Fußball

Mentalitätsriesen mit Matchglück Schalke streckt dem Totengräber die Zunge raus

Bülter ist der glückliche Retter in der Abstiegsnot.

Bülter ist der glückliche Retter in der Abstiegsnot.

(Foto: IMAGO/Jan Huebner)

Der FC Schalke 04 kämpft verbissen für sein großes Ziel, liefert beim FSV Mainz 05 einen großen Kampf ab und belohnt sich dafür spät. Das erhöht den Druck auf die Konkurrenz im Kampf um den Klassenverbleib in der Fußball-Bundesliga. Die Mainzer dagegen wüten über den späten Elfmeter.

Während die Mainzer vor Wut tobten, brach das Glück aus allen Schalkern mit gigantischer Wucht heraus. In der 12. Minute der Nachspielzeit hatte ihnen Marius Bülter dieses geschenkt. Er war aus elf Metern zum Duell mit Torwart Robin Zentner angetreten, verzögerte kurz und verwandelte sich. Schalke war an diesem Freitagabend zum dritten Mal in Führung gegangen - und dieses Mal brachten sie den Vorsprung ins Ziel. Mit 3:2 (1:0) gewann der Mentalitätsriese aus dem Ruhrgebiet überraschend beim FSV Mainz 05 und arbeitet weiter hart daran, das kleine Wunder vom Klassenerhalt möglich zu machen. Auch die ausstehenden Aufgaben kaum unangenehmer sein könnten. Es warten noch der FC Bayern, Eintracht Frankfurt und RB Leipzig.

Aber an diesem Freitagabend mochte niemand daran denken, erst recht nicht in dieser 102. Minute, in der das späteste Tor der Bundesligageschichte gefallen war. Was hatten diese Schalker zuvor gelitten! Gelitten, weil sie so gut gespielt hatten und so fahrig mit ihren Chancen umgegangen waren. Wie mühelos hätte dieses kleine Drama verhindert werden können, wenn Simon Terodde, Sebastian Polter oder Danny Latza nicht am starken Zentner gescheitert wären. Aber manchmal ist Drama ja auch gut, manchmal setzt Drama neue Kräfte frei. So wie Schalke sie an diesem Abend spürte. Eine Nachwehe der Vorwoche, als der Sieg gegen Werder Bremen (2:1) auch erst in der Nachspielzeit eingefahren wurde. Schalke hätte tot sein können, doch sie leben, weil sie auf eine surreale Weise am Abgrund tanzen, aber nicht abstürzen wollen. Noch nicht. Nichts ist nämlich entschieden.

Die Kraft der Fans überträgt sich

Schalke springt vorübergehend auf Platz 14, die Konkurrenz hat Druck. Druck von einem Team, das so oft schon abgeschrieben war. Doch mühsam wie die Eichhörnchen haben sich die Königsblauen einen Weg aus den Tiefen des Schachts ans Tageslicht gebuddelt. Mit ihrem Trainer Thomas Reis, der bereits in der Anfangsphase der Saison seinen Arbeitsort im Revier unter viel unschönem Getöse gewechselt hatte. Er kam vom VfL Bochum, der einer der Hauptkonkurrenten im Klassenkampf ist und bei dem nach zwei Wundern unter Reis (Aufstieg und Klassenerhalt) nichts mehr zusammen lief. Und mit ihren Fans, die diese Mannschaft, die sie oft enttäuscht hatte, immer begleiteten. Zu Tausenden. Die ihr in den vergangenen Wochen unerschütterlich die Treue hielten und ihr Kraft für diese Auferstehung gaben. Mit Schalker Tugenden und wichtigen Neuzugängen im Winter, von denen nun aber keiner in der Startelf stand. Mit kleinen Meilensteinen wie dem entfesselt gefeierten Remis gegen den BVB (2:2) oder das Kirmesboxen-Spektakel gegen Hertha BSC (5:2). So schön kann Fußball sein.

Vergessen all das, was mal war. Als die Spieler vor zwei Jahren, in der letzten Abstiegssaison, von Anhängern am eigenen Stadion gejagt worden waren. Damals passte in Gelsenkirchen nichts mehr zusammen. Anders als jetzt. Diese Mannschaft hat nicht die höchste Qualität, aber sie hat eine unglaubliche Fähigkeit, sich für die gestellte Aufgabe die Lunge aus dem Leib zu rennen. Jeder, der kann, opfert sich für das Team. Wehwehchen egal, keine Rücksicht mehr. Einer, der das ganz besonders verkörpert, ist eben Bülter. In Mainz hatte dieser unermüdliche Dauerläufer seine Mannschaft nach einem Übersteigertänzchen in Führung gebracht (26.) und stellte sich dann auch in der Nachspielzeit noch dem immensen Druck vom Punkt. Held oder Depp - keine Nuance dazwischen. "Viel Training, und es war ja auch nicht mein erster Elfmeter, den ich geschossen habe", sagte er bei DAZN zu seiner Nervenstärke und fand alles nur "verrückt". Das Foul, den Pfiff, den Schuss, die Erlösung.

