Der FC Bayern braucht Zeit Es musste Jupp Heynckes werden
05.10.2017, 15:52 Uhr
Na, noch schüchtern?
(Foto: picture alliance / Marc Müller/d)
Der FC Bayern München entscheidet sich wohl für den sicheren Weg: Er holt Jupp Heynckes aus dem Trainer-Ruhestand. Er holt einen Mann, der es vor allem schaffen wird, das atmosphärische Chaos im Team zu organisieren.
Als die Welt von Uli Hoeneß erfahren hatte, dass Josep Guardiola mit dem neuen Trainer des FC Bayern einverstanden ist, da war ja eigentlich alles klar. Nur hatte es erst niemand gesehen. Der Blick war ja schließlich auch gewaltig verklärt. Im Kopf alles schwindelig, so heftig wie sich das Namenskarussell gedreht, geschüttelt und geschleudert hatte. Jupp Heynckes macht's. Mal wieder. Zum vierten Mal. Und nichts ist naheliegender als diese Lösung. Erst recht nicht, wenn der katalanische Fußball-Superlativ sie abgesegnet. Denn niemand zuvor hatte den Genius so herausgefordert, wie Heynckes. Nie zuvor hatte sich Guardiola so verzweifelt an einer Vorgabe abgearbeitet, wie in seinen drei Jahren als Nachfolger des historischen Triple-Machers in München.
Guardiola wollte mit dem FC Bayern ebenfalls unbedingt die Champions League gewinnen, am besten flankiert vom Double aus Meisterschaft und DFB-Pokal. So wie halt Heynckes wenige Wochen vor der Verantwortungsübergabe zum 1. Juli 2013. Er scheiterte daran. Hatte Pech, traf aber auch falsche Entscheidungen. Egal. Ein Triple ist stets die Ausnahme, nie die Regel. Nicht für Real Madrid, nicht für den FC Barcelona, (noch) nicht für die gierigen Millionen-Yuppies von Paris Saint-Germain und erst recht für den FC Bayern. Guardiola hat das gewusst. Und er hat das gesagt. Bei der Übergabe des Sport-Bambis an Heynckes am 13. November 2013: "Deine Leistung bleibt immer heilig in der Geschichte des Fußballs. Du hast mir ein perfektes Team übergeben. Das kann ich nicht toppen."
Dieses perfekte Team ist zerbrochen. Und nun ein atmosphärisch und taktisch ziemlich verwilderter Haufen. Guardiola hat das freilich nicht zu verantworten. Er hat den dramatischen Verfall von der unter ihm hoch gezüchteten Taktik-Equipe zum planlosen "Mia-san-ich"-Ensemble aus der Ferne, aus Manchester, als Trainer der Citizens beobachtet. Und es schmerzt ihn sicher, seine einst so dominante und intelligente Elf so hilflos zu sehen, wie beim Carlo-Ancelotti-Killer in der Champions League gegen PSG. Und es erleichtert ihn ebenso sicher, nur so ist Guardiolas "Osteria-Italiana"-Segen zu verstehen, die Mannschaft nun zumindest für ein Dreivierteljahr (so heißt es bislang) in den souveränen Händen des "heiligen Josef" zu wissen.
Glückliche Ancelotti-Rebellen?
Die Entscheidung pro Heynckes, vorangebracht offenbar vor allem von seinem Freund Hoeneß - was ganz nebenbei als deutliches Zeichen im Kampf um die Führungsmacht mit Karl-Heinz Rummenigge gedeutet werden kann -, ist getrieben von der Sehnsucht nach Ruhe. Schon bei seinem Triple-Engagement hatte er das Zentrum der Aufgeregtheiten an der Säbener Straße zu einem Ort des Friedens und Miteinanders harmonsiert. Nur wenige Wochen nach seinem Eintritt in den Ruhestand erklärte der Jupp: "Ich habe eine Mannschaft geführt, auf die man sich morgens gefreut hat, in der sich die meisten Spieler umarmt haben, wenn sie sich morgens beim Training getroffen haben." Neun Spieler aus dieser Mannschaft trifft er nun, vier Jahre später, wieder. Darunter die vermuteten Ancelotti-Rebellen Franck Ribéry, Arjen Robben, Jerome Boateng und Thomas Müller. Außerdem noch Manuel Neuer, David Alaba, Rafinha, Javi Martinez und der gerade reaktivierte Tom Starke.
