Fußball

Vom Heilsbringer zum Lästerobjekt Klopp macht Anfield Angst

Der Januar ist ein Monat zum Vergessen für Jürgen Klopp und seinen FC Liverpool. Wettbewerbsübergreifend gab's nur einen Sieg.

Der Januar ist ein Monat zum Vergessen für Jürgen Klopp und seinen FC Liverpool. Wettbewerbsübergreifend gab's nur einen Sieg.

(Foto: picture alliance / Dave Thompson)

Der Januar wird für Liverpool zum Horror. In der Meisterschaft sieglos, im Pokal zweimal rausgeflogen, dazu umstrittene Aufstellungen von Jürgen Klopp: An der Anfield Road wird's ungemütlich - weil der Coach sich treu bleibt.

Jürgen Klopp hatte sich geirrt. Nun, so etwas passiert. Gerade Typen wie Klopp. Berauscht von der eigenen Emotion definiert er sich die Realität da gerne mal zur "Wahrheit in schön". Und so schimpfte, fluchte oder euphorisierte - je nach Interpretation von Sender und Empfänger - sich der Trainer des FC Liverpool am späten Dienstagabend im Topspiel der Premier League gegen den FC Chelsea in der 76. Minute zu folgender, gewohnt mimikintensiv herausgebrüllter Einschätzung: "Niemand kann uns bezwingen." Adressiert war diese - später revidierte weil offensichtliche - (Fehl)-Einschätzung an den vierten Offiziellen Neil Swarbrick, wobei dessen Name gar keine Rolle spielt.

Klopp war im Moment der Eskalation einfach nur sehr erleichtert. Erleichtert, dass sein Keeper Simon Mignolet in dieser 76. Minute einen Elfmeter von Diego Costa pariert, damit das 1:1 gerettet und die schlimmste Heimpleitenserie seit 94 Jahren abgewendet hatte. Nachdem Liverpool unter Klopp zuvor fast ein Jahr ohne Niederlage an der Anfield Road geblieben war, hatte gegen Chelsea die vierte Heimpleite in Serie gedroht. Doch Mignolet hielt und Klopp tobte.

"Ich bin so stolz auf die Jungs, die gegen dieses Top-Team so hervorragend gespielt haben", sagte der Coach später. Er sagte auch, dass er sich beim vierten Schiedsrichter entschuldigt habe. Er sagte das so, als wäre an der Anfield Road derzeit alles ganz prima. Aber das ist freilich nicht ganz richtig. Denn der Monat Januar findet zwar mit dem Teilerfolg gegen den Tabellenführer ein halbwegs versöhnliches Ende. Aber die ersten 31 Tage des Jahres bleiben die unangenehmsten, die der deutsche Coach in Liverpool bisher erlebt hat. Nicht nur die vergeigten Auftritte mit umstrittenen Personalentscheidungen in Ligapokal und FA-Cup haben den Druck auf den ehemaligen Heilsbringer aus Deutschland erhöht. Auch die Situation in der Premier League - sieglos in 2017 und mittlerweile zehn Punkte Rückstand auf den FC Chelsea - ängstigen Fans, Medien und Experten. Sie sorgen für Zweifel, ob Klopp wirklich Großes entstehen lassen kann.

Mit diesem Anspruch jedenfalls ist er im Sommer 2015 in Liverpool angetreten. Und mit reichlich Vertrauen in seine Arbeit. Als Beweis dafür hat sich der Klub bereits nach einjähriger Zusammenarbeit in "eine lange Abhängigkeit" von seinem deutschen Trainer begeben, wie es der ehemalige "Reds"-Liebling Dietmar Hamann im "kicker" formulierte. Und zumindest innerhalb der Mannschaft gibt es offenbar keinen Zweifel daran, dass das eine verdammt gute Idee ist. "Wir glauben, dass wir mit diesem Trainer Titel gewinnen können - und wir sind zuversichtlich, dass das passiert. Unser Manager ist ein Siegertyp", sagt beispielsweise Offensivstar Philippe Coutinho, der allerdings auch einer der Lieblingsspieler des 49-Jährigen ist.

Lineker und Shearer schießen gegen Klopp

Three-Lions-Legende Alan Shearer mag den Klopp'schen Rotationswahn nicht.

Three-Lions-Legende Alan Shearer mag den Klopp'schen Rotationswahn nicht.

