Zu langsam und durchgeschüttelt Mercedes-Chef hat Mitleid mit seinen Fahrern
24.04.2022, 12:06 UhrBei Mercedes zweifelt man am eigenen Auto, es bereitet sogar Schmerzen. Wirklich konkurrenzfähig ist das erfolgsverwöhnte Team derzeit nicht. Der Ton wird rauer, weil es nicht recht voran geht. Teamchef Toto Wolff erwartet bald die "Trainerfrage".
Bei Mercedes läuft es einfach nicht rund in der noch jungen Formel-1-Saison: Auch beim Rennwochenende in der Emilia Romagna hadert das erfolgsverwöhnte Team mit sich und seinem neuen Auto. Achtmal hat man zuletzt in Serie die Konstrukteurs-WM gewonnen, nach drei Rennen verfestigt sich aber der Eindruck, dass mit dem W13 diesmal kein großer Wurf gelungen ist. Im Gegenteil. Mercedes hat auch beim Ferrari-Heimspiel in Imola ein großes Problem mit dem sogenannten Bouncing - bei Topspeed auf den Geraden fängt der Silberpfeil an, wie wild zu hüpfen. "Da kriegt man ja Kopfweh nur beim Zuschauen", kommentierte Ex-Mercedes-Pilot Nico Rosberg die Bilder aus dem Qualifying bei Sky.
Grund für das Bouncing ist das Abreißen des Luftstroms unter dem Auto, der bei den neuen Ground-Effect-Boliden eigentlich Abtrieb erzeugen soll. Das Problem ist bekannt, es ist auch zu offensichtlich. Eine Lösung gibt es noch nicht. "Es ist nie so schwarz und weiß, dass man sagt, das ist eindeutig eine Fehlkonstruktion oder ein Wurf", sagt Teamchef Toto Wolff im exklusiven Gespräch mit RTL/ntv. "Aber es ist doch so, dass unser Auto auf dem Papier viel Downforce hat, wir das aber nicht auf die Strecke bringen. Deswegen muss man jetzt über die nächsten Rennen immer besser verstehen: Welche Entwicklungsrichtung wollen wir einschlagen?"
"Werden das Problem lösen, aber ..."
Mit seinen mächtig durchgerüttelten Fahrern hat der Österreicher vor dem Rennen (ab 14 Uhr live bei RTL) schon Mitleid. "Es ist teilweise schon so, dass die Fahrer einen Osteopathen brauchen, um alles wieder richtig zu ordnen." Wolff wähnt sein Team aber auf dem richtigen Weg, auch wenn das die bisherigen Ergebnisse von Imola nicht hergeben. "Wir glauben, dass wir der Lösung aerodynamisch näherkommen", sagte Wolff RTL/ntv. "Aber man kann dieses Bouncing im Windkanal nicht replizieren." Im Sprintrennen vom Samstag verfehlten beide Mercedes-Piloten die Punkteränge deutlich: Russell verteidigte seinen 11. Rang aus dem Qualifying, Rekord-Weltmeister Lewis Hamilton verlor sogar noch einen Platz. "Wir werden das Problem definitiv lösen, aber das geht einfach nicht von einem Tag auf den anderen."
Hamilton, der derzeit in der Fahrerwertung schon 50 Punkte Rückstand auf den führenden Charles Leclerc hat und sogar hinter seinem neuen Teamkollegen George Russell liegt, geht die Entwicklung zu langsam: "Wir sind optimistisch hierhin gekommen - und dann kommt nicht alles zusammen. Wir haben insgesamt als Team zu wenig Performance gezeigt", sagte Hamilton nach dem mit den Plätzen 11 und 13 für Russell und ihn desaströsen Qualifying am Freitag und ergänzte: "Es gibt Dinge, die wir hätten tun sollen, aber nicht getan haben." Rosberg glaubt, dass man sich bei seinem Ex-Team, das er nach seinem WM-Titel 2016 verlassen hatte, "an diesem Wochenende deutlich mehr versprochen" habe.
Der Ton wird rauer, auch zwischen Wolff und seinem Topfahrer, die in der langen gemeinsamen Zeit bei Mercedes Titel um Titel sammelten. Interne Schuldzuweisungen gebe es aber nicht, sagt Wolff. "Überhaupt nicht. Das hat es in unserem Team nie gegeben. Was es gibt, ist 'Tough Love', wir greifen massiv mit dem Finger rein, wo es wehtut. Wir analysieren auch gnadenlos, wenn wir etwas falsch gemacht haben. Aber wir sind alle in der gleichen Situation: die Chassis-Leute, die Motoren-Leute, die Fahrer, auch Marketing und Kommunikation gehören dazu. Nur, wenn wir alle einen richtig guten Job machen, wird das Endergebnis gut sein und nur darum geht’s und deswegen ziehen wir alle am gleichen Strang."
"Schultern sind breit genug"
Bis es wieder läuft, steht Wolff als Mercedes-Motorsportchef und Gesicht des Teams im Zentrum der Aufmerksamkeit. Dass es dieser Tage nach rauschenden Jahren, die erst mit dem um wenige Meter verpassten achten WM-Titel für Lewis Hamilton 2021 endeten, aus vielen Richtungen Kritik gibt, "macht mir überhaupt nichts aus, es war zu erwarten. Es war zu erwarten, dass nach so vielen Jahren der Tag kommt, an dem diese Fragen auftauchen werden. Man wird hinaufgeschrieben, man wird hinuntergeschrieben. Die 'Trainerfrage' wird nicht lange auf sich warten lassen. Aber überhaupt kein Problem, dazu sind meine Schultern breit genug. Ich bin Miteigentümer dieses Teams, gehe also nirgends hin. Man muss auch die Kritik einstecken."
Die Motivation, die sportliche Gegenwart und Zukunft des Teams zu gestalten, sei jedenfalls weiterhin hoch, sagt der Erfolgsmanager. "Was wir vorhin diskutiert hatten: Motivation, Energielevel, ist der Spaß noch da, habe ich alles positiv beantwortet. Wenn es eines Tages einmal nicht mehr so wäre, würde ich mir das als allererster eingestehen und den Stock an jemanden übergeben, der schneller läuft. Mir macht es Spaß, mir macht der Turnaround Spaß, jetzt schauen wir mal, ob uns der gelingt."
Lewis Hamilton hat die Hoffnung ebenfalls noch nicht aufgegeben, auch wenn er noch mit dem W13 fremdelt. "Es gibt Leute, die zusehen und sagen, dass ich noch nie ein so schlechtes Auto hatte", sagte er nach seinem 14. Platz im Sprintrennen. "Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich das sehr wohl hatte. Das Auto von 2009 war sehr, sehr weit weg und war das schlechteste Auto, das ich je hatte." Der W13 sei "derzeit nicht weit von dieser Erfahrung entfernt, aber ich denke, das Auto hat viel Potenzial. Damals haben wir das Auto schließlich repariert bekommen und kamen zurück ins Spiel. Und ich habe das größte Vertrauen, dass mein Team das auch hier schaffen kann."
Der letzte Mercedes-Weltmeister, der nicht Lewis Hamilton hieß, ist skeptisch, was den schnellen Turnaround bei seinem Ex-Team betrifft. "Die waren ja zwei Sekunden pro Runde langsamer, das ist ja unglaublich, da geht ja gar nix gerade", stellte Nico Rosberg nach dem schlimmen Qualifying fest, bei dem erstmals seit zehn Jahren beide Silberpfeile die Top 10 verpasst hatten.
Quelle: ntv.de, ter