Real-Remis im Schnellcheck Fünf FC-Bayern-Minuten, die Hoeneß verzückt haben müssen
30.04.2024, 23:52 Uhr
Leroy Sané trifft zum ersten Mal seit Oktober 2023 für den FC Bayern.
(Foto: picture alliance/dpa)
Für das Rückspiel im Champions-League-Halbfinale wahren der FC Bayern und Real Madrid die beste Ausgangssituation. Die Münchner liegen früh hinten, schlagen dann aber doch zurück. Zwei Fehler verbauen der Elf von Trainer Thomas Tuchel den Heimsieg.
Was ist in der Allianz Arena passiert?
Die Bühne war bereitet. Das Halbfinale in der Champions League. Zwei Größen des europäischen Klubfußballs. Der FC Bayern München gegen Real Madrid. Beide Trainer weisen sagenhafte Statistiken vor, beide lieben diesen Wettbewerb: Thomas Tuchel ist noch nie in einem Halbfinale ausgeschieden, Carlo Ancelotti ist gegen die Bayern ungeschlagen. Selbst der sonst zurückhaltende EM-Boss Philipp Lahm griff zur sprachlichen Ekstase: Das Spiel verspreche "ein spannungsgeladenes Duell zweier Fußball-Giganten", schrieb er bei X. Lahm schlug diese Schlacht übrigens achtmal in der Bayern-Rüstung - verlor jedoch fünfmal.
Am Ende steht ein 2:2 (0:1)-Remis nach einem wilden Abend, der die Bayern von dem grauen Alltag ablenkt. Der deutsche Fußball-Rekordmeister steht (sollte das mit der Königsklasse schiefgehen) vor der ersten titellosen Saison seit 2012. In der Liga ist die Leverkusen-Maschine von Xabi Alonso schon zur Meisterschaft geeilt, im DFB-Pokal war bereits in der zweiten Runde bei Drittligist Saarbrücken Schluss. Aber nicht nur das: Vom Tegernsee ruft der eigentliche Klubboss dazwischen. Uli Hoeneß sprach seinem Trainer eine Kernkompetenz ab, dessen möglichen Nachfolger stutze er schon vor seiner Ankunft zurecht. Ralf Rangnick sei hinter Xabi Alonso und Julian Nagelsmann nur dritte Wahl.
Auf dem Feld ließen die Bayern trotz dieser Wirrungen erkennen, dass sie einen Plan hatten. Tuchel sprach von Räumen, die die Bayern bespielen sollten. Das taten sie in der Anfangsphase auch. Nur, ein Tor fiel nicht (mehr dazu später). Und weil die Münchner nicht einnetzten, taten es eben die Madrilenen. DFB-Boss Toni Kroos erspähte die Körpertäuschung von Vinicius Jr., der die fehlende Spielpraxis von Innenverteidiger Kim Min-jae ausnutzte. Der musste den Brasilianer nach dessen Finte in der 24. Minute ziehen lassen. 1:0 für Real, damit schien die Geschichte eigentlich schon auserzählt.
Aber Obacht! Große Abende bedeuten auch große Spiele. Nach der Pause folgten fünf Minuten, die auch Hoeneß verzückt haben müssen. Die Münchner konnten tatsächlich durch einen Arjen-Robben-artigen Abschluss von Leroy Sané, der von der rechten Strafraumkante abzog, ausgleichen (53.). Nicht nur das: Der FC Bayern ging tatsächlich nach einem berechtigten Foulelfmeter dank Harry Kane in Führung (57.). Doch das Spiel hielt kurz vor Schluss die nächste Wendung parat: Kim pennte (erneut), foulte Rodrygo im eigenen Strafraum. Vinicius verwandelte den fälligen Foulelfmeter (83.).
Teams und Tore:
München: Neuer - Kimmich, Kim, Dier, Mazraoui - Goretzka (46. Guerreiro), Laimer - Sane (87. Davies), Müller (80. Gnabry), Musiala - Kane; Trainer: Tuchel.
