WM-Fahrer in der Einzelkritik Ein Stürmer - und sonst (noch) nix

Retter in der Not: Niclas Füllkrug.

Retter in der Not: Niclas Füllkrug.

(Foto: IMAGO/Ulmer/Teamfoto)

Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar kommt, daran gibt es keinen Zweifel. Aber kommt sie für die deutsche Nationalmannschaft womöglich zu früh? Der erste und einzige Test gegen den Oman (1:0) offenbart zahlreiche (bekannte) Schwächen. Allerdings nutzt der Bundestrainer das Duell auch für personelle Experimente. Manche gehen schief, andere machen Hoffnung für das umstrittene Turnier in der Wüste. Das Tor zum Sieg erzielt der Bremer Debütant Niclas Füllkrug spät. Unsere Einzelkritik.

Manuel Neuer: Arbeitszeugnis erste Hälfte: Stand mal wieder zwischen den Pfosten. Das ist doch schon was. Zu tun bekam der von einer Schulterverletzung wieder genesene Kapitän aber wenig bis gar nichts. Das dürfte allerspätestens Gegen Spanien weitaus anders werden. Nach der Pause immerhin mal ein paar Aktionen ganz nach Neuer-Geschmack: mehrere Ausflüge an oder sogar bis über der Mittellinie. Ohne den nach wie vor angeschlagenen Chef-Kommunikator Thomas Müller rutschte er auch in diese Rolle. War der lautstarke Chef einer müden Truppe.

Lukas Klostermann: Wenig bis gar nicht auffällig, aber dann immerhin mal in der Nahaufnahme: Während der Abkühlungspause wird der Rechtsverteidiger von RB Leipzig angeschlagen ausgewechselt. Klostermann hatte vor der WM-Vorbereitung monatelang mit einem Syndesmosebandriss gefehlt und konnte der DFB-Defensive in seinen 30 Minuten Arbeitszeit dementsprechend wenig Sicherheit geben. Hatte immer wieder Probleme mit dem pfeilschnellen und technisch versierten Arshad Al Alawi. Ab der 34. Minute Armel Bella-Kotchap: Der bullige Abwehrhüne fügte sich in der Innenverteidigung direkt gut ein. Verlieh der wackeligen Defensive zunächst einige Sicherheit. Ließ sich von kleineren Gegenspielern in der zweiten Hälfte aber mehrfach zu einfach ausspielen und konnte die Lücken nicht komplett stopfen. Seine Athletik hilft zwar gegen die immer noch vorhandene Konter-Anfälligkeit, aber auch der junge Mann vom FC Southampton vermochte es nicht, diese DFB-Schwäche komplett einzustellen. Hatte Glück, dass sein verlorenes Laufduell, das durchaus ein Gegentor hätte bedeuten können, eine Viertelstunde vor Schluss wegen Abseits zurückgepfiffen wurde.

Thilo Kehrer: Rückte auf rechts nach Klostermanns Aus. Dort stabilisierte er sich, nachdem er in der Zentrale durchaus überfordert wirkte. Etwa als er am Fünfmeterraum einen verstolperten Ball der Omaner direkt zum Gegner springen ließ. Das mit der Überforderung galt anfangs aber für die gesamte Defensive. Hatte Pech, dass sein Schuss aus kurzer Distanz zu Beginn der zweiten Hälfte vom starken Torhüter Al-Mukhaini auf der Linie gestoppt wurde.

Matthias Ginter: Auch der Abwehrchef vom SC Freiburg konnte der deutschen Defensive zunächst keine Stabilität verleihen. Er hatte gegen die schnellen Attacken des Oman ein paar Stellungsfehler dabei, die indes nicht bestraft wurden. Hielt einmal heldenhaft den Kopf hin (beziehungsweise konnte nicht mehr ausweichen), als der Oman einen gefährlichen Distanzschuss abfeuerte. Wurde zur Pause ausgetauscht, was aber nicht leistungsbedingt war. Ein Bewerbungsschreiben für einen Stammplatz in Katar war die Leistung aber auch nicht. Ab der 46. Minute Nico Schlotterbeck: Die Abwehrspieler von Borussia Dortmund hatten zuletzt heftig einen auf den Deckel bekommen. Gegen Borussia Mönchengladbach waren er und seine Teamkollegen reihenweise überfordert worden. Daher dürfte Schlotterbeck nicht mit großem Selbstvertrauen und großen Hoffnungen auf einen Stammplatz bei der WM angereist sein. Sein 45-minütiger Auftritt gegen den Oman verlief ohne große Patzer (was sicher gut für sein Selbstvertrauen ist), aber auch ohne ergrätschte Empfehlungen für mehr als die Rolle des Reservisten.

