Deutschland, ein Stürmer-Problem Müllers qualvolle Suche nach dem DFB-"Lewy"
19.06.2021, 06:37 Uhr
Wer nur soll Müllers DFB-Lewandowski werden und seine Vorlagen verwerten?
(Foto: imago images/Sven Simon)
Die Offensive der Nationalelf lahmt auch mit Vorlagen-König Thomas Müller. Der Bayern-Profi findet einfach nicht den richtigen Abnehmer, einen kopfballstarken Strafraumstürmer gibt es in der DFB-Elf nicht. Können Werner oder Volland es richten - oder muss die Geheimwaffe her?
21 Vorlagen gelangen Thomas Müller in dieser Spielzeit. Der Topwert in der Bundesliga. 21 Assists waren es auch in der Saison 2019/20. Bei diesen Auftritten und Werten konnte Bundestrainer Joachim Löw nicht mehr vorbei am Bayern-Star. Doch in der ersten Partie der deutschen Nationalmannschaft wirkte Müller seltsam verloren. Genauso wie der Rest der Offensive. Das mag auch daran liegen, dass dem Bayern-Profi sein Lieblings-Mittelstürmer und -Abnehmer fehlt im deutschen Spiel.
Dieser heißt - wen wundert's - Robert Lewandowski. Sieben seiner 21 Assists in diesem Jahr, also genau ein Drittel, landeten beim Polen. In der Spielzeit 19/20 war es sogar noch eine Müller-Vorlage mehr, die der Torjäger verwandelte. Das Problem: In der DFB-Elf gibt es keinen Lewandowski. Den Superstürmer zu kopieren, schafft bekanntlich keine Mannschaft der Welt. Nur die Polen haben neben den Bayern das Glück, den Weltfußballer in ihren Reihen auflaufen lassen zu können.
Die deutsche Nationalmannschaft hat aber nicht mal annähernd solch einen Verwerter oder Spielertyp. Das stört das Müller'sche Spiel. Denn wem soll er die Bälle zuspielen, zulöffeln, oder zumüllern, wenn niemand mit kaum antrainierbarem Torinstinkt am Fünfmeterraum wartet? Wenn niemand brachial zum Kopfball hochsteigt oder nach einem Pass von außen einfach mal auf gut Glück (und Vertrauen ins eigene Tore-Schießen-Können) abzieht?
Werner und Volland als Stoßstümer?
Timo Werner vom FC Chelsea und Kevin Volland von AS Monaco fallen da am ehesten ins Auge. Sie sind die einzigen nominellen "echten" Stürmer in Löws Kader. Aber beide sind keine Lewandowskis oder Miro Kloses - den WM-Rekordtorschützen hatte Müller bis zur 2014 mit Vorlagen füttern können. Serge Gnabry und Kai Havertz können auch ganz vorne spielen, allerdings sind sie keine gelernten Mittelstürmer und ziehen qua Ausbildung immer wieder aus dem Strafraum heraus.
Aber genau diese Besetzung in der Box braucht die DFB-Elf. Ein Stürmer, der immer lauert. Der die Abwehr stresst. Der stets für Gefahr sorgt. Das fehlte komplett im Spiel gegen Frankreich. Werner braucht Platz, er kommt mit viel Tempo aus der Tiefe. Für das deutsche Gegenstoß-Spiel der WM 2010 wäre er perfekt gewesen. Zwar ist er stark im Abschluss, aber gerade, wenn ein Gegner kompakt und tief steht, kommt er nicht zum Zug. Mit seinen gerade einmal 180 Zentimetern ist er kein Kopfballungeheuer - und Löw will eigentlich vermehrt über die Außen spielen lassen. Zudem fehlt dem Chelsea-Stürmer trotz des Sieges in der Champions League das Selbstvertrauen nach einer sehr schwierigen Saison. Mit Müller zusammengespielt hat Werner auch erst sehr selten.
Kevin Volland ist noch einen Zentimeter kleiner als Werner. Aber er ist bulliger, kann sich mit seiner Physis besser durchsetzen. Ebenfalls scheint Volland stressresistenter zu sein als Werner. Da er vor dem Tor nicht lange fackelt und eine sehr gute Technik und einen starken linken Fuß besitzt, könnte er ein Mann für Müllers Vorlagen werden. Aber auch der Mann von AS Monaco zieht sich selbst als nominelle Spitze lieber zurück, ist ähnlich wie Gnabry und Havertz überall zu finden, wenn sie auf der "9" spielen. Eine hängende Spitze also eher als ein Stoßstürmer, der tief stehende Gegner ärgern kann.
Löw schmiss Volland in den Schlussminuten gegen Frankreich in die Partie - allerdings, viele staunten und rätselten, auf der Position des linken Verteidigers. Auch Werner durfte sich versuchen. Beide machten ihre Sache nicht gut, beide konnten keine Punkte sammeln, um gegen Portugal in der Startelf zu stehen. Trotzdem muss der Bundestrainer etwas ändern, schließlich will man dem besten Vorlagengeber der Liga auch einen Abnehmer zur Seite stellen.
Geheimwaffe Goretzka und Systemwechsel
Das Dilemma lautet aber in einem Satz: Einen typischen, kopfballstarken Strafraumstürmer gibt es schlichtweg nicht im Kader der Nationalmannschaft. Genauso wenig wie einen brandgefährlichen Einwechsler, der direkt mal für ein Joker-Tor sorgen könnte. Ob Löw doch Nils Petersen hätte reaktivieren sollen? In dieser Saison erzielte der Mittelstürmer aber lediglich acht Treffer. Obwohl Jamal Musiala drei seiner sechs Bayern-Tore als Joker schoss, dürfte der 18-Jährige nicht zu Löws Option Nummer eins von der Bank werden.
Was tun also? Nun, die Gefahr des DFB-Teams muss eher aus einer fluiden Offensive à la Manchester City stammen - ohne hier einen Vergleich zum perfekt eingespielten Starensemble von Pep Guardiola ziehen zu wollen. Würde Löw aber die Dreierkette aufgeben, hätte er Platz für einen weiteren offensiven Mann. Der torgefährliche İlkay Gündoğan könnte wie unter Guardiola offensiver agieren, bei den Skyblues avancierte er so zum Toptorjäger in dieser Spielzeit. Auch Joshua Kimmich im Mittelfeldzentrum würde mehr Chancen bedeuten, weil der Bayern-Chef sich außen gegen Frankreich nie wirklich wohlgefühlt hatte.
Joachim Löw zeigte sich jedoch schon manches Mal eher beratungsresistent. Dann könnte es wieder schlecht aussehen um die Offensive um Assist-König Thomas Müller. Immerhin kehrt vielleicht Geheimwaffe Leon Goretzka zurück. Der ist zwar kein Robert Lewandowski, dafür aber kopfballstark - und in dieser Saison legte ihm Müller schon drei Tore auf.
Quelle: ntv.de