Peinliche Feier für Real-Legende Die brisante Abschiedsanklage von Ramos
17.06.2021, 17:07 Uhr
Tja, das wars!
(Foto: imago/photoarena/Eisenhuth)
Wenn es einen Spieler gibt, der Real Madrid verkörpert, dann ist es Sergio Ramos. Er ist Anführer und Abwehrchef. In beiden Rollen gleichermaßen gefürchtet und erfolgreich. Nun muss er den Klub verlassen, weil er sich verpokert hat. Das Ende ist richtig bitter.
So haben ihn seine größten Gegner nie gesehen, wahrscheinlich hätten sie es auch trotz aller sportlichen Rivalität nie sehen wollen: weinend, stammelnd, überfordert. Sergio Ramos, dieser Abwehrspieler zwischen Gigant, Gladiator, Souverän und Rüpel, weiß an diesem Donnerstagmittag nicht, wohin mit sich und seinen Gefühlen. Es sind Gefühle des Schmerzes. Denn nach 16 Jahren endet bei Real Madrid die Ära des Abwehrchefs. Seit Mittwochabend war das klar, am Tag drauf gab's nun die offizielle Verabschiedung. Ein kleiner Akt im Machtzentrum der Königlichen. Vor kleinem Publikum, wegen der Pandemie.
Dass Ramos etwas ganz anderes verdient hätte, das wissen sie alle in Madrid. Aber was nicht geht, das geht eben nicht. Bitter für die Legende des Klubs: Sein Abschied war bisweilen so unangenehm angespannt und steif, dass man froh war, als es endlich vorbei war. Aber gut, so ist dieses Ende eben authentisch. Keine Verherrlichung der Situation. Dass Ramos geht, ist nämlich keine Herzensentscheidung. Weder des Spielers noch des Klubs. Es ist das Ende eines Pokerspiels um einen neuen, lukrativen Vertrag für den 35-Jährigen. In Zeit und Geld. So hatten es gute und bestens informierte Medien wiederholt berichtet. Es war ein Spiel, das sie in Madrid häufiger gespielt hatten. Ramos hatte immer das bessere Blatt: eine Wechseldrohung.
Ramos wusste um seinen Status. Den Status des Unverzichtbaren. Niemand war mehr Real als er. Niemand trug den Stolz dieses Klubs aggressiver zur Schau. Niemand vertrat den Stolz dieses Klubs aggressiver auf dem Platz. Und das ist absolut im Wortsinn zu verstehen. Wenn es sein musste, dann schonte Ramos weder den eigenen Körper noch weniger den seines Gegners. Die Beispiele von Aktionen, die ihm viel Wut und Ärger einbrachten, lassen sich auf eine lange Liste schreiben. Auf eine sehr lange Liste. Aber niemand wird zur Legende, wenn die einzige Qualität das Wegflexen von gegnerischen Extremitäten ist. Ramos war Anführer und Abwehrchef. Und in beiden Rollen war er gleichermaßen gefürchtet und erfolgreich. 22 Titel gewann er mit den Königlichen.
"Bester! Verteidiger! Jemals!"
Ramos spielt seit 2005 für den Klub, er kam am 31. August vom FC Sevilla. Vom ungestümen und fehleranfälligen Rechtsverteidiger hat er sich mit den Jahren zum vermutlich besten Innenverteidiger Europas hochgearbeitet. "Bester! Verteidiger! Jemals!", twitterte Nationalspieler Toni Kroos über seinen langjährigen Mitspieler. Angesichts dessen, dass Kroos mit den Heldengrätschern Mats Hummels und Jérôme Boateng vor sieben Jahren den WM-Titel gewonnen hat, ist eine durchaus eine machtvolle Auszeichnung für Ramos, für Real Madrids charismatischen Maestro. Für die Legende.
671 Spiele im Trikot der Königlichen, 101 Tore, davon viele in wichtigen Partien. "Abgesehen von den Zahlen wirst Du immer einer unserer Kapitäne sein und einer unserer Lieblinge", sagte Klub-Boss Florentino Perez nun. "Alle Madridistas danken dir heute, dass du dazu beigetragen hast, den Namen von Real Madrid noch größer zu machen. Du bist einer der Großen von Real Madrid." Es sind große Worte. Ohne große Emotionen. Ebenso wie die anschließende Umarmung. Angespannt, steif. Ein Symbolbild. Ebenso wie der missratene Versuch des Chefs, seinem Spieler die Ehrennadel des Vereins anzustecken. Ein Symbolbild für die Beziehung der Beiden. Über die vergangenen Jahre. Über die letzten Monate. Perez wollte dem Kapitän nur noch einen Vertrag für ein Jahr vorlegen. Seine Argumente: Alter und Anfälligkeit. Gute Argumente, zweifellos. Ramos hingehen wollte noch einmal für zwei Jahre verlängern. Zu viel Geld für zu viel Risiko, so die Abwägungssache. So geht es dann nun auseinander. Irgendwie unwürdig, irgendwie peinlich.
