Interview mit Uli Stein "HSV ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten"
20.04.2015, 13:57 Uhr
Uli Stein ist Fußball-Experte bei RTL.
(Foto: picture alliance / dpa)
Sechs Spiele torlos, neun Spiele nicht mehr gewonnen, Tabellenletzter - das ist die Horrorbilanz des Hamburger SV. Alles deutet auf den ersten Bundesligaabstieg der Vereinsgeschichte hin. Uli Stein erklärt im n-tv-Interview, woran der HSV krankt, wer für den Niedergang verantwortlich ist und was jetzt wirklich passieren muss.
n-tv.de: Herr Stein, Sie haben jahrelang im Tor des HSV gestanden, dabei Meisterschaften und den Europapokal der Landesmeister gewonnen. Jetzt ist der Verein seit 586 Minuten ohne eigenes Tor, seit neun Spielen sieglos und Tabellenletzter der Bundesliga. Es droht der erste Abstieg der Bundesliga. Wie sehr schmerzt Sie die Situation Ihres HSV?
Uli Stein: Schmerzen hatte man in den vergangenen Jahren schon genug beim HSV. Jetzt ist so langsam der Zeitpunkt gekommen, wo man einfach auch mal nüchtern erkennen muss, dass es vielleicht sinnvoll ist für den HSV, auch mal den harten Gang in die Zweite Liga anzutreten.
Wieso?
Man hat aus den vielen Fehlern der Vergangenheit nicht gelernt. Man hat in diesem Jahr die Fehler der vergangenen Jahre sogar noch übertroffen, alles noch schlechter gemacht als vorher - was eigentlich kaum noch möglich war. Ich habe den Eindruck, dass der HSV nichts dazulernt und insofern ist es vielleicht sinnvoll und heilvoll, wenn er am Saisonende den Gang in die 2. Liga antreten muss.
Aber wäre ein Abstieg in die Zweitklassigkeit nicht sehr gefährlich für den HSV? Schließlich ist der Klub finanziell nicht gerade auf Rosen gebettet.
So genau kenne ich die finanzielle Situation des Vereins nicht. Aber Fakt ist: Es wird auf jeden Fall sehr schwer.
Uli Stein, 1954 in Hamburg geboren, spielte 512 Mal in der Bundesliga. Neben Arminia Bielefeld (1976-80, 1995-97) und Eintracht Frankfurt (1987-94, Pokalsieger 1988) stand er auch im Tor des Hamburger SV (1980-87, 1994/95). Mit dem HSV gewann er 1983 den Europapokal der Landesmeister, 1987 den DFB-Pokal und wurde zweimal Deutscher Meister (1982, 1983). Sechs Mal stand er im Tor der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Bei der WM 1986 in Mexiko bezeichnete er Teamchef Franz Beckenbauer als "Suppenkasper" und flog aus dem Team. Steins Autobiografie "Halbzeit" (1993) war ein Bestseller. Heute ist er unter anderem RTL-Fußballexperte.
Nach der letzten Saison - schmeichelhafte Rettung durch zwei Remis in der Relegation - gab es die Ausgliederung beim HSV, neue Machtverhältnisse wurden geschaffen, noch einmal Millionensummen investiert. Ohne Erfolg.
Ja, weil sich auch unter der neuen Führung nichts geändert hat. Die schon krassen Fehler aus der Vergangenheit wurden noch einmal übertroffen. Das ist ein Armutszeugnis, bedrohlich und - ja, schon grob fahrlässig.
Woran hapert es beim HSV denn am meisten?
Der HSV hat null Konzept, keine Vision. Das sieht man auch jetzt an der neuen Führung, die nicht bundesligatauglich ist und nicht weiß, was sie machen soll und genauso hilflos dasteht wie ihre Vorgänger. Egal, wer beim HSV in den vergangenen Jahren Verantwortung inne hatte - es wurde immer schlecht gearbeitet.
Und die Außendarstellung des Klubs?
