"Nicht mehr beste Mannschaft" Der FC Bayern verzweifelt an sich selbst
01.10.2017, 19:22 Uhr
Nicht-mehr-beste-Mannschaft-Frust.
(Foto: imago/Jan Huebner)
Ein Remis in Berlin ist keine Schande. Doch dass die Münchner Fußballer wieder einen Vorsprung verspielen, zeigt, dass wenig bis nichts stimmt beim FC Bayern. Interimstrainer Willy Sagnol sagt das dann auch deutlich. Und nun?
Wenn es nicht die erste Partie nach der Trennung von Carlo Ancelotti gewesen wäre, hätten sie in München wohl spätestens jetzt darüber nachdenken müssen, den Trainer zu entlassen. Denn das 2:2 (1:0) des FC Bayern bei der Berliner Hertha am siebten Spieltag der Bundesliga bedeutet nicht nur, dass der immer noch amtierende Meister nun fünf Punkte hinter der Dortmunder Borussia als Tabellenführerin liegt. Es zeigte vor allem auch, dass in der Mannschaft - gemessen an dem fußballerischen Vermögen der einzelnen Spieler - viel im Argen liegt. Und das offenbar unabhängig davon, wer sie gerade trainiert. Thomas Müller jedenfalls sagte nach dem Abpfiff: "Bei der Qualität im Kader kann es nicht am Trainer liegen." Die Spieler müssten nun in sich gehen und die Partie schonungslos analysieren.
Hertha BSC: Jarstein - Weiser, Stark, Rekik, Plattenhardt - Skjelbred, Darida (80. Lustenberger) - Leckie, Duda (75. Lazaro), Haraguchi (87. Esswein) - Kalou; Trainer: Dardai.
FC Bayern: Ulreich - Kimmich, Hummels, Boateng (79. Süle), Alaba - Martinez, Tolisso - Robben (59. Thiago), Müller, Ribéry (62. Coman) - Lewandowski; Trainer: Sagnol.
Tore: 0:1 Hummels (10.), 0:2 Lewandowski (49.), 1:2 Duda (51.), 2:2 Kalou (56.)
Schiedsrichter: Osmers
Zuschauer: 71.212 im Olympiastadion
Statistik: 10:16 Torschüsse, 33:67 Prozent Ballbesitz, 45:55 Prozent Zweikampfquote.
Selbst die beiden Favoriten auf Ancelottis Nachfolge, Julian Nagelsmann, der just mit Hoffenheim in Freiburg verloren hat, und der arbeitslose Thomas Tuchel, dürften, da sie dem Vernehmen nach nicht zaubern können, so ihre Probleme bekommen. Falls einer von ihnen beim nächsten Heimspiel nach der Länderspielpause am 14. Oktober gegen den SC Freiburg tatsächlich auf der Bank sitzt. In Berlin hat es also kaum an Willy Sagnol gelegen, der an diesem Sonntagnachmittag zum ersten und mutmaßlich auch zum letzten Mal als Chef auf der Bank sitzen durfte, dass die Münchner kläglich einen Vorsprung von zwei Toren verspielten. Und dass ihnen nach dem Ausgleich in der 56. Minute wenig bis nichts mehr einfiel - außer in der Schlussphase den Ball hoch und weit in des Gegners Strafraum zu schlagen.
Es fand sich partout niemand, der es auf sich nehmen wollte, dem Spiel seines Teams ein wenig mehr an Struktur zu geben und dafür zu sorgen, dass es vielleicht doch noch mit einem Sieg klappt. Dann hätten sie wenigstens sagen können: Hauptsache, gewonnen. So aber hatten sie zum zweiten Mal hintereinander ein 2:0 aus der Hand gegeben, nachdem ihnen dass schon am sechsten Spieltag im Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg widerfahren war - mit Trainer Ancelotti. Und Sagnol? Was hätte er tun sollen? Schließlich hatte er doch die Mannschaft erst am Donnerstag übernommen.
"Natürlich ein bisschen ärgerlich" - wie bitte?
