
Unter Hrubesch steigt der Spaß im Team wieder an. (Archivbild)
(Foto: picture alliance/dpa/Kessler-Sportfotografie)
Bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Australien läuft es nicht nur auf dem Platz verkehrt, auch innerhalb des DFB-Teams passt es nicht. Doch schon müssen die Spielerinnen den Fokus auf das nächste Karriere-Highlight lenken. Interimstrainer Horst Hrubesch beweist offenbar auch Qualitäten als Therapeut
Viel Lachen, eine Schneeballschlacht und eine Laura Freigang, die von der jubelnden Lina Magull auf den kalten, nassen, weißen Untergrund gezwungen wurde. Die Spielerinnen des DFB-Teams haben Spaß. Statt perfektem Rasen gab es für das Team von Interimsbundestrainer Horst Hrubesch plötzlich eine dichte Schneedecke auf dem Gelände des SV Wittenbeck. Nicht ideal fürs Training, aber es wollte sich niemand beirren lassen. Zwei Tage vor dem so wichtigen Spiel hat Zweitligist Hansa Rostock nun sein Trainingsgelände bereitgestellt.
Denn die Zeit drängt, das haben alle im Hinterkopf. Am Freitag (20.30 Uhr/ZDF und im ntv.de-Liveticker) steht die Vorentscheidung an, ob die DFB-Frauen weiter von der Teilnahme an den Olympischen Spielen 2024 in Paris träumen können. Gegen Dänemark muss das Team in Rostock mit zwei Toren Unterschied gewinnen, um die Chance zu wahren. Am Dienstag (19.30 Uhr/sportschau.de und im ntv.de-Liveticker) folgt das letzte Gruppenspiel beim punktlosen Schlusslicht Wales. Nur die Gruppensieger dürfen im Februar beim Finalturnier um die letzten beiden Europa-Tickets für Paris kämpfen - bislang hat Dänemark dank des 2:0-Sieges im Hinspiel die Nase vorn.
Doch den Druck lächeln die Spielerinnen weg. "Wir wissen, dass wir in der Lage sind, Dänemark zu schlagen", sagt etwa die nach einer Gehirnerschütterung ins Team zurückgekehrte Torhüterin Merle Frohms. Es brauche dafür keine "Wunderdinge". Sie habe ein "hundertprozentiges Vertrauen in das Team". Mittelfeld-Ass Sara Däbritz verwies darauf, dass die DFB-Frauen schon einmal in solch einer "Drucksituation" waren: im September 2018 - mit demselben Trainerteam, Horst Hrubesch und Thomas Nörenberg. Damals musste das Team gegen Island gewinnen, um das WM-Ticket zu lösen. Die Mission gelang.
Zurück zur Lockerheit im DFB-Team
Auch diesmal sind die Spielerinnen von ihrem Können überzeugt. "Das Trainerteam lebt die Überzeugung vor, ich spüre den Glauben im ganzen Team", sagt Däbritz. Um die Trainer-Fragen kommt niemand innerhalb des DFB herum. Hrubesch war nur als Zwischenlösung eingesprungen, nachdem sich die damalige Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg, deren Vertrag inzwischen aufgelöst wurde, nach dem WM-Debakel hatte krankschreiben lassen.
Der 72-Jährige soll wie vor fünf Jahren als Retter das Team zum Turnier bringen. Ob er selbst mit dabei sein wird, ist offen. Geplant ist es nicht - aber auch nicht ausgeschlossen. "Mit seiner Persönlichkeit und seiner sachlichen Art hat er dem deutschen Team viel Reputation gebracht", sagte die ehemalige Nationaltorhüterin Almuth Schult, die nach der Geburt ihres dritten Kindes derzeit vereinslos ist, der Deutschen Presse-Agentur über Hrubesch. "Die Spielerinnen schätzen so etwas sehr, nachdem es in den vergangenen Monaten etwas drunter und drüber ging."
