Riesen-Euphorie östlich der Oder Ganz Polen betrinkt sich am Lewandowski-Transfer
19.07.2022, 20:40 Uhr
Schon bei den Länderspielen im Juni gab es nur ein Thema.
(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)
Robert Lewandowski ist in seinem Heimatland Polen ein Superstar. Daher ist es nicht überraschend, dass sein Wechsel zum FC Barcelona ein ganz großes Thema ist. Es ist ein Transfer, mit dem die Polen auch große Hoffnungen verbinden.
Was passiert, wenn ein Fußball-Profi, der schon während seiner aktiven Zeit in seinem Heimatland als der mit Abstand beste aller Zeiten gilt, der dazu Träger des zweithöchsten zivilen Staatsordens ist, zum FC Barcelona wechselt? Einem Verein, der sich zwar in einigen Nöten befindet, aber immer noch einer der bekanntesten und populärsten Klubs der Welt ist.
Natürlich ist er Thema in allen Nachrichtensendungen des Landes. Egal ob beim staatlichen TVP, das in seiner Nachrichtensendung darüber informierte, dass "Lewandowski zu seinen neuen Kollegen in Barcelona hinzugestoßen ist", oder in der sonntäglichen Talkshow eines großen Privatsenders, in welcher sogar Politiker den Wechsel des Nationalhelden nach Barcelona kommentierten.
All dies unterstreicht mal wieder, welchen Stellenwert Lewandowski in seinem Heimatland Polen hat. Und unübersehbar ist dies vor allem in der polnischen Sportpresse. Man erfährt in dieser nicht nur, dass die 45 Millionen Euro, welche die Katalanen an den FC Bayern zahlen, die bisher größte gezahlte Transfersumme für einen polnischen Fußballspieler ist, sondern auch alles über Lewandowskis Schritte in den vergangenen Tagen.
Egal ob sein Abschied vom Team des deutschen Rekordmeisters, seine Ankunft in den USA, wo der FC Barcelona derzeit auf Tournee ist und dort am kommenden Sonntag auch ein Testspiel gegen seinen Erzrivalen Real Madrid bestreitet, oder das erste Training mit seinen neuen Teamkollegen. Alles wird von der polnischen Presse genauestens dokumentiert und beschrieben. Selbst Lewandowskis Lächeln, "das im Gegensatz zu den letzten Tagen in München wieder entspannt wirkt". Dass an diesem Wochenende auch der erste Spieltag der heimischen Ekstraklasa stattfand, ging dabei schon fast unter.
Der Krieg in der Ukraine
Und natürlich dürfen auch die Meinungen und Kommentare von Experten und langjährigen Wegbegleitern Lewandowskis nicht fehlen. "Ich habe damit gerechnet, dass der Transfer Mitte Juli vollzogen wird. So ist es nun auch passiert. Und am Ende gibt es auf allen Seiten nur Sieger", sagte beispielsweise Zbigniew Boniek, Polens Fußballstar der 80er-Jahre und bis zum vergangenen Jahr langjähriger Präsident des polnischen Fußballverbandes PZPN. "Seinen Charakter kennend, wusste ich, dass er alles perfekt geplant hat, dass es keinen Platz gibt für irgendwelche Zufälle", erklärte wiederum Adam Nawałka, der bis 2018 Lewandowskis Trainer in der Nationalmannschaft war.
Ja, selbst Cezary Kucharski, Lewandowskis langjähriger Manager und Geschäftspartner, der sich seit einigen Jahren einen schlagzeilenträchtigen Rechtsstreit mit dem Weltklassestürmer liefert, gab einen Kommentar zum Transfer seines einstigen Schützlings ab. So meint Kucharski, dass dies nicht der letzte Vertrag in der Karriere von Robert Lewandowski sein wird, sondern dass dieser später noch in den USA spielen wird.
Doch trotz dieser Dauerberichterstattung sollte man nicht glauben, dass der Transfer von Robert Lewandowski das alles beherrschende Sportthema in Polen war. Auch, wenn der Stürmer ausgerechnet die Nations-League-Spiele der polnischen Nationalmannschaft dazu nutzte, um mit dort getätigten Aussagen seinen Wechsel nach Katalonien zu forcieren. Und der Grund dafür ist der Krieg in der Ukraine, der auch im polnischen Fußball seine Spuren hinterlassen hat. Nachdem im Juni bekannt wurde, dass der seit Jahren in Russland spielende polnische Nationalspieler Maciej Rybus nicht wie von der Öffentlichkeit erwartet, Russland verlässt, sondern stattdessen aus Rücksicht auf seine russische Ehefrau innerhalb Moskaus von Lokomotiv zu Spartak wechselt, brach in Polen eine Welle der Empörung, die Rybus am Ende sogar die Teilnahme an der WM in Katar kosten wird.
Ärger über deutsche Journalisten
Der Wechsel von Robert Lewandowski bedeutet aber auch einen Einschnitt in den deutsch-polnischen Fußballbeziehungen. Durch Stars wie Jan Furtok, Jakub Błaszczykowski, Łukasz Piszczek und eben Lewandowski, die seit den 1980er-Jahren in der Bundesliga spielen, gewann diese in Polen viele Fans. Doch eine Entfremdung trat bereits 2021 ein, als Robert Lewandowski kurz davorstand, den 40-Tore-Rekord von Gerd Müller zu übertreffen. Was dem polnischen Stürmer am letzten Spieltag der damaligen Saison auch schlussendlich gelang.
Die damaligen und zum Teil nicht ganz ernstgemeinten Aufrufe von Dietmar Hamann und des "Spiegel"-Journalisten Peter Ahrens, Lewandowski möge auf seinen Rekord verzichten, lösten in Polen eine Welle der Empörung aus, die selbst PiS-nahe und ansonsten sportfremde Medien erfasste. Die polnische Interpretation war klar: Die Deutschen haben ein Problem damit, wenn ausgerechnet ein Pole den Rekord eines Deutschen übertrifft.
Jetzt endlich auch der Ballon d'Or
Freuen kann sich nun jedoch die spanische Liga. Und das nicht nur, weil mit Robert Lewandowski ein Weltstar in diese wechselt. Bereits 2014 ergab eine Umfrage, dass die zwei beliebtesten ausländischen Vereine der Polen Real Madrid und der FC Barcelona sind. Mit Barça wechselt Lewandowski zwar nur zu dem zweitbeliebtesten ausländischen Klub der Polen, doch dies könnte sich nun vielleicht ändern. Mit dem Wechsel erhoffen sich die Polen aber auch noch die Wiedergutmachung für eine aus ihrer Sicht andere Ungerechtigkeit. Als im vergangenen Jahr nicht Robert Lewandowski, sondern Lionel Messi den Ballon d'Or gewann, reagierten die meisten polnischen Fans mit Unverständnis.
Nicht wenige meinten, dass die Wahl anders ausgefallen wäre, wenn Lewandowski nicht bei einem Bundesligisten unter Vertrag stehen würde. "Bringt der Transfer für Lewandowski auch einen sportlichen Vorteil? Meiner Meinung nach wird es für ihn in den Farben des Stolzes von Katalonien leichter, den ersehnten Goldenen Ball zu gewinnen", schrieb der 52-malige polnische Nationalspieler Kamil Kosowski, der in seiner Karriere auch 43 Pflichtspiele für den 1. FC Kaiserslautern absolvierte, in seiner Kolumne für den "Przegląd Sportowy". Dies wäre nicht nur ein weiter persönlicher Erfolg für Lewandowski, sondern auch für die polnischen Fans.
Quelle: ntv.de