"Shit happens" BVB erschludert sich schlimmes Ergebnis
15.02.2017, 09:43 Uhr
Sie können es nicht fassen: In Lissabon erlebten die Dortmunder ein denkwürdiges Spiel.
(Foto: imago/Eibner)
Dortmunds Trainer Thomas Tuchel spricht von einem überragend guten Spiel - das Ergebnis spiegelt das nicht wider. 55.000 Zuschauer erleben in Lissabon einen Abend, an dem Benficas Torwart zum Helden des Spiels avanciert.
Nach dem Abpfiff im Estádio da Luz ertönte in voller Lautstärke das getragene und mit Emotionen überfrachtete Vereinslied von Benfica Lissabon. Tausende Portugiesen sangen aus voller Kehle mit, der Vortrag erfolgte wahrscheinlich auch deshalb mit so viel Inbrunst, weil es all die Menschen kaum fassen konnten, wie viele glückliche Umstände hatten zusammenkommen müssen, damit ihre Mannschaft das Hinspiel im Champions-League-Achtelfinale gegen Borussia Dortmund mit 1:0 gewinnen konnte.
Eigentlich ist es kaum zu glauben, dass der BVB ein derart überlegen geführtes Spiel tatsächlich aus der Hand gab, weil er mit einer solchen Vielzahl an besten Tormöglichkeiten so grotesk verschwenderisch umging, dass es am Ende zu einer Niederlage kam. Das Chancenplus der Borussia summierte sich auf unglaubliche neun zu eins, und doch musste Kapitän Marcel Schmelzer nach Spielschluss ein Resultat bewerten, "das zu den schlimmsten Ergebnissen zählt, die du auswärts erzielen kannst, weil der Gegner beim Rückspiel tief stehen und abwarten kann".
Verhexter Abend in Lissabon
Tatsächlich war es kaum zu begreifen, was sich da vor 55.000 Fans abgespielt hatte. "Es gibt so Tage, da ist es wie verhext", dozierte Sportdirektor Michael Zorc, und Manndecker Sokratis ergänzte: "Von zehn solchen Spielen gewinnst du im Normalfall neuneinhalb." Diese 90 Minuten waren ganz offenbar der Ausnahmefall, wo eine fünfprozentige Chance zum Sieg reicht. Und das könnte für die Borussia noch fatale Auswirkungen haben, wenn sie im Rückspiel vor dem gegnerischen Tor nicht wesentlich abgebrühter agiert.
Allein Pierre-Emerick Aubameyang hätte an diesem Abend in Lissabon die Weichen problemlos auf Viertelfinalkurs stellen können, doch der Torjäger ließ gleich vier erstklassige Chancen aus, darunter einen Elfmeter in der zweiten Halbzeit, den er so unplatziert in die Mitte des Tores ballerte, dass sich Benficas überragender Torhüter Ederson kaum dagegen wehren konnte, zum Helden zu werden.
Nach dem Fehlschuss reagierte Thomas Tuchel umgehend und nahm den schwächelnden Star aus Gabun aus dem Spiel. Hernach sprach Dortmunds Trainer von einer "ganz normalen sportlichen Entscheidung, es war keine erzieherische Maßnahme". Er habe in keiner Sekunde damit geliebäugelt, von außen einzugreifen und dem sichtbar schwächelnden Goalgetter die Ausführung des Strafstoßes zu verweigern. Niemals werde er sich "in die interne Rangordnung einmischen", verdeutlichte Tuchel, "denn würde ich einen Schützen bestimmen, würde ich ihm einen viel zu großen Druck aufbürden".
Ein unkonzentrierter Moment
Überhaupt wirkte Tuchel im Gegensatz zu Watzke überhaupt nicht verzagt. Im Gegenteil, der Trainer war mit sich im Reinen. Der Schwabe absolvierte das Zwiegespräch mit den Pressevertretern gut gelaunt und betonte, er habe von seiner Mannschaft ein "überragend gutes Spiel" gesehen, "wir waren nur in drei Minuten nach der Pause nicht ganz aufmerksam. Da haben wir uns abkochen lassen". In dieser kurzen Phase kassierte der BVB nach einem Eckball den Treffer, der das Spiel entschied. Tuchel konstatierte: "So ist das, aber für solche Tage gibt es ein Rückspiel. Shit happens."
Ein unkonzentrierter Moment reichte, um ein Spiel zu verlieren, das über weite Strecken mit frappierender Dominanz geführt wurde. Das war äußerst ärgerlich, und doch war dieses Mal nicht die oftmals zu Recht gescholtene Hintermannschaft dafür verantwortlich, dass der Einzug ins Viertelfinale nun am seidenen Faden hängt.
Aubameyang völlig niedergeschlagen
Es haperte vor allem vorne. Ballbesitz, Präsenz, Ausstrahlung, Kombinationsfluss – es war so viel von dem vorhanden, was eine überdurchschnittliche Leistung ausmacht. Und doch fehlte eine entscheidende Zugabe, die unerlässlich ist, um eine starke Leistung zu veredeln. Die Dortmunder Chancenverwertung war mit einem Wort umfassend beschrieben: katastrophal. Das verschwieg Tuchel bei seiner Analyse, und doch sollte niemand das Versagen vor dem Tor vergessen, der die Leistung von Lissabon umfassend einordnen will. Das sieht auch Nationalspieler Marco Reus so: "Es ist momentan unser Problem, dass wir aus unseren Chancen viel zu wenig Tore machen."
In diesem Zusammenhang landeten die Erörterungen dieses Abends zwangsläufig bei Pierre-Emerick Aubameyang. "Es war ganz bestimmt nicht sein Tag", sagte Torhüter Roman Bürki, der eine Lanze für den europaweit begehrten Stürmer brach: "Er hat uns doch schon in so vielen wichtigen Spielen den Arsch gerettet." Kollege André Schürrle berichtete, wie niedergeschlagen der Gabuner in der Kabine gesessen habe: "Aber morgen wird er wieder lächeln und am Samstag gegen Wolfsburg macht er zwei Tore." Nicht nur der bislang so zuverlässige Torgarant wird wissen, worauf er in nächster Zeit seinen Fokus legen muss. Der Dortmunder Tross wählte am Mittwoch einen späten Abflugtermin, weil Tuchel mit seiner Mannschaft vor der Rückreise noch eine Übungseinheit absolvieren wollte. Nach Lage der Dinge dürfte der Schwerpunkt der Exerzitien auf der Hand liegen: Torschusstraining.
Quelle: ntv.de