Klopp setzt Anfield in Flammen Der fünfte Beatle trotzt Watzke und dem Hype
08.04.2016, 11:08 Uhr
In Liverpool ist Jürgen Klopp fast so beliebt wie die populärste Band der Stadt. Und auch bei seiner Rückkehr nach Dortmund applaudieren ihm die Fans. Rein sportlich geht der Ex-Trainer als Sieger. "Jetzt brennt die Anfield Road. Geil."
Minutenlanger, donnernder Applaus? Jürgen-Klopp-Sprechchöre? Gar eine Choreo à la "Danke Jürgen" wie beim letzten Bundesligaheimspiel gegen Werder Bremen im Mai 2015? Hans-Joachim Watzke schien vor der Rückkehr von Jürgen Klopp nach Dortmund das Schlimmste von den Fans zu befürchten, so eindringlich hatte der Geschäftsführer des BVB vor einer "Freundschaftsspiel-Atmosphäre" im Viertelfinalhinspiel der Fußball-Europaliga gegen den FC Liverpool gewarnt. Festzuhalten bleibt nach dem für die Dortmunder ernüchternden 1:1 am Donnerstagabend: An einer Pro-Klopp-Stimmung im Stadion lag es nicht, dass der BVB gegen Liverpool hinter seinen Erwartungen und seinem Leistungsvermögen zurückblieb.
Tore: Origi (36.), Hummels (48.)
Borussia Dortmund: Weidenfeller - Piszczek, Hummels, Bender (76. Sokratis), Schmelzer - Durm (45. Sahin), Weigl, Castro - Mchitarjan, Aubameyang (77. Pulisic), Reus. - Trainer: Tuchel
FC Liverpool: Mignolet - Clyne, Lovren, Sakho, Moreno - Henderson (45. Allen), Milner, Can - Lallana (77. Firmino), Coutinho - Origi (84. Sturridge). - Trainer: Klopp
Schiedsrichter: Carballo (Spanien)
Zuschauer: 65.848 (ausverkauft)
Die von Watzke befürchtete rührselige Kuschelatmosphäre gab es nur beim beeindruckenden "You’ll never walk alone" des gesamten Stadions - obwohl er gegen seine eigenen Anweisungen verstieß. Eine Viertelstunde vor Anpfiff umarmte er Klopp auf dem Rasen - und löste damit leichte Verstimmungen bei seinem Freund. "Als Aki dann vorm Spiel kam und mit seiner Umarmung die Büchse der Pandora geöffnet hat, war klar, ich kann das Spiel nach dem Spiel auch machen. Das war cool." Noch am Mittwoch hatte Klopp in Richtung Watzke gefrotzelt: "Es wäre schön, wenn die Leute, die ich nicht begrüßen darf, ein Schild tragen würden."
Dezenter Applaus von der Südtribüne
Als Klopp um 20.30 Uhr das da noch halbvolle Westfalenstadion betreten hatte, das sieben Jahre lang die Bühne für seine Vollgasveranstaltungen gewesen war, empfing ihn dezenter Applaus von der Südtribüne. Den erwiderte der Trainer mit einer Dankesgeste, wie so oft zuvor. Auch sonst schien alles wie immer, so wie Klopp regungslos nahe des Mittelkreises stand und den Gegner beobachtete. Nur dass er diesmal eine weiße Trainingsjacke des FC Liverpool trug - und der Gegner Borussia Dortmund hieß.
Als Stadionsprecher Norbert Dickel bei der Verlesung der Gäste-Aufstellung Klopps Namen nannte, wurde noch einmal geklatscht. Vereinzelt waren im Stadion auf Transparente geschriebene Liebeserklärungen und Danksagungen an den Dortmunder Rekordtrainer zu sehen, nur nicht auf der Südtribüne. Sie entsagte sich jeder nostalgischen Schwärmerei. Als die besonders in der ersten Halbzeit sangesfreudigen Liverpool-Fans in der 20. Minute bei einer Verletzungsunterbrechung "Jürgen Klopp, nananananana" anstimmten und ihn feierten wie den fünften Beatle, überstimmte das Stadion sie mit einem Pfeifkonzert.
Klopp befand trotzdem: "Es war schön, zurückzukommen." Zumal der ganze Trubel um das Spiel ihn durchaus beschäftigt habe: "Wenn ich jetzt sagen würde, das hat mich nicht aus meiner Mitte gerissen, das Ganze außen rum, das wäre gelogen." Den "leisen und respektvollen Applaus" fand er deshalb sehr angenehm und angemessen, sofern er denn für ihn bestimmt war. Nach dem Spiel nahm er jeden Dortmunder Spieler in den Arm und winkte vor seinem Abgang in die Katakomben Richtung Haupttribüne, die klatschte und zurückwinkte. Seine Pressekonferenz, während der aus dem VIP-Bereich neben dem Presseraum englische Freudenschreie zu vernehmen waren, beendete er ebenfalls mit Herzlichkeiten für BVB-Mitarbeiter.
Trotz vereinzelter Missfallensbekundungen von den Fans über Klopps Umarmungen: Auch dem BVB-Anhang war nicht entgangen, dass sich Liverpool das ingesamt verdiente 1:1 nicht mit einer atmosphärischen Einlulltaktik ergaunert hatte. Der fünfte Beatle, als der Klopp in Liverpool zwischenzeitlich gefeiert wurde, trotzte dem Hype um seine Rückkehr nach Dortmund und den Watzke-Warnungen mit einem simplen aber effektiven Matchplan, der gegen einen inkonsequenten und unpräzisen BVB weitgehend aufging. Und der auf jenem Element der Klopp’schen Spielphilosophie basierte, das die Liverpooler Profis in der Premier League inzwischen schon besser beherrschen als jedes andere Team: Gegenpressing, in Dortmund kombiniert mit ganz viel Geduld.
Auch nach dem fast schon obligatorischen Gegentor nach Standards blieb Liverpool mutig. In der Schlussviertelstunde stellte Klopp seinem Torschützen Divock Origi gar noch den englischen Nationalstürmer Daniel Sturridge und den Ex-Hoffenheimer Roberto Firmino zur Seite, zu Torchancen kamen sie nicht mehr. Dennoch deutete Liverpool wie zuvor in der Premier League und auch im Europaliga-Achtelfinale gegen Manchester United an, dass man gegen besondere Gegner immer wieder zu besonderen Leistungen fähig ist, mindestens zu besonders leidenschaftlichen und konzentrierten. Entschieden sei trotz des Achtungserfolgs mit Auswärtstor noch gar nichts, "wir haben nicht das Gefühl, durch zu sein." Der größte Vorteil des 1:1 ist für Klopp ein anderer: "Jetzt brennt die Anfield Road. Geil."
Quelle: ntv.de