Nach und nach kommt heraus, wie gravierend die Spannungen teamintern vor und während der Weltmeisterschaft in Australien offenbar waren. Von der späten Kadernominierung erst am Ende der Trainingslager und der damit verbundenen langen Ungewissheit, über lächerliche Schilder wie "Stay Hydrated" ("Trinke über den ganzen Tag und kontrolliere deinen Urin"), "Die richtige Schlafkleidung" und "Dein Bett hat eine Funktion: Schlaf!" in den Appartements, bis hin zum Ärger darüber, dass das vom DFB ausgewählte Teamquartier in Wyong etwa 100 Kilometer nördlich von Sydney und damit in der "Einöde" lag, wie Lena Lattwein es genannt hatte. "Erstmals waren wir extrem weit weg vom Schuss, was ich nicht als optimal angesehen habe", sagte Kapitänin Popp im aktuellen Teil der Dokumentation "Born for this", die parallel zum Länderspiel am Freitag in der ZDF-Mediathek anläuft, womit sich der Sender eine eigene Konkurrenz geschaffen hat.
Däbritz, Popp und Huth bereits Olympiasiegerinnen
Der scharfe Cut von Voss-Tecklenburg hin zu Hrubesch, der seit 2018 mit vielen Spielerinnen noch in Kontakt stand und beliebt ist im Team, ist offenbar Balsam auf die geschundenen Seelen. Die beiden Spiele - ein souveränes 5:1 gegen Wales sowie ein maues 2:0 gegen Island - unter seiner Leitung haben, so sagt es Däbritz, Spielfreude sowie verloren gegangenes Vertrauen in die eigene Qualität zurückgebracht. Das Spiel gegen Dänemark jetzt verschiebt auch den Fokus. Svenja Huth und Sjoeke Nüsken wollen sich mit der Vergangenheit und all diesen unglücklichen Details gerade nicht beschäftigen, haben die beiden neuen Doku-Folgen bislang nicht angeschaut. Die Wunden sollen nicht erneut aufreißen.
Wichtig ist der Traum von Olympia. Bei der Teilnahme im Jahr 2016 waren Kapitänin Popp und Huth bereits dabei, genau wie Däbritz. Es sei "unvergesslich" und "unbeschreiblich" in Rio gewesen - wohl auch, weil die DFB-Frauen mit der Goldmedaille um den Hals zurückkehrten. Es sei "etwas Besonderes, weil du dein Land vertrittst, mit anderen Sportarten da bist", so die 28-Jährige von Olympique Lyon. "Es lohnt sich, dafür zu kämpfen, dafür alles zu geben, und ich wünsche mir, dass wir das als Team erleben können."
Erfüllt sich dieser Traum, bleibt immer noch offen, wer an der Seitenlinie stehen wird. Die Frage, ob Hrubesch bleibt, können und wollen die Spielerinnen aber nicht beantworten. "Das ist sicherlich eine Frage, die für die Verantwortlichen gerade aktuell ist und um die sie sich ausreichend Gedanken machen", sagt Frohms, die Hrubesch und Nörenberg aber auch als "super Typen" bezeichnet.
Ihre frühere Torhüterkollegin Schult hat auch die Frage nach Mann oder Frau aufgemacht: "Grundsätzlich sehe ich keine Schwierigkeiten, wenn ein Trainer geholt wird, der nicht aus dem Frauenbereich kommt. Man kann sich einarbeiten. Das wäre beispielsweise bei jemandem aus dem Ausland nicht anders." Dem kann die Wolfsburg-Torhüterin nur zustimmen: "Wichtig ist, dass es passt. Wie alt, welches Geschlecht - völlig egal." Däbritz stimmt zu: "Wurscht." Jetzt passt es. Und so wie es jetzt ist, soll die Olympia-Qualifikation her. Schnee zählt nicht als Ausrede.
Quelle: ntv.de