Gar nicht mal so scheiße, oder? Gemach, Zen-Meister Löw schafft das
13.06.2016, 14:08 Uhr
(Foto: imago/Jan Huebner)
Einen besseren Auftaktgegner als die Ukraine hätte sich die DFB-Elf bei der EM nicht wünschen können. Knallhart offenbaren die Osteuropäer die Schwächen der deutschen Mannschaft und helfen dem Bundestrainer dabei, richtig nachzujustieren.
Im Ruhrgebiet, wo das Herz des Fußballs schlägt, da gibt man sich gerne dem seichten Pessimismus hin. "Die gleiche Scheiße wie letzte Saison" ist so ein Satz, den der leidensfähige Fan gerne mal rausfeuert, wenn die Mannschaft auf dem Feld nicht das liefert, wofür der Fan meint, bezahlt zu haben. Dabei ist egal, ob es letzte Saison tatsächlich scheiße war, Hauptsache moppern. Seit einiger Zeit, präziser gesagt, seit der durchgerumpelten EM-Qualifikation, begleitet dieses Phänomen auch die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Und so gibt es bereits jetzt wieder erste Schwarzmaler, die nach dem wackeligen 2:0-Erfolg (dem übrigens bislang höchsten in diesem Turnier) zum EM-Auftakt gegen die Ukraine stöhnen: "Was war das denn bitte?"
Nun, die Antwort ist so simpel wie ernüchternd: Das gestern, das war ein typisches Auftaktspiel. Ein bisschen gut, ein bisschen schlecht - macht in der Summe also ein klassisches: so mittel. Und das wiederum ist doch eigentlich ganz gut. Denn anders als die fürchterlich nervösen Franzosen, die sich gegen mutige Rumänen erst dank eines späten Hammers von Dimitri Payet (2:1) über die Ziellinie retteten und die Engländer, die gegen Russland 45 Minuten rauschhaft spielten, dann aber wie eine leere Autobatterie dem Ausgleich entgegenstotterten (1:1), hat sich die DFB-Elf, auch dank eines überragenden Manuel Neuer, schadlos gehalten. Einigermaßen souverän gewonnen, freilich ohne zu glänzen.
Bundestrainer Joachim Löw hat die Leistung seiner Auswahl so gelassen zur Kenntnis genommen wie eigentlich alles, was in den vergangenen Wochen rund um die Nationalmannschaft passiert ist: Ob die Kritik an der Nominierung seines dauerverletzten Kapitäns Bastian Schweinsteigers, der gestern das 2:0 erzielte, den erneuten Ausfall von Marco Reus oder aber den Kreuzbandriss von Antonio Rüdiger. Mit der inneren Ruhe eines Zen-Meisters hat er all das über sich ergehen lassen. Seine unausgesproche, aber stets ausgestrahlte Botschaft: Wir schaffen das. Zweifel? Keine Zweifel. Und so erklärte er am späten Sonntagabend in aller Ruhe: "In der ersten Halbzeit war ich nicht in diesem Maße zufrieden, wie ich es in der zweiten Halbzeit war."
Wo blieb der vermeintliche Angriffswirbel?
Die überraschend forschen Ukrainer waren folglich ein perfekter Auftaktgegner. Nicht zu schwach, um keine ehrlichen Erkenntnisse aus dem Spiel ziehen zu können. Nicht so stark, um böse überrumpelt zu werden. Die Ukrainer waren einfach gut. Vor allem auf den offensiven Außenbahnen waren sie das, mit ihren Topleuten Yevhen Konoplyanka und Andrej Yarmolenko. Das schnelle, technisch höchst veranlagte Duo offenbarte, wie vom Bundestrainer analysiert, in der ersten Halbzeit knallhart, welche handwerkliche Schwäche die Löw-Elf derzeit noch hat - nämlich die defensive Organisation. Daran, so hatte Co-Trainer Thomas Schneider noch zwei Tage vor dem Spiel erklärt, sei seit den Testspielen gegen die Slowakei (1:3) und Ungarn (2:0) kräftig nachjustiert worden, die Formel für das erfolgreiche Zusammenwirken von den Männern in der Viererkette und den Männern aus dem defensiven Mittelfeld hat das Trainerteam aber augenscheinlich noch nicht vollends hergeleitet.
Dass gegen Polen - nächster deutscher Gegner am Donnerstag (ab 21 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) - aller Voraussicht nach Innenverteidiger Mats Hummels zurückkehrt und wie beim WM-Triumph in Brasilien den Platz an der Seite des gegen die Ukraine so starken Jerome Boateng einnehmen wird, dürfte die erfolgreiche Anwendung einer Defensivformel deutlich vereinfachen.
Bleibt also noch die Offensive. Die war vor den Titelkämpfen nicht unbedingt als Baustelle ausgemacht worden. Schließlich wusste man beim DFB doch um die überragende Form der zentralen Figuren Mesut Özil und Toni Kroos sowie um den immer unberechenbaren Thomas Müller. Ergänzt um den bei Löw immer aufblühenden Mario Götze und den in der Türkei wiedererstarkten Torjäger Mario Gomez fühlte sich das Team stark genug, jeden Gegner vor Probleme stellen zu können.
Das Spiel in Lille aber offenbarte Unerwartetes: Der vermeintliche Angriffswirbel kam so gar nicht ins Wirbeln, was allerdings nicht an irgendwelchen ukrainischen Abwehrmonstern lag. Weder Özil (auch wenn er das 2:0 vorbereitete) noch Götze und schon gar nicht Müller hatten aufregend spielprägende Momente. Warum das so war? Dass wissen sie wohl nur selbst. Lediglich Kroos lieferte seriös ab. Da aber auch Julian Draxler als letztes Mitglied des Kommandos Attacke bei allem Engagement nicht als Lichtgestalt in Erinnerung bleibt, muss die Offensivschraube ebenfalls dringend nachjustiert werden.
"Das erste Spiel ist wegweisend", hatte Shkodran Mustafi, Hummels-Vertreter und Torschütze zum 1:0, noch am Sonntagabend erklärt. Dieser Weg, so viel ist nun klar, ist sehr arbeitsreich. Immerhin wissen sie im DFB-Lager aber nun, was zu tun ist. Und das ist, liebe Schwarzmaler, doch gar nicht mal so scheiße, oder?
Quelle: ntv.de