Fußball

Ancelotti-Elf kantert und wackelt Bayern Abwehr spielt "Gönn-dir-Fußball"

Überraschender Einschlag.

Überraschender Einschlag.

(Foto: dpa)

Die erste Krise als Trainer des FC Bayern hat Carlo Ancelotti abgewendet. Die kleine Schwächephase in der Fußball-Bundesliga kantert seine Elf in der Champions League davon. Einen großen Anteil daran hat allerdings Manuel Neuer.

Der FC Bayern München gewinnt ein Fußballspiel mit 4:1. Das klingt sehr souverän. Das klingt nach Spektakel. Das größte Lob des Trainers aber gilt dem Torwart. "Wir sind sehr glücklich, dass wir Manuel Neuer haben", sagte Carlo Ancelotti nach dem ergebnisklaren Erfolg am dritten Spieltag der Champions League gegen den PSV Eindhoven. Das wirkt freilich ziemlich absurd. Und wird beim Blick in die Statistik noch viel absurder.

FC Bayern - PSV Eindhoven 4:1 (2:1)

Tore: 1:0 Thomas Müller (13.), 2:0 Kimmich (21.), 2:1 Narsingh  (41.), 3:1 Lewandowski (59.), 4:1 Robben (84.)
München: Neuer - Lahm, Jerome Boateng, Hummels,  Alaba - Alonso - Kimmich (85. Martinez), Thiago - Robben (86.  Sanches), Lewandowski, Thomas Müller (72. Costa)
Eindhoven: Zoet - Brenet, Schwaab (85. Zinchenko), Moreno,  Willems - Pereiro (77. Bergwijn), Pröpper, Guardado (61.  Isimat-Mirin), Narsingh - Siem de Jong - Luuk de Jong
Referee: Collum (Schottland) Zus.: 70.000
Schüsse: 26:7 Ecken: 6:0
Ballbesitz: 64:36 % Zweikämpfe: 75:66

Die für Zahlen zuständige Abteilung zählte am Mittwochabend in München 26 Torschüsse für die wieder gierigen Gastgeber. Eine Menge davon war prima herausgespielt und hochklassig. Allein in den ersten 30 Minuten drohte den Niederländern ein fürchterliches Inferno (Zwischenstand 2:0 durch Tore von Müller und Kimmich). Die Rummenigge'sche Rache. Eine bayrische Blitz-Rehabilitation nach zuletzt schwachen Spielen in der Bundesliga (1:1 gegen Köln, 2:2 gegen Frankfurt) und einer Niederlage bei Atlético Madrid (0:1) in der Königsklasse.

Der PSV Eindhoven, eine Mannschaft, deren Defensive international durchaus angesehen ist, spielte und verteidigte phasenweise wie eine Amateurauswahl. Beim ersten Gegentreffer durch Müller vergaß die Elf von Trainer Philipp Cocu, dass die Bayern eine Ecke ausführen durften. Als sie sich Sekunden später dran erinnerten, trotteten sie bereits zurück zum Mittelkreis. Tor. Anstoß. Blöd gelaufen. Doch so überfordert die Niederländer in dieser Phase waren, so dankbar ließen sie sich später vom FC Bayern wieder auf die Füße helfen.

Neuer pariert das Hätte-wenn-und-aber

Sieben Mal durfte der PSV im Spiel aufs Tor schießen – das erste Mal übrigens erst nach einer halben Stunde. Und mindestens vier Mal war's irre gefährlich: ein reguläres Tor von Gastón Pereiro fälschlicherweise aberkannt (Abseits), ein Gegentor zum 1:2 durch Luciano Narsingh, ein freistehend vergebener Kopfball von Luuk de Jong und noch ein Schuss von Pereiro, den Neuer fantastisch entschärfte. Würde der Konjunktiv im Fußball funktionieren, die Bayern hätten sich 'ne schallende Ohrfeige eingefangen. Doch weil Neuer nicht nur Bälle fängt, sondern auch Hätte-wenn-und-aber-Szenarien pariert, blieb's nach 90 Minuten bei defensiv mehrheitlich folgenlosem Gönnt-euch-Fußball.

