
Dort, wo Bernstein immer saß, war ein Blumengesteck.
(Foto: picture alliance/dpa)
Anfang des Jahres starb völlig überraschend Hertha-Präsident Kay Bernstein. Die erste Partie nach dem Tod im Berliner Olympiastadion wird zur großen Trauerfeier mit vielen Emotionen.
Über die Zeit sammeln sich viele Tonaufnahmen auf einem Journalistenhandy. "Radio" Thomas Müller sendet, Philipp Lahm steht neben einem ICE, Rouven Schröder ärgert sich. Vieles verschwindet irgendwann in irgendwelchen Ordnern. Doch manches bleibt hängen. Besonders ein Sprachmemo: Die Datei heißt ganz unspektakulär "Olympiastadion 3". Sie dauert nur etwas mehr als drei Minuten und stammt vom 21. Januar dieses Jahres. Und so gewöhnlich das alles klingt, im gleichen Maße besonders ist sie. Die Datei hält fest, wie Menschen auf der Pressetribüne des Berliner Olympiastadions gegen Tränen ankämpfen und daran doch scheitern. Sie ist Zeugnis eines Moments menschlicher Wärme in der großen kalten Berliner Betonschüssel, die besonders im Winter immer etwas kälter ist, als Wetterapps es anzeigen.
Der 21. Januar war, nüchtern betrachtet, der Abschluss des 18. Spieltags in der 2. Fußball-Bundesliga. Zum Rückrundenauftakt trennten sich Hertha BSC und Fortuna Düsseldorf mit 2:2-Unentschieden. Der Blick auf die "Kicker"-Seite verrät, dass beide Trainer in ihren Startaufstellungen viermal umgestellt hatten. Hertha ging zweimal in Führung, kassierte aber beide Male den Ausgleich. Und mit dem Remis konnte man sich zumindest im Berliner Westend von den zarten Aufstiegsambitionen langsam verabschieden.
Aber an diesem Sonntag im Berliner Olympiastadion war das alles egal. Das Sportliche muss man heute nachlesen, denn es war nicht das, was verfing. Für Hertha BSC war es das erste Spiel nach dem großen Schock. Es war die erste Partie nach dem überraschenden Tod ihres Präsidenten Kay Bernstein, der am 16. Januar im Alter von 43 Jahren starb. In den Tagen zuvor wuchs auf dem Beton-Vorplatz des Stadions, direkt am Eingang, ein kleines Blumenmeer mit selbstgemachten Gestecken.
Mehr als 40.000 Menschen leiden mit
Und die besagte Tonaufnahme "Olympiastadion 3" dokumentiert die Rede, die der langjährige Stadionsprecher Fabian von Wachsmann vor dem Anpfiff gehalten hatte. In der seine Stimme, die den Klub durch alle Höhen und vor allem Tiefen der vergangenen zwei Jahrzehnte begleitet hat, bricht. Mit "Lieber Kay, es bricht uns das Herz", beginnt er und als er bei "Lieber Kay, du wirst in unseren Herzen immer weiterleben" ankommt, kann auch er nicht mehr. Das Stadion fängt ihn mit tröstendem Applaus auf. Eine einsame Pyrofackel brennt während der folgenden Schweigeminute. Es ist ein ergreifender Moment.
Vor allem zeigt dieser Moment, was dieser Präsident für den Klub bedeutet hat. Hertha hatte in der Big-City-Club-Ära viele Schlagzeilen geschrieben - die wenigsten waren positiv. Mit Bernstein, so hatte man das Gefühl, änderte sich das. Auch er musste unpopuläre Entscheidungen mittragen, etwa zum knallroten Wettanbieter auf dem Trikot als Hauptsponsor. Dennoch hatte er in den Herzen vieler Hertha-Fans einen besonderen Platz. Am Ende, so formulierte es auch Stadionsprecher Wachsmann, gab er den Menschen den Glauben an ihren Fußballklub zurück. "Du hast uns gezeigt, warum wir diesen Klub lieben", sagte er.
Die 42.902 Menschen, darunter natürlich auch Fans von Fortuna Düsseldorf, trafen sich an jenem Sonntag, um sich von Bernstein zu verabschieden. Sein Platz auf der Haupttribüne blieb leer. Ein Blumengesteck und ein blau-weißes Megafon erinnerten an den Hertha-Präsidenten, der aus der Kurve kam. Auch wenn er diese Erzählung nie mochte. Bernsteins sehr kurze Präsidentschaft bleibt ewig Teil von Hertha BSC, obwohl sie nur anderthalb Jahre hielt.
Und noch mehr: Er einte einen Klub, dessen Kompass im rauen Investorenmeer über Bord gegangen war und der die Orientierung verloren hatte. Der nicht mehr wusste, wofür er eigentlich steht. Worum es im Fußball eigentlich geht. Nämlich die Menschen, die sich regelmäßig zusammenfinden, um gemeinsam zu leiden, zu hoffen, zu jubeln - und, wie bei der Hertha an diesem Sonntag, zu trauern. Es waren vor allem die Visionen Bernsteins, die Fußballdeutschland zeigten, dass ein anderer Fußball möglich ist. Dass das erwirtschaftete Geld nicht der Selbstzweck eines Fußballklubs sein muss.
An der Hertha-Geschäftsstelle erinnert heute noch ein kleiner Apfelbaum an Bernstein, den er selbst gepflanzt hatte. Und da ist auch die Tonaufnahme von der Rede von Stadionsprecher Fabian von Wachsmann.
Quelle: ntv.de