DFB-Team in der Einzelkritik Unglaubliche Popp lehrt England schon mal das Fürchten

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Für Alexandra Popp müssen neue Superlative erfunden werden. Die Kapitänin ist es, die die deutsche Fußball-Nationalmannschaft mit ihren zwei Toren ins EM-Finale gegen England führt (Sonntag, 18 Uhr/ARD, DAZN und im ntv.de-Liveticker). Die Französinnen kommen zwar zu Chancen und auch zu einem Treffer, doch das deutsche Kollektiv beweist einmal mehr seinen extremen Zusammenhalt. Besonders beeindruckend sind auch die Leistungen der beiden Jüngsten in der DFB-Elf.

Merle Frohms: Es ist passiert, die deutsche Torhüterin hat das erste Tor bei dieser EM kassiert. Und es unglücklicherweise sogar selbst gemacht, der Treffer zum 1:1 in der 44. Minute geht zumindest in der Statistik auf ihre Karte. Doch sie traf keine Schuld. Den Schuss von Diani von der Strafraumgrenze lenkte sie an den Pfosten, der Ball sprang ihr an den Rücken - und ins Tor. Doch davon ließ sich die zukünftige Torhüterin des VfL Wolfsburg nicht aus der Ruhe bringen, in der zweiten Hälfte parierte sie mit einem starken Reflex nach einem Kopfball von Wendie Renard (67.). Der Ärger war schnell verraucht: "Wir haben gewonnen!"

Giulia Gwinn: Wie gut die Bayern-Verteidigerin war, wird Delphine Cascarino in Erinnerung behalten. Eine der bis dahin besten Spielerinnen dieses Turniers war fast komplett abgemeldet - und wurde entnervt nach einer Stunde ausgewechselt. Es war der Verdienst der 23-Jährigen, die mit unbändiger Energie und starkem Zweikampfverhalten beeindruckte. Das Zusammenspiel mit der neu ins Team gerückten Jule Brand funktionierte gut, sie harmonierten auf dem Weg Richtung Tor. Zwar hatte sie wie üblich eine deutlich offensive Ausrichtung, half aber gut nach hinten mit, entschärfte etwa als letzte Frau in der 60. Minute einen gefährlichen Ball. Nahm in der 74. Minute auch eine Gelbe Karte in Kauf, als ihr Sakina Karachoui beinahe entwischt wäre. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg lobte nach dem Spiel die Entwicklung der Verteidigerin, wie sehr sie seit der WM vor drei Jahren gereift sei.

Kathi Hendrich: Das 1:1 hat die Innenverteidigerin mitzuverantworten, Kadidiatou Diani entwischte ihr unglücklich in der 44. Minute, so entstand der Schuss, der letztlich ins Tor ging. Engagement war der Wolfsburgerin aber nicht abzuschreiben, sie ging weite Wege und hielt in der 63. Minute gnadenlos gegen sich selbst ihr Gesicht in einen Schuss von Selma Bacha. Kurz schütteln, weiter ging's. Allerdings nicht so präzise wie zuletzt gegen Österreich.

Marina Hegering: Noch nie stand die Verteidigung in diesem Turnier so unter Druck wie in diesem Halbfinale. Noch nie musste die 32-Jährige gegen eine so große Gegnerin wie Wendie Renard verteidigen. Sie verrichtete ihren Job mit der gewohnten Ruhe als letzte Frau. Zwar kam nicht jeder Pass an, sie gewann nicht jedes Duell, doch konnte sie sich auf ihre Kolleginnen verlassen, die sie erneut gut dirigierte. Wie schon gegen Österreich machte sie überraschende Ausflüge in die gegnerische Hälfte, stiftete mit offensiven Aktionen Verwirrung bei den Französinnen. Leicht angeschlagen verließ sie in der 81. Minute humpelnd den Platz.

Sara Doorsoun (ab 81.): Die Frankfurterin kam hinein in eine kribbelige Schlussphase, in der Frankreich noch mal alles nach vorn warf, auf den Ausgleich drängte, um eine Verlängerung zu erzwingen. Die 30-Jährige blieb cool.

Felicitas Rauch: Mit Kadidiatou Diani hatte sie ein besonders schweres Los gezogen, bewies aber ihr Können. Die extrem schnelle Französin hatte sie mithilfe ihrer Kolleginnen vor allem in der ersten Hälfte weitgehend im Griff. In der zweiten Halbzeit stand die Wolfsburgerin aber nicht immer sicher, offenbarte wie im Viertelfinale Schwächen, die Hegering und Co. ausbügelten. Doch sie nutzte ihren Platz nach vorn, spielte gute öffnende Pässe - wie etwa in der 49. Minute auf Svenja Huth, die sich den Ball nur ein wenig zu weit vorlegte.

Lina Magull: Es hätte die erste gute Torchance der Deutschen werden können, als Lina Magull in der 6. Minute nach einem öffnenden Pass zu ihr eigentlich schon durch war. Doch sie machte es zu kompliziert, anstatt es selbst zu probieren. Schließlich drehte sie erfolglos ab. Der offensive Esprit entfaltete sich bei der 27-Jährigen diesmal nicht. Allerdings hatte sie es auch mit Wendie Renard zu tun - 1,66 Meter Körpergröße gegen 1,87 Meter, eine komplizierte Aufgabe. Es wirkte sich aber auch auf ihre Körpersprache aus: Die Bayern-Spielerin wirkte zwischenzeitig arg angefressen, ob der Privatfehde, die sie sich auch verbal mit Renard lieferte. Genervt war sie auch von der Schiedsrichterin, wie sie hinterher sagte: "Es wurden fast keine Fouls für uns gepfiffen, das ist nicht fair." Der Frust saß tief, so war es der logische Schluss, dass sie in der 68. Minute ausgewechselt wurde.