Madrid: Lunin - Vazquez, Rüdiger, Nacho (65. Camavinga), Mendy - Tchouameni, Kroos (75. Diaz) - Valverde, Bellingham (75. Modric), Rodrygo (87. Joselu) - Vinicius; Trainer: Ancelotti.
Schiedsrichter: Clement Turpin (Frankreich)
Tore: 0:1 Vinicius (24.), 1:1 Sane (53.), 2:1 Kane (57., Foulelfmeter), 2:2 Vinicius (83., Foulelfmeter)
Gelbe Karten: Mazraoui, Kim - Kroos, Vazquez
Zuschauer: 75.000 (ausverkauft)
Warum könnte sich Hoeneß vielleicht doch über Tuchel gefreut haben?
Vor dem Spiel musste Bayern-Sportvorstand Max Eberl über viele Dinge sprechen. Allen voran natürlich über die sich immer und immer weiter ziehende Trainersuche des deutschen Rekordmeisters. Über Uli Hoeneß. Über Thomas Tuchel. Naturgemäß lag sein Interesse aber darin, die Aufmerksamkeit weg von den hoeneß'schen Attacken des FC Hollywood zu lenken. Und so verriet Eberl: Tuchels Plan habe er zwar mitangehört, aber so richtig auch nicht verstanden.
Anders das Bayern-Ensemble. Dessen Job ist es ja, die Überlegungen des Trainers von der Taktiktafel auf den Platz zu bringen. In der ersten Viertelstunde gelang ihnen das überraschend gut. Sie erzeugten viel Druck, um Real in der eigenen Hälfte einzuschnüren. Doch: Die Tuchel-Elf ließ viele ihrer Chancen liegen. Das eiskalte Real nutzte das aus. Mit dem Rückstand im Nacken packten die Bayern in der zweiten Hälfte wieder ihr Champions-League-Gesicht aus, Konrad Laimer werkelte unermüdlich im Mittelfeld. Die Münchner spielten sich Chance um Chance heraus, nur aus der 2:1-Führung mehr zu machen, das schafften sie nicht.
Es ist das, was Eberl vor dem Spiel angedeutet hatte. Der Trainer scheint das Team noch zu erreichen, wenn es offenbar auch nur in der Königsklasse so ist. Was wäre nur gewesen, wenn die Saison anders verlaufen wäre? Wenn es nicht das unfassbare Bayer Leverkusen gegeben hätte? Wenn Tuchel auch den von ihm geforderten Kader bekommen hätte? Es bleibt viel Konjunktiv.
Was war irgendwie auch gut?
Real Madrid und die Champions League, das ist ein Phänomen. Eigentlich ist das wie ein kaltes Getränk nach einem langen Arbeitstag. Zwei Dinge, die einfach zusammenpassen. In Madrid gehen die Uhren anders, dort beginnt die Saison erst im Februar - wenn die CL-Königsklasse ansteht. Trainerfuchs Ancelotti wird gerne als kaugummikauende Vaterfigur verlacht, aber wenn der Italiener mit seinem Klub in der Königsklasse unterwegs ist, scheinen höhere Mächte am Werk. Das war schon im Viertelfinale gegen Manchester City so: Erst gab es das 3:3-Spektakel in Madrid, dann die Ancelotti-Masterclass im Rückspiel. Die Königlichen gingen früh mit 1:0 in Führung und nahmen danach, unbeeindruckt von Citys Ausgleich der Schlussviertelstunde, praktisch 110 Minuten nicht mehr am Spiel teil. Am Ende bezwangen sie den amtierenden englischen Meister im Elfmeterschießen.
Auch diesmal scheint es wieder funktioniert zu haben. Die Madrilenen machten lange alles richtig. Nicht umsonst warnte Tuchel schon vor der Partie vor der besten Kontermannschaft Europas. Toni Kroos schaltete vor der Abwehrkette, erkannte überragend den Laufweg von Vini jr. vor dem 1:0 und spielte den perfekten Ball in den Raum. Und sonst: An DFB-Innenverteidiger Antonio Rüdiger war kein Vorbeikommen, Jude Bellingham arbeitete auf dem ganzen Feld. Und so machte Real Madrid in der Champions League erneut gefühlt zumindest fast alles richtig. Ein 2:2-Remis ist zumindest nicht die schlechteste Ausgangslage für das Rückspiel im Santiago Bernabéu. Dort sind die Königlichen in dieser CL-Saison noch unbesiegt.