Sätze, die Perez schwer belasten
Oder war's doch anders? In einer Medienrunde nach der offiziellen Verabschiedung ging Ramos die Vereinsspitze um den nicht mehr anwesenden Perez und Manager Jose Angel Sanchez an: "Zuallererst möchte ich klarstellen, dass ich nie von Real Madrid weggehen wollte. Ich wollte immer hierbleiben, das war immer meine Priorität, meine Mentalität." So weit, so durchaus spannend. Doch dann sprach er weiter. Und sagte immer brisantere Sätze. Sätze, die den Präsidenten nicht gut dastehen lassen: Er habe, sagte Ramos, eigentlich für weitere zwei Jahre verlängern wollen, letztlich aber einem neuen Einjahresvertrag zugestimmt. Diesen habe ihm Real dann aber verweigert. "Ich habe dem Angebot zugesagt, dann wurde mir mitgeteilt, dass die Frist abgelaufen ist", berichtete Ramos. Er habe jedoch nichts von einer Frist gewusst und sei "sehr überrascht" gewesen. Geld habe dabei nie eine Rolle gespielt. Es sei ihm um Ruhe und Kontinuität für sich und seine Familie gegangen.
Nun, es war nicht immer einfach mit Ramos. Keine Frage. Aber der Kapitän ging immer voran. Auf dem Platz sowieso. Aber eben auch dann, wenn der Klub kriselte, wenn der Abwehrchef mal schwächer spielte. Er stellte sich vor seine Mannschaft. Und richtete sie und sich immer wieder auf. Dabei scheute er auch nicht die größte Eskalation. Wie nach dem blamablen Achtelfinal-K.-o. in der Champions League gegen Ajax Amsterdam vor zwei Jahren. Der damals gesperrte Kapitän war nach der krachenden 1:4-Pleite im Rückspiel in die Kabine gerannt, wo er sich mehreren Medienberichten zufolge mit dem aufgebrachten Präsidenten heftig zoffte und sogar seinen Rauswurf provozierte. Perez soll die Fußballer heftig angegangen sein, ihr Auftreten "schändlich" genannt haben. Auch das zu ausschweifende Privatleben einiger Spieler soll er kritisiert haben. Ramos hielt nicht lange still und konterte, dass auch eine verfehlte Transferpolitik schuld an der Misere sei. Perez drohte mit Rauswurf, Ramos pöbelte (laut Medien): "Perfekt. Zahle mir, was du mir schuldest, und ich haue ab."
"Du warst jemand Besonderes für mich"
Nun sind alle "Schulden" beglichen. Alle Drohungen verraucht. Nun haut Ramos eben ab. Er muss. Unter der drückenden Last seiner Gefühle. Zwar nahm er das spektakuläre Highlight-Video noch emotionslos hin, während seine Frau Pilar Rubio mit den Tränen kämpfte (die beiden Kinder wirkten derweil überfordert mit der Situation, während Teile seiner Familie hemmungslos weinten). Das tat dann auch Ramos (mit den Tränen kämpfen). Aber erst als er ans Podium trat. "Es ist der Moment gekommen, einer der schwersten in meinem Leben. Man ist nie bereit, um sich von Real Madrid zu verabschieden. Es ist aber der Moment gekommen, mich von Real Madrid zu verabschieden. Eine einzigartige Reise geht zu Ende. Nichts wird jemals so sein wie das, was ich hier erlebt habe", stammelte Ramos.
Tränen, ein gesenkter Kopf, Pause. Überforderung. "Ich will in erster Linie meiner Familie danken, auch meinem Klub und dir, Präsident, all meinen Trainern und Mitspielern, ohne die nichts möglich gewesen wäre. Und wie könnte ich den Fans nicht danken? Ich hätte mich gerne im Santiago Bernabéu verabschiedet, aber es hat nicht sollen sein." Ramos und die Fans, eine besondere Beziehung. Umso brisanter seine Sätze zum (unfreiwilligen) Abschied. Perez und die Fans, auch eine besondere Beziehung. Keine liebevolle. Erst recht nicht seit den Super-League-Plänen.
Nach der Verabschiedung, in der anschließenden Medienrunde, fiel natürlich dann auch die eine, die unvermeidliche Frage: Wie war das Verhältnis zum Chef denn wirklich? "Meine Beziehung zum Präsidenten war immer außergewöhnlich. Es war ein Vater-Sohn-Verhältnis auf sportlicher Ebene. Ich werde Florentino für immer dankbar sein, er hat mich diesen Traum leben lassen und mich nach Madrid geholt. Das werde ich in Erinnerung behalten. Ich werde nichts gegen ihn sagen, denn auch in Familien gibt es Diskrepanzen. Ich verbleibe mit dem Guten und will auch, dass das in Erinnerung bleibt."
Auch Perez fand noch einmal schöne Worte: "Du warst für mich in all der Zeit jemand Besonderes. Ich wünsche dir vor allem, dass du glücklich bist - wo auch immer du dann sein wirst." Wie es für den 35-Jährigen in der kommenden Saison weitergeht, das ist offen. Beide Großklubs aus Manchester sollen um ihn werben. Auch in Paris soll man von der Idee fasziniert sein, Ramos als Rückendeckung für Neymar, Kylian Mbappé und all die anderen Künstler, womöglich ja auch noch Lionel Messi (entsprechende Gerüchte liegen vor) zu verpflichten. Perez schloss: "Eine Legende wie du, wird immer ein großartiger Botschafter für Real Madrid sein." Ein schönes Bild für die Visitenkarte gabs auch. Ramos durfte noch einmal zwischen all den Trophäen posieren. Emotional überfordert. Aber immerhin lächelnd.
Quelle: ntv.de