"Der Punkt wäre zu wenig gewesen"

Nach einem Trikotschubser von Anthony Caci im Sechzehner hatte Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck zunächst weiterlaufen lassen, dann aber nachträglich auf Elfmeter entschieden. "Ich merke ihn einfach. Ich glaube, es war von ihm nicht besonders clever, mich zu ziehen, denn ich glaube, ich habe keine Chance auf den Ball. Aber für mich ist es Elfmeter", beurteilte Bülter die Situation, die alles veränderte. Die Stimmung, die Lage in der Tabelle. Tom Krauß, der Schütze zum 2:1 befand: "Das war ein sehr emotionaler Sieg. Das ist einfach nur Wahnsinn, extrem wichtig, denn der Punkt wäre zu wenig gewesen." Mit den Emotionen rang auch der Mainzer Trainer Bo Svensson. Nichts Neues, aber er legte in den Katakomben der Arena richtig los: "Das ist ein Skandal, dass er sich die Szene siebenmal anschaut und trotzdem Elfmeter gibt!" Sportdirektor Martin Schmidt war ebenfalls nicht einverstanden mit der Entscheidung: "Am Ende greift der Schiedsrichter in ein Spiel ein, was er nicht muss. Die Entscheidung im Abstiegskampf ist sehr, sehr mutig von ihm."

Jöllenbeck dagegen verteidigte seinen Elfmeterpfiff. "Ich habe es im Spiel nicht wahrgenommen. Da ich weiß, wie viel hier auf dem Spiel steht, wollte ich die Chance nutzen, mir das noch einmal selber anzuschauen. Nach Ansicht der Bilder lag ein klares und langes Halten vor. Deswegen habe ich auf Strafstoß entschieden", sagte er bei DAZN. "Davor hält Bülter unseren Spieler fest. Warum ist es ein Foul, wenn unser Spieler das macht?", fragte der aufgebrachte Svensson: "Für einen Verein, der mit im Abstiegskampf steht, ist es ein bitterer Beigeschmack. Es ist eine klare Fehlentscheidung."

Schalke lebt. Und bebt.

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Was hatte es am Freitag vor einer Woche für eine riesige Entrüstung im Ruhrgebiet gegeben. Im kleinen Derby war der Dortmunder Karim Adeyemi vom Bochumer Danilo Soares im Strafraum klar gefoult worden. Aber weder Schiedsrichter Sascha Stegemann, noch Videoassistent Robert Hartmann griffen ein. Seither gärt dieses Thema, über den VAR wird mal wieder diskutiert, Challenges ins Gespräch gebracht. Die Gelackmeierten schimpfen, vergessen dabei aber manchmal den guten Ton. Für die Akzeptanz der Schiris ist das fatal, manch ein Fan fühlt sich sogar bestärkt, selbst vor Morddrohungen nicht haltzumachen. Nun also der VAR, nun also die ursprüngliche Entscheidung überstimmt. Reis war einverstanden, "absolut berechtigt", fand er.

Länger wollte er sich mit dem Thema nicht aufhalten. Denn ihn, diesen gleichermaßen leidenschaftlichen wie in sich ruhenden Abstiegskämpfer par excellence, beschäftigt ja eben ein anderes. Der höchst spannende Kampf um den Ligaverbleib. Und für diesen wähnt er seine Mannschaft bestens gerüstet. Weil sie eben nicht nur hart malocht, sondern auch Fußball spielt. "Die Mannschaft hat von Anfang an eine sehr gute Energie gezeigt. Wir haben die klareren Chancen herausgespielt." Nur eine Sache bleibt ein Thema: die Chancenverwertung. Mit Sebastian Polter ist immerhin ein Stürmer zurück, der alle bissigen Tugenden und Abschlussqualitäten mitbringt, um im Schlussspurt noch eine wichtige Rolle einzunehmen, sprich: Chancen zu nutzen. Beim FC Bayern wird es kommende Wochen tendenziell eher weniger geben, bei RB Leipzig am 34. Spieltag sind die Aussichten darauf auch nicht prächtig. Aber was soll's. Weitermachen, wie die Eichhörnchen: "Es geht um jeden Punkt" Und an diesem Freitag haben sie Abstiegsgespenst und Totengräbern die Zunge rausgestreckt. Schalke lebt. Und bebt.

Quelle: ntv.de

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