Heckings Wolfsburg lässt verzweifeln Arrogantes Real kämpft um letzte Chance
07.04.2016, 11:47 Uhr
Weint er etwa? Cristiano Ronaldo am Mittellandkanal.
(Foto: imago/Eibner)
Wenn ein Spieler von Real sich zu einer peinlichen Schauspielerei hinreißen lässt, steht es schlecht um Madrid. Für den VfL Wolfsburg heißt das: Alles richtig gemacht. So viel Frust des Gegners muss man sich erst einmal verdienen.
Vielleicht wäre alles ganz anders gekommen, hätte der Treffer nach 72 Sekunden gezählt. Da war Real noch so aufgetreten, wie es alle von diesem Starensemble erwartet hatten, nicht zuletzt die Madrilenen selbst. Sie ließen den Ball laufen, ohne dass auch nur ein Wolfsburger die Chance hatte, ihn zu ergattern. Schließlich steckte Karim Benzema auf Cristiano Ronaldo durch - und der schoss den Ball ins Tor. Doch Ronaldo stand dabei nicht nur frei vor Diego Benaglio, sondern auch im Abseits. Das hatten der italienische Schiedsrichter Gianluca Rocchi und seine Assistenten ganz richtig gesehen.
Tore: Rodriguez (18. FE), Arnold (25.)
VfL Wolfsburg: Benaglio - Vieirinha, Dante, Naldo, Rodriguez, - Luiz Gustavo, Guilavogui, Arnold, Bruno Henrique (80. Träsch) - Draxler (93. Schäfer) - Schürrle (85. Kruse). - Trainer: Hecking.
Real Madrid: Navas - Danilo, Pepe, Sergio Ramos, Marcelo - Casemiro, Bale, Modric (64. Isco), Kroos (85. James) - Benzema (41. Jesé), Ronaldo. - Trainer: Zidane.
Schiedsrichter: Gianluca Rocchi (Italien)
Zuschauer: 26.400 (ausverkauft)
Fußball ist stets ein Spiel der verpassten Möglichkeiten. Und so ereignete sich an diesem Mittwochabend vor 26.400 Zuschauern im ausverkauften Stadion am Mittellandkanal ein kleines Wunder. Der VfL Wolfsburg schlug im Viertelfinalspiel der Champions League Real Madrid nach Toren von Ricardo Rodriguez (18.) und Maximilian Arnold mit 2:0 (2:0), überraschte sich und alle Kritiker und geht nun frohen Mutes und voller Hoffnung ins Rückspiel, das am kommenden Dienstag (ab 20.45 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) im Estadio Santiago Bernabéu stattfindet. Trainer Dieter Hecking sagte: "Man sieht, dass im Fußball alles möglich ist. Wenn so eine Mannschaft, die vor wenigen Tagen noch am Boden lag, zu so einer guten Leistung imstande ist." Aber: "Wir wissen alle, was uns da noch erwarten wird"
"Viele haben gedacht, dass wir eine Klatsche kriegen"
Bleibt die Frage, ob die Wolfsburger an diesem Abend so gut - oder die Madrilenen so schlecht waren. Wie so oft liegt die Antwort irgendwo in der Mitte, schließlich hängt das eine mit dem anderen zusammen. Fest steht: Der VfL machte fast alles richtig, Real hingegen nur wenig richtig gut. Und es erstaunte doch ein wenig, dass die Mannschaft des französischen Trainers Zinedine Zidane der Wolfsburger Wucht, der konsequenten Abwehrarbeit mit Dante und dem überragenden Naldo und den flinken Flügelspiel über Julian Draxler und Bruno Henrique letztlich so wenig entgegenzusetzen hatte. Schon früh schienen seine Spieler arg gereizt ob der Aggressivität der Wolfsburger, die seit langer Zeit wieder einmal daran erinnerten, warum sie in der vergangenen Saison Platz zwei in der Bundesliga belegt hatten und als ernsthafter Herausforderer des FC Bayern galten. Es war in der Tat so, wie es Klaus Allofs hinterher konstatierte: "Viele haben gedacht, dass wir eine Klatsche kriegen. Aber wir wissen, dass wir es viel besser machen können, als wir es in vielen Bundesligaspielen gemacht haben."