Was mit dieser Mannschaft nun möglich ist? Das Triple? Eher nicht. Aber darum geht es dem Klub gerade nicht. Er setzt auf den sicheren, den mehrfach bewährten Weg mit größtmöglicher Autorität für einen Langzeit-Interim. Mit Heynckes wird kaum etwas anbrennen. Irgendeinen Titel wird er schon holen. Bei den wort- und jammergewichtigen Topspielern ist er anerkannt, gar beliebt. Und mit seiner Fähigkeit zur Integration und Harmonie sowie seinen Spanisch-Kenntnissen kann er sogar die zuletzt offenbar ein wenig abgespaltene Gruppe um Thiago, Martinez, James Rodriguez und Arturo Vidal wieder ans Team andocken.
Mehr geht nicht und mehr braucht der Verein nicht, beziehungsweise: Der Verein braucht gerade nur genau das. Selbst wenn er sich mit der Personalie gerade selbst widerspricht. Denn Heynckes ist weder besonders innovativ, noch gilt er als taktisches Mastermind - im Prinzip ist er nichts anderes als ein Carlo Ancelotti mit einer Münchener Erfolgsvita. Aber sei's drum. Die Lösung auf Zeit bringt den Bossen die dringend benötigte Atempause, um sich mal ganz grundsätzlich darüber klar zu werden, wer die Zukunft des FC Bayern erfolgreich gestalten kann. Inklusive des Umbruchs auf Topniveau.
Wem vertraut Bayern die Zukunft an?
Ist das wirklich Julian Nagelsmann? Ein überragendes Trainertalent. Da sind sie sich in Deutschland sicher. Ein Mann allerdings, der in einem der eher beschaulichen Bundesliga-Umfeld werken kann. Ein Mann, der noch keine große Krise zu moderieren hatte, der sich in Hoffenheim mit einer Horde williger Spieler erfolgreich beweist, aber keine Riesenzahl an Egos einfangen und bei Laune halten muss. Und was ist mit Thomas Tuchel? Der sportlich ebenso unstrittig ist, wie Nagelsmann. Der sich aber nicht scheut, auch prominente Spieler zu opfern. Unter anderem Mats Hummels einst beim BVB - was ihm nun bei den Verhandlungen in München womöglich auf die Töppen geknallt ist. Der fördernd ist, aber auch fordernd. Ein überzeugtes Alphatier, was der Auseinandersetzung nicht aus dem Weg geht. Für diese Entscheidung braucht es Mut. Und Rückgrat. Und die Bereitschaft zum Kompromiss und zur eigenen Zurücknahme.
Oder ist es doch Jürgen Klopp? Mit dem sich der FC Bayern, beziehungsweise Uli Hoeneß, ja schon 2008 einig war, diese Einigung aber aufkündigte, um sich mit Jürgen Klinsmann ins sportliche Verderben zu innovativieren. Den Klopp-Traum jedenfalls haben sie in München nie so richtig aufgegeben. Vom gigantischen Motivator mit der oft so erfolgreichen und spektakulären Chaos-Idee des Heay-Metal-Fußballs. Vom Mann, von dem Bayerns neuer Trainer-Chef-Berater Guardiola in den allerhöchsten Tönen schwärmt. Vom Mann, der seiner Mannschaft immer das gute Gefühl des Vertrauens gibt. Vom Mann, der clever genug ist, sich zumindest öffentlich aus allen Machtkämpfen auf höchsten Ebenen herauszuhalten. Der so emotional und so besessen ist. So besessen wie die Bayern vom Erfolg.
Und außerdem gibt es da noch eine schöne Geschichte aus diesem Sommer, vom Audi-Cup in der Allianz-Arena. Als Klopp als Liverpool-Coach auf jenem Sessel am Spielfeldrand gesessen haben soll, der sonst dem Chef-Übungsleiter des FCB gehört. Als er dann gefragt worden sein soll, wie es sich anfühle. Als er daraufhin sagte "gut", lächelte, verschwand. Und den FC Bayern mit 3:0 besiegte. Was das bedeutet? Nun, vermutlich weiß das nur Hoeneß. Und Guardiola. Und Heynckes.
Quelle: ntv.de