David Raum: Bei Hoffenheim in der vergangenen Saison noch so etwas wie ein Flankengott, landeten seine Hereingaben gegen den Oman meist im Niemandsland und seine Ecken waren so ungefährlich, dass Gündogan übernehmen musste. Doch der Leipziger setzte kurz vor der Pause Moukoko gefährlich in Szene, der aber nur den Pfosten traf. Stammplatz bei der WM? Eher nicht. Ab der 46. Minute Christian Günter: ... mit einem Platz in der ersten Elf dürfte es für Raum auch eng werden, weil sein Herausforderer vom SC Freiburg deutlich präsenter war. Er sorgte für mehr Tempo und Gefahr. Allerdings war er beim Konter in der 72. Minute, bei dem der Oman auf ganz bittere Weise die Führung liegen ließ, nicht auf seiner Position. Und die Konterabsicherung, die ist und bleibt ein großes Thema. Die linke defensive Seite, sie bleibt eine Baustelle. Die vielleicht größte im DFB-Team.

Leon Goretzka: Da war der bayrische Spielfeld-Pflug schon auffälliger: Sein feiner Doppelpass mit Leroy Sané im Strafraum des Omans leitete die erste gute Situation der Nationalelf ein. Über den Bayern-Profi läuft auch der Aufbau des Angriffs, der in der Nachspielzeit der ersten Hälfte fast zur Führung durch Yousouffa Moukoko geführt hätte. Agierte in der Hitze von Maskat aber nicht so schwungvoll wie zuletzt in München. Ab der 46. Minute Joshua Kimmich: Der Mittelfeldchef war direkt bemüht, das Spiel an sich zu ziehen. Er forderte viele Bälle, versuchte viel. Dass Deutschland besser spielte, lag auch an ihm. Er musste seinen Offensivdrang aber zügeln und viele Sprints nach hinten machen. Gegen die Konter der Gastgeber war das DFB-Team die gesamten 90 Minuten anfällig.

Ilkay Gündoğan: Der Mittelfeldmotor von Manchester City bewies zwar wieder, dass er eine herausragende Technik und Ruhe am Ball besitzt, doch mit dem Durchsetzungsvermögen und der Intensität haperte es auch bei ihm mal wieder. Zeigte seine Torgefährlichkeit mit einem Fernschuss Anfang der zweiten Hälfte. Allerdings mangelte es ihm nicht an Einsatz. Ging als Sechser wichtige Wege mit nach hinten. So blockte er etwa einen Schuss von Jameel Al Yahmadi, der hätte gefährlich werden können. Drängt in die erste Elf, ob er sich aber im Zentrum tatsächlich gegen das Power-House Goretzka/Joshua Kimmich behaupten kann? Ab der 65. Minute Julian Brandt: Der Dortmunder gehörte im Klub zuletzt den Formstärkeren und deutete seine gute Verfassung an. Unmittelbar nach der Einwechselung schoss er knapp vorbei. Bleibt ein Ergänzungsspieler fürs Turnier in Katar. Kann als Joker aber wertvoll werden. Weil er eben einen herausragenden Schuss hat.

Jonas Hofmann: Der polyvalente und formstarke Spieler von Borussia Mönchengladbach blieb größtenteils blass. Leistete sich in der zweiten Hälfte einen ganz bösen Ballverlust, der zur größten Chance des Omans und beinahe zum Gegentreffer durch den komplett freistehenden Muhsen Al Ghassani führte. Hofmann spielte aber auch den öffnenden Pass auf Havertz, der schließlich für Niclas Füllkrug zum Sieg auflegte.