Alles dufte?

Alles dufte?

(Foto: imago/Sportfoto Rudel)

Ein Tagesordnungspunkt, den der Coach bei seiner taktischen Nachlese ganz sicher auf dem Schirm haben wird. Denn das ausgerechnet jener Mannschaftsteil schwächelt, für den der FC Bayern wohl weltweit bewundert wird, ist aus Sicht des Rekordmeisters bedenklich – weil weit mehr als ein 90-minütiges One-Game-Wonder. Schon im Ligaspiel gegen Frankfurt, dem Bayern-Debüt der Monster-Viererkette mit Philipp Lahm, Jérôme Boateng, Mats Hummels und David Alaba, gegen Köln, Ingolstadt und in Madrid wackelte das Defensivkonstrukt häufiger mal wie ein Lämmerschwanz. Die Gründe? Fußballerisch nicht nachvollziehbar.

Freilich, ein neuer Trainer hat immer auch neue Ideen. Dass in München nun allerdings allzu nachlässige Abwehrarbeit zum taktischen Mittel reift – kaum vorstellbar. Schon gar nicht bei Ancelotti. Denn der ist ja Italiener. Und denen ist das Verteidigen bekanntermaßen in den Gen-Code geschrieben. Woran also liegt's? Abstimmungsschwierigkeiten? Wohl kaum. Bis auf Heimkehrer Hummels spielt die Abwehr seit Jahren zusammen. Einstellungsdefizite? Schon eher. Belege dafür finden sich jedenfalls reichlich.

Lahm pennt, Hummels wackelt, Boateng irrt

Dass sich beispielsweise Philipp Lahm mit einem plumpen taktischen Foul im Mittelfeld behelfen muss, kommt noch seltener vor als smogfreie Tage in Peking. Dass Spielaufbaumann Hummels Rückpässe stümpert, die seinen Keeper zum Sprinten zwingen - ungewohnt. Dass Boateng sein perfektes englisches Tea-Time-Timing beim Stellungsspiel verliert - klingt wie eine ausgedachte Erzählung. Und dass es die elf aufgestellten Bayern-Stars schafften, so große Lücken entstehen zu lassen, dass man nachzählen musste, ob tatsächlich elf Mann auf dem Platz stehen, so etwas hat's mindestens drei Jahre nicht gegeben. All das aber ist empirisch nachzuweisen. Und all das bereitete Ancelotti "ein bisschen Sorge". Insgesamt aber habe sein Team diesmal "nur 20 Minuten" geschlafen." Eine "gute Reaktion" sei das Spiel auf Leistung und Kritik der vergangenen Tage gewesen.

Das Kernproblem aber wird durch den gegen Eindhoven phasenweise erspielten offensiven Rausch nur elegant kaschiert: das Rückzugverhalten wirkt mitunter tüchtig wirsch. Vor allem wenn es beim Gegner sehr schnell geht – so wie beim Gegentor. Der Rückwärtsgang von Münchens teuerster Nobelkarosse klemmt. Dabei hatte der katalanische Chef-Mechaniker Josep Guardiola bis zum Sommer doch drei Jahre lange beharrlich daran gearbeitet, Spontanüberfälle auf den Kasten von Manuel Neuer zu verhindern. Bis auf die Halbfinal-Debakel in der Champions League im April 2014, 0:4 zuhause gegen Real Madrid, und im Mai 2015 in Barcelona (0:3) gelang das ganz ordentlich. Dass die Raumaufteilung nun aber plötzlich wieder zum Problem geworden ist, darüber möchte Carlo Ancelotti gar nicht so gerne reden. Schließlich hat der FC Bayern ein Fußballspiel gewonnen, mit 4:1. Gönnt euch das lieber mal.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen