U21-Hass: Wie oft denn noch? Deutschland, du hast ein Rassismus-Problem
25.06.2023, 09:14 Uhr
Mehrere U21-Kicker wurden im Netz rassistisch beleidigt.
(Foto: IMAGO/Beautiful Sports)
Wieder werden deutsche Fußballer im Netz verbal angegangen. Respekt, dass sie bei diesem Hass nicht zurücktreten. Aber Fußball und Politik müssen endlich gegen die strukturellen Probleme vorgehen - und die Gefahr für uns alle begreifen.
Die deutschen Junioren-Nationalspieler Youssoufa Moukoko und Jessic Ngankam verschießen im Auftaktspiel der U21-EM gegen Israel jeweils einen Elfmeter und werden daraufhin prompt in den sozialen Netzwerken rassistisch beleidigt. Moukoko sagt anschließend: Gewinnen sie, sind sie Deutsche. Dann gehören sie dazu. Verlieren sie, verschießen sie Elfmeter, sind sie Schwarze. Die "anderen". Die Ausgegrenzten. Respekt, dass sie bei diesem Hass nicht zurücktreten. Aber folgende Frage drängt sich auf: Wie oft denn noch?
Was im Fall der U21 passiert, ist ein Abbild der verfassungsfeindlichen Propaganda, die in Deutschland immer stärker grassiert. Auf dem Fußballplatz wie im Netz, bei Demonstrationen wie in den Parlamenten. Die Hetzerinnen und Hetzer rekrutieren, streuen ihre Ideologien, beleidigen, bedrohen und schieben die Schuld an aller Art Problemen "den anderen" in die Schuhe: Geflüchteten, Eingewanderten und ihren hier geborenen Kindern, Schwarzen Menschen, Juden und Muslimen, Sinti und Roma.
Moukoko und Ngankam sind kein Einzelfall. Ähnlich war es schon am Dienstag Innenverteidiger Yann-Aurel Bisseck nach seiner Berufung zum Kapitän der deutschen U21 ergangen. Auch die deutschen U17 Fußball-Europameister wurden jüngst rassistisch beleidigt. Mehr als 22 Prozent der Deutschen haben Rassismus laut des Lageberichts der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung selbst erfahren.
Politik muss mehr handeln
Einerseits muss endlich zur Routine werden, dass konsequent und hart strafrechtlich gegen Verfasser von Hass-Kommentaren vorgegangen wird. Es muss in solchen Fällen gegen die Anonymität im Netz vorgegangen werden. Es müssen Accounts sofort gelöscht werden. Bei all dem geht es auch um eine Signalwirkung.
Das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom März 2021 ist ein wichtiger Anfang. Damit kann man Rassismus im Internet besser bekämpfen, soziale Netzwerke müssen strafbare Postings löschen und ans Bundeskriminalamt melden. Doch das ist nicht genug: Auch die Daten von Täterinnen und Tätern, die zur Identifikation beitragen, sollten in solchen Fällen an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden. Das gilt auch für die Fälle, in denen die sozialen Plattformen die Daten nicht in Deutschland speichern.
Andererseits müssen Politik und Fußball sich endlich eingestehen, dass hier ein strukturelles Problem vorliegt und dass Hasskriminalität und Rassismus nur auf struktureller Ebene wirklich bekämpft werden können. Einzelinhalte zu löschen, reicht nicht aus, wenn Menschen immer wieder offen angegriffen werden. Mal im Netz, mal verbal, mal mit Fäusten. Mölln, Solingen oder Rostock-Lichtenhagen - die Liste wird länger und länger. Manchmal sogar mit Waffen, wie etwa bei den NSU-Attentaten oder 2019 in Halle oder 2020 in Hanau.
Rassismus-Problem in Fußball und Gesellschaft
Deutschland, du hast ein akutes Rassismus-Problem. Nicht nur am rechten Rand. Sondern in der Mitte der Gesellschaft. Steh dazu. Bei der Polizei, auf dem Bahnsteig, in der Schule, im Bewerbungsgespräch, bei der Wohnungssuche, im Netz. Überall. Und die weiße Mehrheitsgesellschaft profitiert davon - auch wenn sie womöglich als Frauen, Menschen mit Behinderung, Sozialhilfeempfänger oder Homosexuelle ebenfalls Diskriminierung erfahren. Das muss ins Bewusstsein aller. Jeder handelt oder denkt mal rassistisch und grenzt aus. Totschweigen verschärft das Problem nur. Die Autorin Noah Sow hat dazu den klugen Satz geschrieben: "Wir können nichts dafür, dass wir so viel rassistischen Unsinn beigebracht bekommen haben. Wir können ihn jetzt aber loswerden."
Deutschland, du hast ein Rassismus-Problem. Akzeptanz ist der erste Schritt. Schrei es laut heraus. Verurteile es. Mit aller Vehemenz. Immerzu und überall. Akzeptiere, dass die Sicht der Betroffenen, der Moukokos und Ngankams, zählt. Ihr Alltag - auf der Straße, im Job, auf dem Fußballplatz, beim Surfen im Netz - wird durch die ständigen Begleiter Ausgrenzung, Demütigung und Gefahr flankiert, wie es sich Menschen ohne Rassismuserfahrungen gar nicht vorstellen können.
Deutschland, du hast ein Rassismus-Problem. Als Nächstes mach den zweiten Schritt und gehe das Problem aktiv an. Koordiniert und konsequent. Endlich. Nach viel zu langem Schweigen. Schütze deine Bürgerinnen und Bürger. Deine Fußballerinnen und Fußballer. Deine Kinder und Jugendliche. Beleidigungen und Bedrohungen aufgrund von "Hautfarbe", angenommener Herkunft oder anderer Zuschreibungen - das darf nicht sein. "Du bist anders, du gehörst nicht dazu" - das darf nicht sein. Es geht um Zugehörigkeit. Um Identitäten. Um Miteinander. Nicht nur die Politik muss laut und entschieden eingreifen, Mitbürgerinnen und Mitbürger müssen sich einmischen, auch im Netz, und aktiv gegen Rassismus vorgehen.
Deutschland, du hast ein Rassismus-Problem. Wenn in Kommentaren zum Fußball, in der Politik, im gesellschaftlichen Klima rassistische Denkweisen und Ressentiments immer offener propagiert werden, fühlen sich Täterinnen und Täter ermutigt. Sie sehen sich bestätigt, wenn Politik und Gesellschaft schweigen oder zu zögerlich handeln. Nährboden für ihren Hass sind auch populistische Aussagen seitens der AfD oder jüngst etwa von Eisschnellläuferin Claudia Pechstein.
Rassismus ist ein Angriff auf uns alle
Im aktuellen Fall um Moukoko und Ngankam hat der DFB sich mal Lob verdient, weil er schnell und deutlich klar Position bezogen und Rassisten Paroli geboten hat. Dennoch wäre es durchaus nicht verwunderlich, wenn der eine oder andere Kicker künftig keine Lust mehr hätte, diesen Hass über sich ergehen zu lassen. Wenn die Herzensangelegenheit Fußball immer wieder zertrümmert wird. Wenn der Traum Nationalmannschaft vom Hass zerstört wird. Wenn die Leidenschaft immer wieder zur Gefahr wird. Respekt, dass sie weiterspielen. Denn so weit darf es nicht kommen. Dann hätten die Täter - die Demokratiefeinde, die auch den Fußball verunglimpfen - gewonnen.
Rassismuserfahrungen wie die von Moukoko und Ngankam sind schmerzhafte Ohnmachtserfahrungen. Das kann lebenslange Ängste und weitere Auswirkungen mitbringen. Die beiden Fußballer haben immerhin das Glück, am öffentlichen Diskurs teilnehmen und sich gegen die Hetze wehren zu können. Frei und unbeschwert fühlen sich Menschen mit Rassismuserfahrungen in Deutschland aber nie hundertprozentig.
Und so etwas hat gravierende Auswirkungen auf die Demokratie. Rassismus ist ein Angriff auf uns alle, ein Angriff auf die gesetzliche Grundlage unserer Gesellschaft. Er beschmutzt den Fußball. Er fügt Bürgerinnen und Bürgern Schmerzen zu. Er untergräbt den gesamten Zusammenhalt Deutschlands. Wie. Oft. Denn. Noch?
Quelle: ntv.de