Das ist das nächste große Problem. Die ist - genau wie der HSV selbst - an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Das ist noch nicht einmal amateurhaft. Das ist unter-amateurhaft!
Bruno Labbadia ist nun der vierte Trainer innerhalb nur einer Saison. Sein Einstand ging im Nordderby daneben. Auch Felix Magath und Thomas Tuchel waren ein Thema für den Trainerposten. Wen hätten Sie geholt und warum?
Das ist schwer zu sagen. Aber am Ende spielt es auch keine große Rolle. Denn egal, wer bisher auf der Trainerbank gesessen hat, es lief einfach nicht. Keiner der Trainerwechsel hat in dieser Saison etwas bewirkt. Es gab nie einen Schub nach einer solchen Maßnahme.
Woran liegt das?
Das liegt am Charakter der Mannschaft! Wenn ich nach jüngsten Niederlage in Bremen schon höre, dass man damit zufrieden ist, dass die Mannschaft gekämpft hat, könnte ich aus der Haut fahren. Dass eine Mannschaft kämpft, ist das absolut Minimalste, was ich von einem Fußballprofi einfordern kann.
Das spricht für eine seit Jahren verfehlte Personalpolitik im Verein …
Ja, absolut. Man verlässt sich letzten Endes immer darauf, dass es irgendeinen Geldgeber gibt wie Klaus-Michael Kühne, der dem Verein mit Millionensummen unter die Arme greift. Stattdessen sollte der Klub versuchen, selbst zu wirtschaften und sich so auf gesunde Füße zu stellen .Statt dauernd zuzukaufen, sollte man auch mal auf die Eigengewächse setzen und versuchen, um sie herum eine richtige Mannschaft aufzubauen.
Überhaupt, die "Mannschaft". Jüngst gab es eine Prügelei in der Kabine, fast in jedem Spiel fliegt ein Akteur vom Platz. Ist der HSV noch ein Team?
Nein. Es stimmt einfach nicht in der Mannschaft. Wenn man schon zufrieden ist, wenn die Mannschaft in einem Spiel Geschlossenheit zeigt, ist das ein Zeichen absoluter Hilflosigkeit. Auch die individuellen Aussetzer in jedem Spiel machen das deutlich. Die Nerven liegen blank - selbst bei gestandenen Leuten wie Rafael van der Vaart. Das brutale Foul im Spiel in Bremen ist der Beweis. Da hätte er glatt Rot kriegen müssen. Auch das absolut dumme Foul von Behrami im Strafraum, das zum Elfmeter und zur Niederlage geführt hat, zeigt das überdeutlich.
Sie waren einer der besten Torhüter Ihrer Generation. Nicht wenige sagen, mit Ihnen im Tor wäre Deutschland schon 1986 Weltmeister geworden. Beim HSV steht einmal Jaroslaw Drobny, dann wieder Rene Adler im Tor. Was halten Sie von den beiden?
An Adler und Drobny liegt es nicht, dass der HSV Tabellenletzter ist! Im Gegenteil. Als Adler seine kleine Formschwäche hatte, hat ihn Drobny hervorragend ersetzt.
Na, immerhin ein Hoffnungsschimmer für den HSV. Sehen Sie noch weitere?
Na, dass alle Mannschaften, die unten im Tabellenkeller stehen, verloren haben, kann man positiv bewerten. Und dass der HSV noch gegen zwei direkte Konkurrenten, den VfB Stuttgart und den SC Freiburg, spielt, gibt ebenfalls Anlass zur Hoffnung. Im Endeffekt hat der HSV es deshalb noch selbst in der Hand, den Abstieg zu verhindern. Aber, das muss ich ganz klar noch dazusagen: Das Auftreten der Mannschaft und der handelnden Personen gibt wenig Anlass dafür, dass der HSV den Bundesligaverbleib doch noch schafft. Ich habe keine große Hoffnung mehr.
Mit Uli Stein sprach Thomas Badtke
Quelle: ntv.de