten Mal die Qualifikation gewann. Knapp vor Verstappen und Sainz, Sergio Perez belegte im zweiten Red Bull den vierten Rang.
Der deutlich geschlagene Hamilton resümierte anschließend, Ferrari und Red Bull bewegten sich vorerst "in einer anderen Liga". Dennoch war der 37-Jährige trotz der ungewohnten dritten Startreihe sogar zufrieden "angesichts der Probleme, die wir mit unserem Auto hatten". Wolff wiederum ließ durchblicken, dass eine schnelle Rückkehr an die Spitze unwahrscheinlich ist. "Die Pace mit Platz fünf ist genau da, wo wir sind" und "wir brauchen ein paar Rennen, um uns auszusortieren." Eine offenbar wortwörtliche Übersetzung des englischen "to sort something out", einer Redewendung, die in diesem Kontext nach größerem Zeit- und Arbeitsaufwand klingt.
Hamilton muss sich jetzt mit Haas duellieren
Denn auch die leise Hoffnung, der W13 möge auf eine Runde zwar Nachteile haben, die Lücke über 57 Umläufe und 308 Kilometer im Renntempo aber schließen können, lässt Mercedes gar nicht erst aufkommen. Schon in den Freitagstrainings hatte Hamilton feststellen müssen, dass Ferrari und Red Bull auch bei den Longruns wesentlich schneller sind. Auf bis zu eine Sekunde pro Runde schätzte er den Abstand, ein mächtiger Rückstand. Für die Silbernen läuft es beim Saisonauftakt deshalb voraussichtlich auf Schadensbegrenzung hinaus. So weit vorne wie möglich ins Ziel kommen, so wenig Punkte wie möglich auf Top-Teams verlieren.
Die vor dem Rennwochenende getroffene Prognose von Hamilton - "Ich denke nicht, dass wir momentan ein siegfähiges Auto haben" - hat sich im Qualifying bestätigt und gilt auch für den Grand Prix. Es ist aber eben auch nur der erste Saisonlauf. Es bleiben also 22 Chancen für Fehlerbehebungen, für Verbesserungen. Die Weiterentwicklung des Autos wiederum gehörte in den vergangenen Jahren zu den eindeutigen Stärken von Mercedes. In dieser Saison ist diese Fähigkeit umso wichtiger, da fast alle Boliden schon jetzt deutlich verändert erscheinen zu dem, was beim Test Ende Februar in Barcelona zu sehen war.
Hamilton erwartet dennoch fürs Erste eine ungewohnte Aussicht auf Erfolglosigkeit. Seit 2014 stand der Brite mit einer Ausnahme alljährlich mindestens 16-mal pro Saison auf dem Podium. In Bahrain scheint das ausgeschlossen, wenn Ferrari und Red Bull von größeren Widrigkeiten verschont das Ziel erreichen. "Ich werde natürlich versuchen, mich nach vorne zu arbeiten", sagte der Rekordweltmeister, der bald unter neuem Namen an den Start gehen möchte. "Aber am meisten zu tun haben werde ich aller Voraussicht nach mit den Jungs hinter mir." Wo ein Alfa Romeo, ein Haas und ein Alpine nur darauf warten, die momentane Schwäche des Mercedes auszunutzen. Sätze, die noch vor wenigen Tagen kaum jemand geglaubt hätte.
Quelle: ntv.de