Linda Dallmann (ab 68.): In der 90. Minute hätte sie alles klarmachen können, die Bayern-Spielerin hatte das 3:1 auf dem Fuß, vergab aber aus kurzer Distanz. Auch sonst war sie zwar fleißig, aber nicht ganz so offensiv-kreativ wie noch gegen Österreich. Dies lag aber auch daran, dass die 27-Jährige viel gegen den Ball mitarbeiten musste.

Lena Oberdorf: Vor dem Spiel hatte die 20-Jährige noch gesagt: "Ich dachte auch, ich hätte schon gelernt, ohne Gelbe Karte durchs Spiel zu kommen, aber das hat in den ersten beiden Spielen doch nicht so gut funktioniert, deswegen bleibe ich da noch dran." Nun, gegen Frankreich kann sie zumindest hinter dieser Aufgabe keinen Haken machen. Zu rüde räumte sie Diani in der 94. Minute mit einer Grätsche ab, traf deren Bein und sorgte so noch einmal für etwas Bangen bei einem Freistoß. Doch den Ball klärte sie dann selbst per Kopf aus der Gefahrenzone und machte ihren Fehler damit wieder gut. Wie sie überhaupt alles andere wieder überragend gut machte. Die Wolfsburgerin war erneut unfassbar stark in Zweikämpfen, schonte sich nicht und kann zunehmend gut lesen, wohin die Bälle kommen. Aus dem Team ist sie nicht mehr wegzudenken, umso banger waren die Blicke von der Bank, als sie in der 56. Minute die Hand von Bacha ins Gesicht bekam und behandelt werden musste. Kurze Zeit später spielte sie weiter als wäre nichts passiert.

Sara Däbritz: Der 28-Jährigen kam die exklusive Aufgabe zu, gegen ehemalige und zukünftige Teamkolleginnen zu spielen. Von Paris St. Germain wechselte sie zum erfolgreichsten Klub der Welt, Olympique Lyon. Die Mittelfeldstrategin bestand vor allem defensiv, half gekonnt aus, doppelte gemeinsam mit Mitspielerinnen französische Angriffsversuche. In die Offensive schaltete sie sich nicht so extrem ein, spielte aber kluge Pässe nach vorn. Wurde in der 68. Minute ausgewechselt.

Sydney Lohmann (ab 68.): Wie zuvor Däbritz musste die in der vergangenen Saison lang an der Hüfte verletzte Sydney Lohmann vor allem Defensivarbeit verrichten. Die Bayern-Spielerin bewies dabei Ruhe, eine gute Übersicht und dass sie ihren Körper gut in den Ball stellen kann. Ein Auftritt, der zeigt, dass sie zu Recht bei der EM dabei ist.

Svenja Huth: Aufgrund des Ausfalls von Klara Bühl und der Hereinnahme von Jule Brand in die Startelf wechselte die Wolfsburgerin auf die linke Seite. Der 31-Jährigen konnte es egal sein, wo sie Tempo machte, welche Seite sie auf und ab sprintete. Sie machte einfach da weiter, wo sie in den Spielen zuvor aufgehört hatte - mit starkem Dribbling, viel Geschwindigkeit, großem Engagement. Doch sie wechselte auf rechts, bevor sie die Flanke für Popp zum 1:0 auflegte. Auch das 2:1 bereitete sie vor. Spätestens nach einem Foul, nach dem sie behandelt werden musste, wirkte es als wäre ihr Akku leer, ihre Auswechslung in der 91. Minute war aber sicherlich eher spielverzögerungstaktischen Gründen geschuldet.

Tabea Waßmuth (ab 90.): War noch dabei, ohne in den wenigen Minuten Akzente setzen zu können.

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Jule Brand: Mit 19 Jahren ist sie die jüngste Spielerin im DFB-Kader. Ihre erste Partie in der Startelf war dann ausgerechnet direkt das Halbfinale, was für eine Aufgabe! Eine, die sie überraschend auf rechts statt auf links begann, und die sie äußerst engagiert erledigte. Nach hinten agierte sie diszipliniert, mit schönem Zusammenspiel mit Gwinn und klugen Ideen. Und in der zweiten Halbzeit setzte sie auch zunehmend ihre Geschwindigkeit ein, um für Offensivwirbel zu sorgen. Sie war die Vorbereiterin zum 1:0 in der 40. Minute als sie vom Flügel aus den Ball an die Strafraumgrenze zu Huth weiterleitete. Ein überaus gelungenes Startelf-Debüt.

Alexandra Popp: Es müssten neue Superlative für die Kapitänin des deutschen Teams geschaffen werden, die 31-Jährige hätte sie alle verdient. Völlig folgerichtig wurde sie als "Spielerin des Spiels" ausgezeichnet und hat aktiv Werbung für sich betrieben, auch den Titel als wertvollste Spielerin des Turniers zu erhalten. Ihren Spiel-Tor-Rekord baute die Wolfsburgerin weiter aus, traf zum fünften Mal im fünften Spiel (40.) - und gleich auch noch zum sechsten Mal (76.). Dabei ist Popp absolut keine, die nur im Strafraum auf Chancen lauert. In der 58. Minute etwa sprintete sie bis zum Strafraum durch, um den Ball vor Bacha zu verteidigen als Frankreich mit schnellem Umschaltspiel nach Balleroberung die deutsche rechte Seite überlistet hatte. Natürlich war Popp auch da erfolgreich.

Quelle: ntv.de

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