Schock-Wechsel von Union zum VfL "Geldgieriger" Max Kruse ist eine ehrliche Haut
31.01.2022, 14:53 Uhr
Max Kruse war schon einmal ein Wolf!
(Foto: picture alliance / augenklick/firo Sportphoto)
Max Kruse wechselt von Union Berlin zum VfL Wolfsburg. An der Alten Försterei in Berlin hätte er zu einer Vereinslegende werden können. Der 33-Jährige jedoch entscheidet sich für den Abstiegskampf und für das Geld. Es ist der spektakulärste Wechsel des Winters und der ehrlichste seit langer Zeit.
Sturmwarnung in Niedersachsen! Zugausfälle. Der Bahnverkehr wird zeitweise sogar eingestellt. Doch der Osten des Bundeslandes ist nicht betroffen. Was gut ist in diesen Tagen, in denen an dem wohl berühmtesten Nicht-Halt der Deutschen Bahn, dem Bahnhof Wolfsburg, überraschend hohes Reiseaufkommen herrscht. "Die Züge haben alle gehalten", erklärt ein Sprecher des Unternehmens. Gute Nachrichten am Mittellandkanal. Die gab es zuletzt selten.
Der ortsansässige Bundesliga-Verein, der VfL, bangt beinahe schon sensationell um die Klassenzugehörigkeit. Eine Serie von neun Liga-Spielen ohne Sieg, in denen überhaupt nur zwei Unentschieden gelangen, hat die Wölfe von Platz vier in der Tabelle auf Platz 15 gespült. Trainer Florian Kohfeldt steht auf der Kippe, Geschäftsführer Sport Jörg Schmadtke auch. Bei der 100-prozentigen Volkswagen-Tochter geht es selten um große sportliche Erfolge, geht es selten um Titel und es geht auch selten um schrille Charaktere in der Mannschaft. Sie passen meist nicht in diesen von durchschnittlicher Langeweile geprägten Landstrich und wenn sie dann doch kommen, kassieren sie den Wolfsburg-Zuschlag. Aber die Situation ist ernst. Und die Transferphilosophie, auf junge und entwicklungsfähige Spieler zu setzen, über den Haufen geworfen.
Wind of Change am Mittellandkanal
Die Lage am Mittellandkanal ist höchst prekär, denn so wenig wie der Titel das Ziel der mittelmäßig ambitionierten Wolfsburger ist, so wenig wollen sie in die zweite Liga abstürzen. Deswegen weht dieser Tage ein kräftiger Wind der Veränderung über den Mittellandkanal. Aus Dänemark treibt es so den 22-jährigen Nationalstürmer Jonas Wind in Richtung VW-Arena, aus Washington segelt der junge Mittelfeldspieler Kevin Paredes heran, während der frühere Kapitän Josuha Guilavogui zurück nach Frankreich wechselt, die Bankspieler Admir Mehmedi und Daniel Ginczek verschwinden, und Stürmer Wout Weghorst bei einem Abstiegskandidaten, Burnley, seine in Deutschland zuletzt ins Stolpern geratene Karriere wiederbeleben will. Ein massiver Kaderumbau eines Vereins im freien Fall.
So weit, so gewöhnlich, so unspektakulär. Nichts, um digitale Ansichtskarten von den vier Schloten des VW-Werks in die Welt zu schicken. Aber das ist eben nicht alles. Und das, was am Sonntag passierte, bringt den Glamour zurück an den Mittellandkanal. Mit Max Kruse heuerte da eine der schillerndsten Figuren des deutschen Fußballs beim Abstiegskandidaten an. In seiner Abschiedsmitteilung an seine ehemaligen Fans bei Union Berlin machte er kein Hehl aus seinem Anliegen.
"Ich danke euch allen für euer Vertrauen in mich - und jetzt bitte ich euch um Euer Verständnis für meine Entscheidung, ein Angebot, das langfristig und hoch dotiert ist, anzunehmen", ließ der 33-Jährige in seinem letzten Statement als Spieler von Union Berlin, einen Tag nachdem er bei "Schlag den Star" 100.000 Euro gewonnen hatte, mitteilen. Verständnis, das niemand, der Union nahesteht, aufbringen will und wird. Verständnis, welches man beim Blick auf das kolportierte Jahresgehalt von fünf Millionen Euro aber auch aufbringen könnte.
