DFB-Gegner Spanien im Check Das Tiki-Taka-Original

Im Gegensatz zu Deutschland hat Spanien am ersten Gruppenspieltag der WM für Furore gesorgt. Das 7:0 gegen indisponierte Costa-Ricaner darf nicht überbewertet werden, aber die Spanier finden so langsam zu alter Stärke. Und das mit ihrer bekannten Art von Fußball.

Deutschland ist am Sonntag bereits zum Siegen verdammt, denn das zweite Gruppen-Aus bei einer WM in Folge droht. Dass ausgerechnet Spanien der Gegner der DFB-Elf ist, macht die Sache nicht leichter. Beide Mannschaften ähneln sich in vielen Aspekten.

Spielstil

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Ballbesitz, Ballbesitz, Ballbesitz. Spanien spielt das, was gerne landläufig als Tiki-Taka bezeichnet wird, aber liefert dabei keinerlei Indizien für die teils negative Konnotation des Begriffs. Der Ballbesitz und das Passspiel sind dynamisch. Gerade die Mittelfeldspieler gehen tief, breit oder steil. Es herrscht ständige Bewegung innerhalb des Teams. Spanien beweist, dass etwaige abschätzige Haltungen gegenüber Tiki-Taka ähnlich unnötig sind wie die ständigen Vorhersagen, dass Sergio Busquets kein Top-Spieler mehr wäre. Denn der 34-Jährige ist auch auf seine alten Tage weiterhin der Strippenzieher in der Mitte.

Stärken des Teams

Von den 23 nominierten Feldspielern sind über ein Dutzend nachgewiesene Ausnahmetechniker. Das Passspiel der Spanier funktioniert so gut, weil eigentlich alle Beteiligten - besonders in Mittelfeld und Angriff - selbst unter großem Druck noch den Ball zum nächsten Mitspieler bringen. Die Bälle gehen oftmals in den starken Fuß, selten muss bei Passannahmen nochmal nachgefasst werden und genau deshalb läuft das Pressing häufig ins Leere. Die beiden Mittelfeldakteure vor Sechser Busquets, Pedri und Gavi, gehören zu den besten Spielern in engen Räumen, die es momentan im Weltfußball gibt. Allein diese vier Silben stehen für technische Spitzenklasse.

Schwächen des Teams

Sicherlich wäre ein physischer Mittelstürmer mit konstanter Abschlussstärke von Vorteil, weil ansonsten nur der nicht immer zuverlässige Álvaro Morata zur Verfügung steht, aber eigentlich passt es zum spanischen Spiel, auf einen richtigen Mittelstürmer zu verzichten. In ihrer letzten Hochzeit, also zwischen 2010 und 2012, füllte oftmals Mittelfeldspieler Cesc Fàbregas die Rolle im offensiven Zentrum aus.

Problematischer ist die individuelle Qualität auf den Außenverteidigerpositionen. Wie nahezu jede Nation stehen Spanien verhältnismäßig wenig hochqualifizierte Außenverteidiger zur Verfügung, weshalb Cheftrainer Luis Enrique weiterhin auf die Routiniers César Azpilicueta und Jordi Alba vertraut. Die Außenverteidiger sind wichtig, um Verlagerungsbälle aus dem Zentrum aufzunehmen und Angriffe ins letzte Drittel zu tragen. Mit einem cleveren taktischen Setup gelingt es, beide gut ins Offensivspiel einzubinden, müssen sie allerdings Konterangriffe verteidigen, fehlt den beiden 33-Jährigen ein wenig das Tempo.

Schlüsselspieler

Auch Busquets gehört mittlerweile zur Riege der Mit-Dreißiger. Aber im Gegensatz zu Azpilicueta und Alba braucht er nicht unbedingt Tempo im offenen Raum. Ohnehin wird bei der Bewertung von Busquets zu oft auf seine augenscheinliche Trägheit verwiesen. Busquets war selbst mit 25 nicht schnell. Bis heute reicht seine Übersicht und seine präzise Ballführung, um rechtzeitig Abspiele zu vollziehen, bevor das gegnerische Pressing zugreifen kann. Er liest das Spiel besser als fast jeder andere Fußballer und ist deshalb als Strippenzieher im Mittelfeld immer noch wichtig. Was Casemiro für Brasilien oder Declan Rice für England mit Athletik bewerkstelligen, muss Busquets vor allem mit Köpfchen machen.

Wie muss Deutschland gegen Spanien spielen?

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Das ist die Eine-Million-Euro-Frage. Angesichts der Kompaktheitsprobleme, die Deutschland bereits in der zweiten Halbzeit gegen Japan offenbarte, wird Hansi Flick eventuell auf ein 4-3-3 umstellen, um ein Mittelfeldtrio gegen Spanien aufzubieten. Das könnte die eigene Passzirkulation in manchen Spielphasen vereinfachen und gleichzeitig mehr Kompaktheit gegen Passsequenzen Spaniens bieten. Aber eine solch simple Umstellung wird nicht ausreichen.

Es ist davon auszugehen, dass Deutschland zur Abwechslung mal nicht mehr Ballbesitz als der Gegner hat und eher etwas reaktiver agieren wird als gewohnt. Deutschland muss versuchen, jeweils zwei Spieler um Gavi und Pedri zu postieren. Das wären im Normalfall ein Mittelfeldspieler sowie einer der offensiven Halbstürmer, also zum Beispiel İlkay Gündoğan und Jamal Musiala links sowie Leon Goretzka und Serge Gnabry rechts. Die Pärchen müssten sich immer entsprechend an den Bewegungen der Spanier orientieren, dürften aber die Mitte nicht total aufgeben, wenn sich entweder Pedri oder Gavi auf die Außenbahn bewegen, denn durch die Pärchenbildung um die zentraloffensiven Mittelfeldspieler Spaniens soll auch um Busquets herum Kompaktheit erzielt werden.

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In solch einer Formation würde Deutschland bewusst die spanischen Innenverteidiger eher in Ruhe lassen, aber diese sind ohnehin nur diejenigen, die den Spielaufbau der Spanier einleiten, aber selten die entscheidenden Spielakzente setzen. Durch die Pärchenbildung gegen Gavi und Pedri hätte Deutschland zudem die Möglichkeit, nach Ballgewinnen entweder Musiala oder Gnabry nach vorn zu schicken.

Gerade Gnabry - oder auch Leroy Sané als personelle Alternative - könnte im besten Fall mit Tempo in die Lücken hinter Pedri und auch einem aufgerückten Jordi Alba rutschen. Deutschland kann kontern, nur die taktische Struktur muss passen, ansonsten laufen sich auch die an sich starken Dribbler der DFB-Auswahl fest.

Quelle: ntv.de

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