Fußball

Can fordert: "Schnauze halten" Borussia Dortmund versinkt in kompletter Ekstase

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Der Traum von Wembley wird wahr: Borussia Dortmund besteht die Prüfung in Paris und zieht ins Champions-League-Finale ein. Nach dem Schlusspfiff gibt es kein Halten mehr. Mats Hummels stürmt in den Block, Marco Reus gibt den Capo. Und alle lieben Aluminium.

Die Offensivgiganten von Paris St. Germain wurden immer wütender. Sie rannten an, sie dribbelten, sie schossen sich die Füße wund. 30 Mal feuerten sie den Ball aufs Tor. Wie ein nach Punkten zurückliegender Boxer in der zwölften Runde droschen sie auf den BVB ein, aber der hielt die Deckung oben. Und diese Deckung hatte am Dienstagabend einen Namen: Mats Hummels. Der 35-Jährige war nicht nur die eine Faust fürs Halleluja, nein, er war auch die zweite. Er traf vorne zum 1:0 per Kopf, er räumte hinten alles ab, mit Kopf und Körper. Und sein bester Mitarbeiter in der Defensive wurde in der zweiten Halbzeit das Aluminium. Viermal (!) retteten Pfosten und Latte die Dortmunder vor einem Gegentor. Im Hinspiel vergangene Woche war der Ball ebenfalls zweimal an den Pfosten geknallt. Aber was juckt das denn einen Schwarzgelben? Abpfiff, Ekstase!

Hummels war der Erste, der abdrehte und im Vollsprint zum Gästeblock rannte. Hatte jemand mal behauptet, dass der Innenverteidiger größere Geschwindigkeitsprobleme habe? Der Rest der Mannschaft tat es ihm gleich und im Nullkommanichts, war da nur noch ein riesengroßer schwarzgelber Jubelklumpen. Die Borussen hatten geschafft, was kaum jemand für möglich gehalten hatte. Nach einer fürchterlichen Saison in der Bundesliga und im DFB-Pokal steht der BVB nun im Finale der Champions League. Wembley is calling! Wer der Gegner wird, das wird am Abend ausgespielt, wenn der FC Bayern bei Real Madrid antreten muss (Hinspiel 2:2).

Reus winkt der zauberhafteste Abschied

Womöglich gibt es für mindestens einen Dortmunder doch noch das ganz große Happy End. Marco Reus wird den Klub verlassen. Sein Vertrag wird nach zwölf gemeinsamen Jahren nicht verlängert. 2012 war der mittlerweile 34-Jährige von Borussia Mönchengladbach heimgekehrt. Und hatte am Ende seiner ersten Saison das Endspiel der Königsklasse verloren, mit 1:2 gegen den FC Bayern. Mit den Schwarzgelben hatte er zweimal den DFB-Pokal gewonnen, aber die noch wertigeren Titel blieben ihm versagt. Deutscher Meister wurde er mit der Borussia nicht und wird es auch nie mehr werden. Aber eventuell gibt es die Henkelpott-Versöhnung. Es wäre der denkbar zauberhafteste Abschied für den Offensivspieler, der so oft verletzt war, und über dessen Karriere der Schatten schwebt, dass doch irgendwie mehr möglich gewesen wäre.

Doch nach dieser magischen, nun ja, eher malochenden Nacht von Paris, war das alles egal. In der großen Party war Reus plötzlich der Protagonist. Er stand neben dem Capo vor den Fans und gab den Vorsänger: "Erste Runde Krankenschein, dann die Omma tot, Überstunden nehmen wir zur Not! Dann kommt die Kündigung – scheißegal! Borussia Dortmund international!" Vor ihm schrie der Block die Anspannung der 90 Minuten aus sich heraus, hinter ihm hüpften die Mitspieler einen wilden Finaltanz. Mittendrin auch Trainer Edin Terzić. Was hatte der Coach in dieser Saison leiden müssen? Was hatte er sich alles anhören müssen? Der schlimmste Vorwurf lautete: Er habe keine Spielidee. Und nun steht seine Mannschaft, steht er im Finale. Mehr Genugtuung geht nicht. Emre Can, der Kapitän, wurde im Glück überdeutlich und bat die Kritiker "jetzt auch mal die Schnauze" zu halten.

"Am Mittwoch fragt keiner mehr, wie"

Gelöst ist das Rätsel damit freilich nicht, warum die Borussen in Europa reüssieren, aber in der Bundesliga allzu oft im Schlafwagen durch den Wettbewerb rollen. Eine Aufarbeitung dessen wird in der Sommerpause passieren. Der Glanz der Königsklasse überstrahlt im Moment alles. "Das ist einfach pure Freude und ganz, ganz, ganz viel Stolz. Wir sind mit jedem Spiel gewachsen", jubelte der Trainer. Seine Mannschaft erhebt sich immer dann zu einer unglaublichen Größe, wenn sie im Konzert der Besten gefordert ist. Erst der Sieg in der "Todesgruppe", dann die PSV aus Eindhoven und Atlético Madrid gefressen. Und nun noch PSG. Auch Reus war einfach nur außer sich: "Hut ab, Hut ab, wir haben sehr viel leiden müssen. Am Mittwoch fragt keiner mehr, wie. Da steht einfach nur der Namen Borussia Dortmund. (...) Jetzt müssen wir es holen, sonst wäre es scheiße." Aber erstmal: Ekstase! "In der Kabine war die Hölle los, laute Musik und Alkohol", berichtete BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl.