Hinterher untertrieb er dann zunächst geradezu maßlos, als er sagte: "Natürlich ist dieses Ergebnis ein bisschen ärgerlich." Die Diagnose, die Doktor Sagnol dem Patienten FC Bayern stellte, aber passte: "Wenn man 2:0 führt, muss man ein bisschen mehr mit Konzentration und Disziplin spielen." Er saß da in seinem schwarzen Hemd auf dem Podium im Keller des Stadions und sah gar nicht glücklich aus. Was auch daran lag, dass Franck Ribéry sich nach einer Stunde verletzt hatte und ausgewechselt werden musste. Was genau er hat, war kurz nach der Partie nicht klar. Sagnol sprach von dem Verdacht auf einen "Außenbandanriss im Knie". Und auf Nachfrage sagte er dann zur Hilflosigkeit der Münchner noch einen Satz, der es in sich hatte - und so gar nicht dem mittlerweile übermäßig strapazierten Mia-san-mia-Gerede entsprach: "Wir sind nun nicht mehr die stärkste Mannschaft in Deutschland."
In der Tat war es bisher nicht das Problem des FC Bayern, gegen Mittelklassemannschaften der Liga einigermaßen souverän zu gewinnen. Nun aber ist es genau das. Zumal Sagnol vor 71.212 Zuschauern im nicht ganz ausverkauften Olympiastadion die zurzeit mutmaßlich elf stärksten Spieler aufbot, auf personelle Experimente verzichtete und brav die fünf Spieler, denen nachgesagt wird, sie hätten Präsident Uli Hoeneß gebeten, er möge bitte den Ancelotti entlassen, in die Startelf beordert: Jérôme Boateng, Mats Hummels, Arjen Robben und besagter Ribéry, die am Mittwoch beim 0:3 im Champions-League-Spiel in Paris auf der Bank saßen, sowie Thomas Müller bildeten das Gerüst einer Mannschaft, die sich - wie es zunächst schien - vorgenommen hatte, nun in Berlin gegen die Hertha das zu zeigen, was die Fußballer in ihrer Sprache gerne Trotzreaktion nennen. Innenverteidiger Hummels war es auch, der nach engagiertem Beginn und nur zehn Minuten das erste Tor der Münchner köpfte - nach einer Flanke Boatengs. Vier Minuten nach der Pause erhöhte Robert Lewandowski auf 2:0 - geht doch, mag so mancher Münchner gedacht haben.
"Das darf uns nicht passieren"
Dass allerdings längst nicht wieder alles prima ist bei den Bayern, zeigte sich erstmals nach 18 Minuten, als Javi Martínez den Berliner Vladimir Darida im Münchner Strafraum gefoult hatte - zumindest hatte Schiedsrichter Harm Osmers das so entschieden. Doch nachdem er mit dem Videoassistenten gesprochen und sich die Szene auf dem Bildschirm am Spielfeldrand vor der Gegentribüne noch einmal angesehen hatte, korrigierte er sich: Kein Elfmeter für die Hertha, weiter ging's. Weniger Glück und noch mehr Unvermögen bescherte den Bayern dann den Anschlusstreffer in der 51. Minuten.
Der Japaner Genki Haraguchi wuselte diagonal durch die Münchner Defensive, ließ Robben, Boateng, Joshua Kimmich und Hummels allesamt stehen und schlug den Ball dann vors Tor, wo Ondrej Duda ihn zum 1:2 über die Linie drückte. Und auch beim Ausgleich in der 56. Minute schafften es die Gäste nicht, die Situation nach einem Freistoß Marvin Plattenhardts zu klären, auch wenn es eher dem Zufall geschuldet war, dass der Ball schließlich bei Salomon Kalou landete, der ihn völlig frei aus acht Metern zum 2:2 unter Torwart Sven Ulreich hindurch ins Berliner Glück schoss.
Oder andersherum: Die Münchner immer weiter in die hausgemachte Krise. Sportdirektor Hasan Salihamidzic fiel dazu nur noch ein: "Wir hatten das Spiel eigentlich unter Kontrolle, hätten höher führen müssen. Dann haben wir das Spiel aus der Hand gegeben, das darf einer Mannschaft, wie wir es sind, nicht passieren." Erklären könne er das nicht. Und den Trainer haben sie ja schon gefeuert.
Quelle: ntv.de