Und wer hatte einen schlimmen Tag?
Tatsächlich erlebte Bayerns Min-jae Kim einen gebrauchten Abend. Der Innenverteidiger, der im Sommer als "Monster" kam, erschreckte die eigenen Fans gleich zweimal. Man sah ihm die fehlende Spielpraxis an. Zunächst beim 0:1-Gegentreffer: Als er sich von Vinicius Jr. tief ins Mittelfeld locken ließ, um dann nicht mehr hinterherzukommen, nachdem Kroos in den freigewordenen Raum gespielt hatte. Dass ein Innenverteidiger nicht so weit herausrücken sollte, das wird auf vielen Fußballplätzen schon früh gelehrt. Und dann eben das Foul vor dem Elfmeter zum 2:2. Wieder ließ er einem Real-Angreifer zu viel Platz, wieder kam er zu spät, diesmal Rodrygo. Wenig unauffällig riss er den brasilianischen Nationalspieler dann um.
Wie war es im Stadion, David Bedürftig?
Die Bayern-Fans erleben an diesem Abend eine Achterbahnfahrt der Gefühle. "Wir brauchen wieder die maximale Unterstützung, um auch mal Phasen, in denen wir leiden müssen, zu überstehen. Gemeinsam mit den Zuschauern müssen wir eine Atmosphäre schaffen, die uns einen Vorteil bringt", hatte Trainer Tuchel gefordert. 75.000 im ausverkauften Rund, allen voran die Südkurve gibt ihr Bestes. Zweimal wird es mucksmäuschenstill (die Gegentore), zweimal explodiert die Arena förmlich (Doppelschlag nach der Pause) - und jedes Mal wird ein Ballgewinn und eine gelungene Aktion in diesem Champions-League-Kracher gebührend gefeiert.
Vor dem Anpfiff glänzt auf an der Seitenlinie die Glatze von Arjen Robben mit der vor Matthias Sammer um die Wette, während vor der Süd ein riesiges Banner hängt: "Dem Kaiser Franz zu Ehren - fürs Finale alles geben!" Kurz darauf wird ein überdimensionales Plakat von 70er-Jahre-Kapitän Beckenbauer vom dritten Rang bis zum Unterrang ausgerollt. Er lächelt bei solch einem wilden Bayern-Sieg garantiert von oben.
Stimme zum Spiel:
Toni Kroos bei Prime Video: "Zur Halbzeit hätte ich das 2:2 ungern genommen, jetzt zehn Minuten vor Schluss natürlich sehr gern. Ich denke, dass es leistungsgerecht ist. Wir sind überzeugt, dass wir zu Hause weiterkommen."
Thomas Tuchel zum Gegentreffer zum 0:1 und dem Abwehrverhalten von Kim Min-jae: "Das ist zu einfach, das ist nur eine Gegenbewegung, da kann auch niemand helfen."
Tuchel zum Stand der Dinge: "Sie haben mit uns gemacht, was sie mit allen machen: aus zwei Torchancen zwei Tore. Deshalb fühlt es sich jetzt ein bisschen komisch an. Aber die Ausgangslage ist jetzt im Grunde glasklar. Jetzt brauchen wir nicht überlegen. 90 Minuten, 120 Minuten, Elfmeterschießen. Sieg in Madrid und weiter nach Wembley."
Konrad Laimer: "Es war im Großen und Ganzen ordentlich von uns. Wenn man im Halbfinale ist, will man auch ins Finale. Wir hatten richtig viele Chancen, waren ein paar Mal zu unsauber. Sie hatten gefühlt drei Chancen und machen zwei Tore."
Quelle: ntv.de