Kai Havertz: War der Einzige, der in der ersten Hälfte mal tiefe Läufe anbot. Ein Mittel, das der Flick-Elf komplett fehlte. Nahm den Doppelpass von Goretzka schön direkt, Oman-Keeper Al-Mukhaini parierte allerdings ebenso stark. In der zweiten Halbzeit mit untypischen Abspielfehlern und wenig Torgefahr. Füllkrugs Tor des Tages legte er dann aber überlegt auf. Konnte keine Werbung betreiben, dass er auf der "Zehn", seiner Lieblingsposition als Stammkraft in Katar an den Start geht. Gilt ohnehin eher als erste Option im Sturmzentrum, wobei er dort nun ordentlich Druck bekommt (siehe unten).

Leroy Sané: Blieb in der ersten Hälfte hinter seinen Möglichkeiten, besonders wenn man bedenkt, dass der Bayern-Offensivmann sich für die WM viel vorgenommen hat. Er zog aber wie die gesamte deutsche Elf das Tempo in der zweiten Hälfte an. Sein Tempodribbling an der linken Strafraumseite führte zur Ecke, die Kehrer beinahe zum 1:0 genutzt hätte. Wirkte insgesamt sehr unzufrieden mit sich und seinem Spiel.

Youssoufa Moukoko: Stand im Fokus, weil er der jüngste DFB-Debütant seit Uwe Seeler wurde. Danach schien aber die Aufregung Überhand zu gewinnen, denn dem BVB-Stürmer gelang gar nichts. Kurz vor der Pause spielte der 17-Jährige zu ungenau zu Sané, daraus entstand der nächste Konter des Oman. Über die linke Seite kommt der Außenseiter nach vorne, dann wird Al-Yahyaei rechts im Strafraum freigespielt. Der Schuss des Mittelfeldspielers wird gerade noch so geblockt. Dann aber hätte er fast doch noch für sein Highlight gesorgt und zwar in Mittelstürmer-Manier: Eine Flanke von links nahm er am Fünfmeterraum technisch stark an und vollendete direkt in hohem Tempo: Sein Schuss klatschte an den Pfosten.

Ab der 46. Minute Niclas Füllkrug: Ein weiterer Debütant ersetzte Moukoko nach der Pause und der Werder-Stürmer brachte frischen Wind ins Team. Dank seiner Präsenz im Strafraum konnten die deutschen Offensiven von außen ganz andere Bälle in die Mitte spielen. Bei einem verunglückten Rückpass der Omaner rannte Füllkrug auf einmal allein aufs Tor zu, weil er die Situation schnell roch. Seinen etwas zu wenig platzierten Schuss parierte der Torwart zur Ecke. Zehn Minuten vor Schluss bleibt der Angreifer dann eiskalt, indem er einen Havertz-Pass mit dem ersten Kontakt perfekt mitnimmt und dann überlegt am Keeper zum Siegtreffer vorbeilegt. Stand kurz danach nochmal (fast) goldrichtig, aber sein vermeintliches 2:0 zählte wegen einer Abseitsposition nicht.

RTL-Experte Steffen Freund wollte im TV sogar schon einen zarten Vergleich zu Miro Klose wagen, ruderte dann aber fix zurück und urteilte: "Füllkrug kommt seit Klose einer echten Nummer 9 am nächsten." Tatsächlich hat der Bremer in 45 Minuten viele Pluspunkte gesammelt und dürfte mindestens auf einige Kurzeinsätze kommen in Katar. Möglicherweise winkt "Lücke" aber je nach Gegner auch ein Startelfeinsatz. Als Hoffnungsträger sollte er aber nicht direkt auserkoren werden. Denn obwohl Klose 2002 auch keine internationale Erfahrung aufweisen konnte, muss Füllkrug seine unbestrittene Klasse noch gegen größere Nationen zeigen. Dann stehen auch die gefährlichen Jamal Musialas, Thomas Müllers oder Serge Gnabrys auf dem Feld und könnten Füllkrug den Rumpfelf-Platz rauben - oder ihn mit noch besseren Zuspielen füttern.

Quelle: ntv.de

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