Geheimfavorit oder nur ein Hype? Alabas Österreich steht vor Reifeprüfung

Es geht zu Sache: Marko Arnautovic (l.) und David Alaba im Training.

Es geht zu Sache: Marko Arnautovic (l.) und David Alaba im Training.

(Foto: picture alliance / dpa)

Wie gut ist Österreich wirklich? Gegen Ungarn greifen auch David Alaba, Marko Arnautovic und Co. in die EM ein. Im Land und bei vielen Experten ist die Erwartungshaltung groß - aber die Vorbereitung verlief holprig.

Man kann es sich heute schwer vorstellen, aber es ist noch nicht so lange her, da war David Alaba in Österreich ein Niemand. Vor der EM 2012 gastierte die Nationalelf im Trainingslager in Tirol, der Landeshauptmann Günther Platter gab sich die Ehre und begrüßte die Auswahlspieler. Als er Alaba sah, fragte er nur: "How do you do?" Die Antwort: "Danke, gut. Sie können ruhig Deutsch mit mir reden, ich bin Österreicher."

Es hat sich viel geändert seitdem. Alaba ist mittlerweile eine "Lichtgestalt", wie sein Teamkollege Julian Baumgartlinger jüngst im "Kicker" sagte. Das ist nur leicht übertrieben: kein Werbeblock, keine Plakatwand ohne den Bayern-Star, der in der Skifahrernation schon zweimal zum Sportler des Jahres gewählt wurde. Parallel zum Aufstieg des Wieners zum Weltstar hat sich die Nationalmannschaft zum "neuen Wunderteam" entwickelt. Vor der EM 2012 fand sich das Team nur für Freundschaftsspiele zusammen und fuhr dann nach Hause. Dieses Mal fuhren sie zum Turnier nach Frankreich, für manche sogar als Geheimfavorit. Im Auftaktspiel heute (18 Uhr, ZDF) gegen Ungarn in Bordeaux wird sich zeigen, ob Österreich wirklich schon so weit gereift ist – oder ob die Experten und Fans nur einem Hype erlegen sind.

Warum "neues Wunderteam"?

Als "Wunderteam" gilt die österreichische Nationalmannschaft, die von 1931 bis 1934 das beste Team Europas war. Es absolvierte 14 Spiele ohne Niederlage und schlug dabei unter anderem Schottland, das zuvor noch nie auf dem Kontinent besiegt worden war. Prägender Spieler war der "Papierne" Matthias Sindelar, der mit der Wiener Austria zweimal den Mitropapokal gewann, den wichtigsten Vereinswettbewerb in Europa vor dem Zweiten Weltkrieg.

"Die Erwartungshaltung in Österreich ist sehr groß", sagte der Coach Marcel Koller auf der Abschluss-Pressekonferenz am Montag. Daran ist der Schweizer nicht ganz unschuldig. Als er im November 2011 das Amt übernahm, hatte Österreich gerade die Qualifikation zur EM 2012 verpasst und stand in der Weltrangliste auf Rang 72. Vier Jahre später hatte das Team nach einem fulminanten 4:1 in Schweden das Ticket nach Frankreich sicher und kletterte bis auf Rang zehn der Weltrangliste. Das "neue Wunderteam" war geboren.

Gegen Ungarn erlebt es seine erste echte Prüfung seit dem Auswärtssieg in Schweden im September. Koller rechnet mit einem gut organisierten, defensiv orientierten Gegner. Es werde eine "Heidenarbeit" gegen das Team aus dem Nachbarland, sekundiert Kapitän Christian Fuchs.

Viele kleine Baustellen

Koller hat die Spieler akribisch auf den Gegner eingestellt, die taktische Marschroute soll angeblich schon seit Wochen klar sein. In der Turniervorbereitung hatte sich das ÖFB-Team noch ohne schlüssiges Konzept präsentiert, gegen Malta gelang nur ein 2:1-Sieg, die Niederlande war beim 0:2 in Wien gedankenschneller, spritziger und effizienter. Torwart Robert Almer hat nach einer Knieverletzung noch nicht zu alter Form gefunden und gibt der Abwehr keinen sicheren Halt, außerdem steht mit dem ebenfalls nicht topfitten Marc Janko nur ein wirklich treffsicherer Stoßstürmer zur Verfügung.

Für den n-tv.de Experten und ehemaligen Nationaltrainer Joachim Hickersberger alles keine Gründe, an einem Sieg gegen die Ungarn zu zweifeln: "Österreich ist als Team viel weiter. Sie sind eingespielt, die Automatismen stimmen." Er traut Alaba und Co. sogar Rang eins in der interessanten Gruppe F zu. "Als Mannschaft stehen sie, glaube ich, über Portugal."

Zumal Österreich mittlerweile auch individuell in einer viel höheren Liga spielt als noch bei der Heim-EM 2008, als Hickersberger mit seiner Mannschaft in der Gruppenphase scheiterte: Kapitän Christian Fuchs bringt als Premier-League-Champion viel Selbstvertrauen mit, Marko Arnautovic hat eine gute Saison bei Stoke hinter sich, Innenverteidiger Aleksandar Dragovic von Dynamo Kiew steht bei diversen Champions-League-Klubs auf dem Zettel. Und dann ist da ja noch David Alaba, den Koller auf seiner Lieblingsposition im zentralen Mittelfeld aufbietet, der aber derzeit noch seine Form sucht. Im Spiel gegen Malta unterlief ihm sogar ein skurriles Eigentor, als er einen Rückpass blind Richtung Tor spielte, aus dem sich Torhüter Ramazan Öczan gerade herausbewegt hatte.

"Er hat bei den Bayern zu viel gespielt", sagt Joachim Hickersberger. "Das wird im Laufe des Turniers besser. Ich erwarte einen sehr starken Alaba." Der 23-Jährige selbst teilt die Kritik an seinen jüngsten Auftritten, gibt sich aber zuversichtlich: "Ich weiß, dass ich immer besser in den Rhythmus komme", sagte er am Rande des ÖFB-Camps in Mallemort. "Ich bin ein flexibler Spieler, der auch in einem Spiel mehrere Positionen spielen kann. Das habe ich schon oft bewiesen. Ich kenne meine Stärken und glaube an mich selbst."

Die Fans glauben ohnehin an Alaba und seine Kollegen. Mehr als 300.000 Kartenanfragen verzeichnete der österreichische Verband, nur 45.000 Tickets waren verfügbar. Toni Polster, in Kölner Zeiten für seine Kollaboration mit den "Fabulösen Thekenschlampen" berüchtigt, nahm mit der Band Heinz aus Wien einen EM-Song auf, der Titel: Das neue Wunderteam. "Wenn schon denn schon, wir spielen um den EM-Thron", heißt es im Song, der durchaus die Stimmung der Anhänger trifft. "Die Fans trauen uns den Titel zu", sagte Julian Baumgartlinger im "Kicker"-Interview, "das ist toll. Aber als Mannschaft sollten wir uns eher kurzfristige Ziele setzen." Also: Erst Ungarn, Portugal und Island. Dann das Vergnügen.

Quelle: ntv.de

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