Doch der Manager warnte ebenfalls vor dem Rückspiel: "Dort kann noch viel passieren. Ich glaube, dass wir ein Tor schießen müssen. Wenn wir ein Tor schießen, dann verändert das eine Menge." Will meinen: Trifft der VfL in Madrid, braucht Real vier Tore, um doch noch ins Halbfinale einzuziehen. Zuzutrauen ist es ihnen allemal, Zidane gab dann auch tapfer zu Protokoll: "Wir haben noch die Chance, das Ergebnis zu drehen." Für ihn und sein Team ist die Königsklasse die letzte Chance in dieser Saison, doch noch einen Titel zu gewinnen. Die Fans der Königlichen hatten das vor dem Spiel in Wolfsburgs Innenstadt vor einem Café an der Porschestraße besungen: "Hasta el final, vamos Real!" Das Endspiel am 28. Mai in Mailands Stadio Guiseppe Mezza ist eigentlich das Ziel. Dort wollen sich die Madrilenen zum elften Mal zur besten Mannschaft Europas küren. Doch der Weg dorthin ist schwerer, als sie es sich vor dem Desaster am Mittellandkanal gedacht hatten.
Und auch Zidane weiß, dass ein Aus im Viertelfinale ihn seinen Job kosten könnte. Es ist nämlich so: In der spanischen Primera Division liegen die Madrilenen trotzt des 2:1 am Wochenende im Clásico beim FC Barcelona sieben Punkte hinter dem großen Rivalen zurück - sieben Spieltage vor dem Ende der Saison. In der Copa del Rey war im Dezember schon in der ersten Hauptrunde Schluss, und das auf wenig ruhmreiche Weise. Zwar gewann Real das Hinspiel beim Drittligisten FC Cádiz mit 3:1. Das Problem aber war, dass der mittlerweile gefeuerte Trainer Rafael Benítez den nicht spielberechtigten Dmitri Tscheryschew aufgestellt hatte. Das fiel spätestens dann auf, nachdem der Russe das erste Tor erzielt hatte. Der Verband schloss Real aus dem Pokalwettbewerb aus, das Rückspiel fand gar nicht erst statt.
Die Wolfsburger haben sie im Griff
Es bleibt also die Champions League. Seit Beginn des Jahres steht mit Zidane der beste Fußballer der Jahrtausendwende an der Seitenlinie. Viel höher konnte er mit seinen 43 Jahren nicht einsteigen, beschränkte sich die Erfahrung des Franzosen als Trainer doch darauf, zwei Jahre die zweite Mannschaft Reals in der dritten Liga angeleitet zu haben. Demütig hatte er bei seinem Amtsantritt gesagt, dass er sich eigentlich noch nicht bereit fühle, eine große Mannschaft wie Real zu übernehmen: "Ich danke dem Klub, dass er mir diese Chance gibt." Der Sieg im Clásico war gut fürs Image und fürs Gemüt. Doch die Niederlage in Wolfsburg macht diesen Erfolg fast schon wieder zunichte.
Dabei hat Zidane mit Gareth Bale, Benzema und Ronaldo eine Angriffsreihe, um die ihn jeder seiner Kollegen beneiden dürfte. Auch das Mittelfeld ist mit Luca Modric, Casemiro und dem deutschen Nationalspieler Toni Kroos bestens besetzt. Doch die Abwehr mit Pepe und Sergio Ramos innen, flankiert von den Außendienstmitarbeitern Danilo rechts und Marcelo links zeigte in Wolfsburg wieder einmal, dass sie durchaus verwundbar ist. Vor allem aber müssen sich die Madrilenen vorwerfen lassen, dass sie arroganterweise den Gegner doch nicht so ernstgenommen haben, wie sie zuvor beteuert hatten. Vor allen aber waren die Stars sehr früh sehr genervt – und zeigten das auch. Ronaldo zum Beispiel hatte nach dem zweiten Tor den Kaffee auf. Irgendwann saß er, nachdem ihm zum wiederholten Mal ein bissiger Wolfsburger den Ball abgeluchst hatte, auf den Boden, hob die Arme - und lamentierte.
Am unsympathischsten aber zeigte sich Reals Linksverteidiger Marcelo. In der 69. Minute trat er seinen Gegenspieler Arnold. Als der Wolfsburger darüber mit ihm reden wollte, stieß Marcelo seinen Kopf in Arnolds Bauch, ließ sich fallen und hielt sich das Gesicht. Eine Schauspielerei, die an Peinlichkeit nicht zu überbieten ist. Und eine Szene, die anschließend für kleinere Tumulte auf dem Rasen sorgte. Trainer Hecking war dann auch dementsprechend erbost: "Ich habe Marcelo gesagt, er soll die Schauspielerei sein lassen. Er hätte sich nicht beschweren können, wenn er nach dieser Szene nicht mehr auf dem Platz gestanden hätte. Das hat mich geärgert, denn das hat er gar nicht nötig." Offenbar schon. Und das wiederum dürfen sich die Wolfsburger hoch anrechnen.
Quelle: ntv.de