Und in Dortmund? Auch da ging die Lutzi ab. Am Borsigplatz, in dessen unmittelbarer Nähe der Verein einst gegründet worden war, flogen Feuerwerkskörper durch die Luft, fuhren Autos laut hupend im Korso. Menschen feierten, herzten sich, ob fremd oder Freund. "Heute konnten wir etwas zurückgeben", sagte Terzic in Paris.

PSG - Borussia Dortmund 0:1 (0:0)

Paris: Donnarumma - Hakimi, Marquinhos, Beraldo, Mendes - Vitinha, Zaire-Emery (76. Lee), Fabio Ruiz (63. Asensio) - Dembele, Mbappe, Ramos (63. Barcola). - Trainer: Enrique
Dortmund: Kobel - Ryerson, Hummels, Schlotterbeck, Maatsen - Adeyemi (56. Reus), Sabitzer, Brandt (85. Nmecha), Can, Sancho (67. Süle) - Füllkrug. - Trainer: Terzic
Schiedsrichter: Daniele Orsato (Italien)
Tor: 0:1 Mats Hummels (50.)
Gelbe Karten: Dembele, Hakimi - Sabitzer, Hummels
Zuschauer: 46.435

Was war das wieder für eine Leistung gewesen? Vor allem gegen Kylian Mbappé, diesen Superstar, der diesen Titel unbedingt wollte. Nicht nur für sich, als 25-Jähriger, der wahrscheinlich ab Sommer bei Real Madrid spielt, hat er noch genug Chancen. Nein, vor allem für Paris St. Germain. Seit 2011 wird der Klub mit unendlichem katarischem Geld geflutet, immer nur mit dem Ziel, den Henkelpott endlich zu holen. Nun sind sie wieder gescheitert, an Spielern, die Julian Ryerson heißen. Der norwegische Kettenhund ist keiner für die feine Klinge, keiner für die Übersteiger. Aber er ist einer, der sich in den Gegner verbeißen kann, der bis zur maximalen Erschöpfung alles gibt, alles auf den Platz wirft, immer nur mit dem Ziel, seinem Kontrahenten die Luft zu nehmen, die Lust am Spiel.

Dieser Kontrahent hieß allzu oft Mbappé. Ganz ausschalten kann man diesen Giganten natürlich nicht, das hatten die Dortmunder vorher gewusst. Aber sie taten alles, um ihm möglichst wenig Raum für Heldentaten zu lassen. Ein erster Schuss nach sieben Minuten war harmlos. Die Gastgeber gingen das Unterfangen, den 0:1-Rückstand aus dem Hinspiel aufzuholen, mit kalkuliertem Risiko an, nicht "volle Suppe", wie man im Ruhrpott gerne sagt. Anders als noch in der Gruppenphase, als beide Teams bereits aufeinandertrafen und der BVB in Paris gnadenlos hergespielt worden war, igelten sich die Gäste nicht ein. Sondern wählten ebenfalls immer mal wieder den Weg nach vorn. Ryerson und Karim Adeyemi ließen gute Gelegenheiten aus (19./35.).

Es scheppert tüchtig am BVB-Gehäuse

Dortmund glänzte als Kollektiv, als Mentalitätsmonster. Die Pariser suchten verzweifelt nach dem Heldenfußball von Mbappé oder auch von Ousmane Dembélé, der wie schon im Hinspiel gute Dribblings hatte, denen aber am Ende die Fortune oder der richtige Anspielpartner fehlte. Nach der Pause erhöhte PSG die Schlagzahl, vergaß aber Hummels nach einer Ecke, 1:0 für den BVB, 2:0 in der Gesamtrechnung. "Ich habe nicht viele Tore in der Champions League geschossen. Ich glaube fünf. Ein guter Zeitpunkt, etwas aufzustocken", sagte Hummels, der seit Wochen in herausragender Form agiert und es Bundestrainer Julian Nagelsmann immer schwieriger macht, einen möglichen EM-Verzicht auf den Innenverteidiger zu rechtfertigen.

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Wie es für ihn persönlich im Sommer weitergeht, ist ebenfalls noch unklar. Sein Vertrag läuft aus. Alles scheint denkbar. So stellt sich durchaus die spannende Frage, ob nicht ein Hochamt wie das nun zweite Endspiel in Wembley am 1. Juni ein perfekter Abschluss seiner BVB-Zeit oder gar seiner Karriere wäre.

Die Mannschaft von Luis Enrique musste nach dem erneuten Rückstand Alles-oder-nichts spielen. Warren Zaïre-Emery hatte bereits einmal den Pfosten getroffen (47.). Paris schüttelte sich nach dem Schock und griff weiter vehement an, ohne die ganz große kreative Idee. Ein Schuss von Goncalo Ramos flog über das Tor (60.), Nuno Mendes traf nur den Pfosten (61.). Mbappé schaute einem Schuss, der meilenweit über den BVB-Kasten gesegelt war, verärgert hinterher (74.). Das vermeintliche 2:0 für den BVB zählte nicht, weil Hummels klar aus dem Abseits getroffen hatte (77.). Auf der Gegenseite trafen Mbappé und Vitinha nur die Latte (87. und 88.). Was für ein Zitterspiel. Dann aber Abpfiff, Ekstase!

Quelle: ntv.de

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