Weltstar in den 70ern
Geld ist also Kruses Motor. Verblüffende Ehrlichkeit in einer Branche, die sich sonst gerne abgedroschener Bilder bemüht, um den Wechsel eines Spielers von einer Red-Bull-Filiale zur anderen als Erfüllung eines Lebenstraums zu zeichnen. Oder, wie im Falle Weghorst, auch um ein wenig nachzutreten. "Der Niederländer macht seinen lange gehegten Traum wahr und wechselt in die Premier League zum FC Burnley, dem aktuellen Tabellenschlusslicht der ersten englischen Liga", schrieb der neue Kruse-Verein über den Wechsel des Stürmers.

Im Oktober 2015 trifft und jubelt beim Länderspiel gegen Georgien.
(Foto: picture alliance / AP Photo)
Kruse tickt da anders. Ihm geht es im besten Sinne darum, eine gute Zeit zu haben. Im Leben und im Fußball. Dort war er auf seinen zahlreichen Stationen immer wieder erfolgreich, wuchs schnell in die Rolle des Schlüsselspielers seiner Mannschaft hinein und zog mit seinen aus der Zeit gefallenen Eskapaden immer wieder die Aufmerksamkeit des Boulevards auf sich. Mal waren es Publikumsbeschimpfungen, mal Erregungen über den schlechten Kundenservice eines Luxus-Autohauses. Die meisten Skandale waren klassische und dankbare Boulevard-Themen: Sex, Autos, Geld und Pokern. Dazu ein wenig extravagante Kleidung, ein lockeres Mundwerk: In den 1970ern Jahren hätte Kruse das Zeug zu einem Weltstar gehabt.
Doch die 1970er Jahre sind lange her. So wurde Kruse anstatt eines Weltstars einer, den man ohne schlechtes Gewissen "Söldner" nennen kann, ohne dabei Kruse zu beschädigen. Werder Bremen, FC St. Pauli, SC Freiburg, Borussia Mönchengladbach, VfL Wolfsburg, wieder Werder Bremen, Fenerbahçe Istanbul, Union Berlin und jetzt erneut VfL Wolfsburg. Das macht über 400 Spiele in unterschiedlichen Ligen, über 100 Tore und beinahe 100 Tor-Vorbereitungen. Sogar 14 Länderspiele stehen in seiner Vita. Das sind fast so viel Auftritte im Dress der Nationalmannschaft wie in den unterschiedlichen europäischen Klub-Wettbewerben. Dort kommt er auf 21 Auftritte. So richtig angekommen ist er dort nie. Vielleicht wollte es der Freigeist auf und außerhalb des Platzes auch nicht anders.
Kruse will keine Klub-Legende sein
Womöglich wird das nun auch nie wieder passieren. Der VfL Wolfsburg wird in dieser Saison sehr wahrscheinlich keinen europäischen Wettbewerb erreichen, Union Berlin hingegen klopft an die Tür zur Champions League. Der Verein aus Köpenick erzählt im nunmehr dritten Bundesliga-Jahr eine einzigartige Aufstiegsgeschichte im deutschen Fußball. Einzigartig, weil sie nicht über Geld, sondern über einen herausragenden Trainer, einen der erfolgreichsten Sportdirektoren der Liga, über Zusammenhalt und Gemeinschaft erzählt wird.
Max Kruse jedoch hat sich gegen den Legendenstatus an der Alten Försterei und für das Geld bei einem von der Allgemeinheit als Werksklub geringgeschätzten Verein entschieden. "Wenn er sich nun jedoch ganz bewusst gegen die Chance entscheidet, mit Union in dieser Saison Geschichte zu schreiben, akzeptieren wir das", kommentierte Union-Präsident Dirk Zingler den Wechsel des im Sommer ohnehin vertragsfreien Spielers, der dem Verein über fünf Millionen Euro in die Kassen spülen wird.
Der Wechsel macht Kruse zum perfekten Symbol für die Missstände im deutschen Fußball. Dabei ist der Wechsel nur die logische Fortführung seines Karrierewegs. Auch das merkte der Offensivspieler an. "Dazu geht es um einen Verein, bei dem ich noch ein Kapitel offen habe, das ich nun zu Ende schreiben kann", ließ Kruse in seinem Statement mitteilen. Sein erstes Kapitel am Mittellandkanal endete im Sommer 2016 nach nur einer Saison. Nach neun Tore und 13 Assists in insgesamt 43 Pflichtspielen. Dem Kapitel, das damals auf Rang neun endete, will er nun, und vorerst unter seinem alten Bremer-Trainer Florian Kohfeldt, einen Abschluss hinzufügen. Der spektakulärste Wechsel des Bundesliga-Vereins ist zudem einer der ehrlichsten der letzten Jahre.
Quelle: ntv.de