Erkenntnisse aus den Testfahrten Weltmeister-Grinsen muss F1-Konkurrenz beunruhigen
27.02.2024, 07:58 Uhr
Verstappen scheint einmal mehr allen davonfahren zu können.
(Foto: IMAGO/PanoramiC)
Bei Haas geht es langsam aufwärts, bei Mercedes ein gutes Stück, auch Ferrari scheint Fortschritte gemacht zu haben. Nach den Formel-1-Testfahrten und vor dem Saisonauftakt macht nur ein Rennstall wirklich Sorgen. Weltmeister Max Verstappen schwärmt dagegen schon von seinem Red-Bull-Boliden.
Was von den Formel-1-Testfahrten in Bahrain schlussendlich hängenbleibt, ist eine Szene abseits der Rennstrecke. Jenseits der Zeitenmonitore, in die Ingenieure wie Experten während der dreitägigen Generalprobe vor dem Saisonstart der Motorsport-Königsklasse gebannt starrten. Kein Longrun, kein Reifenvergleich, keine Sektorenzeit liefert die wichtigste Erkenntnis, sondern ein gut gelaunter Max Verstappen - ein zu gut gelaunter.
Der Weltmeister war schon nach dem ersten Probetag in seinem Red-Bull-Boliden im Fahrerlager vor die Kameras getreten, um ein positives Fazit zu ziehen. "Sofort gut angefühlt" habe sich der RB20, der Test sei "reibungslos" verlaufen, "die Balance war von Anfang an genau im richtigen Fenster", kommentierte Verstappen den Premieren-Trip auf seinem neuen Bullen. 143 Runden hatte der Niederländer mal eben abgerissen, dazu eine deutliche Bestzeit hingelegt. So weit, so nüchtern. Verstappen-like eben. Und doch war da mehr abzulesen.
"Die Worte, die er gewählt hat, sind eigentlich eine Untertreibung dessen, was in ihm vorgeht", sagt RTL- und ntv.de-Experte Christian Danner. "Der hat gestrahlt wie ein Honigkuchenpferd, hatte glänzende Augen, war total happy. Sein Gesicht und seine Augen haben derart geleuchtet, dass man davon ausgehen muss: Das ist genau sein Ding, ist sein Auto, alles passt noch besser als im letzten Jahr. Das war ihm an der Nasenspitze anzusehen."
Der Red Bull fährt "wie angeklebt"
Verstappens Strahlen sei für ihn daher bei allen Analysen "das absolut Entscheidende" gewesen, so Danner. Jedenfalls, wenn man das Kräfteverhältnis an der Formel-1-Spitze vor dem Saisonstart am Samstag in Bahrain (live bei RTL und Sky) messen wolle.
"Vor den Testfahrten ist viel spekuliert worden: Das ist sensationell hier und sensationell da, der hat dies erfunden, der jenes. Dann sind sie gefahren und haben festgestellt: Alles ist gleich", resümiert der RTL-Kommentator: "Red Bull fährt vor allen anderen, dahinter ein wahnsinnig kompaktes Verfolgerfeld, ungefähr eine halbe Sekunde zurück, vielleicht sogar etwas mehr. Und dann kommt der Rest, der sich mal etwas vor-, mal etwas zurückbewegt."
Wie wohl sich Verstappen auf Anhieb in seinem neuen Dienstfahrzeug gefühlt habe, "war mit bloßem Auge zu sehen", sagt Danner: "Das Ding war wie angeklebt. Großes Kompliment an Chefdesigner Adrian Newey und die ganze Red-Bull-Mannschaft. Aus einem Super-Auto nochmal ein besseres Auto zu machen - da gehört schon viel Hirnschmalz dazu."
Ferrari und Mercedes schlagen richtigen Weg ein
Getüftelt hat Red Bull augenscheinlich vorrangig an der Kühlung des RB20. "Offenbar hat Red Bull das Kühlkonzept revolutioniert", spielt Danner auf Luftschächte und "Mini-Schlitze" an den Seitenkästen des Wagens an und erklärt: "Je weniger Kühler ich habe, umso windschlüpfriger ist ein Auto." Und von der Kühlung sei am Red Bull "kaum was zu sehen". Die Ingenieure und Designer hätten "ein Kühl-Konzept entwickelt, das offensichtlich funktioniert, denn das Auto hat nicht überhitzt. Verstappen fuhr und fuhr und fuhr. Ich schätze, dass dort der Hauptursprung des Vorteils liegt."
Im Vorjahr habe der Red Bull noch "relativ viel Luftwiderstand bei viel Abtrieb" gehabt, so Danner: "Ich glaube, dieses Verhältnis konnten sie ordentlich verbessern." Mit anderen Worten: Red Bull hat wieder einmal eine Lösung gefunden, mit der das Weltmeister-Team allen einen Schritt voraus ist. Hat Verstappen ein maßgeschneidertes, überaus effizientes Gefährt hingestellt. Hat die entscheidende Frage am besten beantwortet: Wie baue ich ein Auto, das wenig Luftwiderstand und viel Abtrieb hat? "L over D, Lift over Drag", heißt dieses Gesetz im F1-Sprech. "Das ist das A und O, das jeder Aerodynamiker wie ein Mantra herunterbetet", sagt Danner.
Für die Red-Bull-Konkurrenz und alle Fan-Hoffnungen auf einen spannenden Weltmeisterschaftskampf ist die abermalige Red-Bull-Stärke zunächst einmal ein Schlag in die Magengrube. Immerhin sieht Danner auch die potenten Red-Bull-Herausforderer Ferrari und Mercedes auf dem richtigen Weg.
McLaren und Aston Martin auf vier und fünf
Neben dem Verhältnis Luftwiderstand/Abtrieb sei der Faktor "Fahrbarkeit" der zweite entscheidende Faktor, erläutert der F1-Fachmann. "Wenn man die Longruns verfolgt und liest, was die Fahrer so sagen, haben sowohl Mercedes als auch Ferrari große Fortschritte gemacht. Beide Autos sind offensichtlich weniger kritisch zu fahren und angenehmer zu handhaben. Gerade auf der Hinterachse hat man deutliche Defizite wegbekommen", lobt Danner die Verfolger.
Während der Ferrari im Vorjahr die Reifen zu hart forderte, war der schwarze Silberpfeil W14 unberechenbar - machte mit Lewis Hamilton und George Russell in einer Kurve dies, in der anderen Kurve das und performte von Strecke zu Strecke extrem unterschiedlich. Ihre fundamentalen Probleme haben Ferrari und Mercedes also in den Griff bekommen. Das Problem ist nur: Red Bull ist eben nicht stehen geblieben, sondern mit einem mutigen Konzept schon in die nächste Dimension vorgestoßen.
"Dass Ferrari und Mercedes mehr Performance finden müssen, ist klar", betont Danner: "Jetzt geht es in den klassischen Wettstreit der Weiterentwicklung." Wegen der Ressourcen in Maranello und Brackley sieht der 65-Jährige Rot und Silber als "schärfste Verfolger" Verstappens. "Mit etwas Abstand kommen McLaren und Aston Martin."
Wie lange macht Renault noch mit?
Im Mittelfeld der Formel 1 gibt es derweil einen klaren Verlierer der Testfahrten: Alpine. Seit Jahren wird das französische Werksteam trotz aller Renault-Power den eigenen Ansprüchen nicht annähernd gerecht. Bei den Tests auf dem Bahrain International Circuit wirkten Esteban Ocon und Pierre Gasly in ihren Alpine-Boliden abermals wie graue Wüstenmäuse, tuckerten der direkten Konkurrenz klar hinterher.
"Die waren wirklich langsam", urteilt Danner, der die Franzosen vor Saisonstart sogar hinter den Racing Bulls (vormals AlphaTauri) sieht. "Ich bin gespannt, wie lange sich Renault und CEO Luca de Meo das noch anschauen. Wenn ich als Automobilhersteller in die Formel 1 komme, muss ich gewinnen. Da kann ich nicht sagen: Ich rutsche auch herum, bin auch dabei, aber die anderen sind aber halt besser." Das Alpine-Team stehe am "Scheideweg", glaubt der TV-Experte. "Aus dem Bauch heraus gesprochen sind die an einem Punkt, wo bald etwas passiert."
Und ganz hinten? Hat Haas einen klaren Schritt nach vorne gemacht, sagt Danner. Der neue VF-24 sei nicht mehr das reifenfressende Vorjahres-Monster, die Pneu-Problematik grundsätzlich gelöst. "Genau wie auch bei Ferrari und das hat sicher mit der Hinterachse zu tun, die Haas eins zu eins aus Maranello bekommt", so der 36-malige Grand-Prix-Starter. Er sehe zwar nicht, "dass der Haas besonders viel schneller geworden ist". Aber: "Nico Hülkenbergs Zeit war nicht von schlechten Eltern. Ich denke nicht, dass Haas für die Rote Laterne automatisch gesetzt ist."
Nico Hülkenberg gab in Bahrain natürlich ebenfalls Interviews. Wie Max Verstappen strahlte der Deutsche nicht. Immerhin: Sonderlich betrübt guckte er auch nicht drein.
Quelle: ntv.de