(Foto: imago sportfotodienst)

In der Öffentlichkeit mehren sich dagegen Meinungen, die Coutinhos Einschätzung eine gewisse Exklusivität zuschreiben. Vor allem mit dem wiederholten Einsatz von Spielern aus der zweiten oder gar dritten Reihe bei den Pokalpleiten gegen den kriselnden Zweitligisten Wolverhampton Wanderers (FA-Cup) und gegen den FC Southampton (Ligapokal) bringt Klopp ehemalige englische Fußballer gegen sich auf. "Ich verstehe nicht, dass er ohne Europapokal-Belastung die Ersatzspieler auflaufen lässt. Das zeugt von mangelndem Wissen über die Leistungsdichte im englischen Fußball und fehlendem Respekt", schimpfte der ehemalige Nationalspieler und nun als TV-Experte tätige Gary Lineker via Twitter. Und auch Sturmlegende Alan Shearer fehlt das Verständnis für die Klopp'schen Wechselspiele: "Liverpool spielt nicht einmal in Europa. Es ist irre, ich verstehe das nicht."

Drei Titel hätte es in dieser Saison für die "Reds" zu gewinnen gegeben - kein einziger wird es werden. Zwei sind der Pokal-Rotation und kläglicher Effizienz beim Abschluss zum Opfer gefallen, einer der starken Konkurrenz in der Premier League. Doch von einem gefühlten "Herschenken" der Titel will der Coach nichts hören, er verteidigt sich: "Wir dürfen es nicht größer machen als es ist und ich fange auch nicht an, an Entscheidungen zu zweifeln. Das bringt nichts." Denn der Gedanke hinter seinem munteren Durchwechseln ist so simpel wie logisch. Wie schon zu Dortmunder Zeiten verlangt Klopp von seiner Mannschaft ein physisch anspruchsvolles Spiel. Das aggressive und bedingungslose Gegenpressing fordert eine irrwitzige Laufintensität - in der von der Physis lebenden Premier League noch viel mehr als in der Bundesliga.

Was in guten Phasen auf dem Rasen beeindruckend schön anzusehen und kaum zu bespielen oder gar zu verteidigen ist, verkommt in Phasen der hohen Belastung zu einem anfälligen Konstrukt. Klopp versucht dem permanent drohenden Systemausfall mit Rotation zu begegnen, der Kader lässt das indes kaum zu. Gerade einmal 15 Feldspieler teilen sich das Gros der Einsatzzeit in der Liga, neun von ihnen haben dabei fast alle Spiele absolviert (siehe Grafik unten). Zusätzlich mussten die "Reds" mit Torjäger Sadio Mané einen der wichtigsten Spieler zum Africa-Cup reisen lassen und auf Joel Matip wegen unklarer Spielberechtigung vorübergehend verzichten. Dem begeistert gefeierten 1:0 gegen Manchester City am Silvesterabend folgten neun Spiele im Januar mit einer erschütternden Bilanz: Ein Sieg gegen den Viertligisten Plymouth Argyle im Nachsitzen in der dritten Runde des FA-Cups stehen vier Niederlagen und vier Pleiten gegenüber - inklusive der beiden Pokal-K. o.

Bitte wieder mehr Heavy Metal

Nun kann man Klopp für seine alternativlose, hochintensive Spielweise kritisieren. Oder für seine Engstirnigkeit. Oder für seine mangelnde Bereitschaft, sein System dem Kader und dem bekanntermaßen übervollen Kalender im englischen Fußball anzupassen. Fair wäre das sicher nicht - und eigentlich will in Liverpool wohl niemand ernstlich eine Abkehr vom Heavy-Metal-Fußball. Denn dafür lieben sie ihren deutschen Coach und zu süß schmecken noch immer die Erinnerungen an legendäre "Jurgen"-Momente. Wie jene im vergangenen April, als Borussia Dortmund bei den entfesselten "Reds" spektakulär kollabierte. Oder im November, als die Klopp-Elf nach einem herausragenden 6:1 gegen den FC Watford plötzlich Tabellenführer war.

Von allen nationalen und internationalen Zusatzlasten ist der FC Liverpool nun befreit. Jetzt zählt nur noch die Liga. Und die Meisterschaft hat Klopp noch längst nicht abgehakt: "Bis jetzt ist nichts entschieden. Es gibt für uns viel zu holen und wir werden sehen, wo das endet." Mit Vollgas und ohne Rotation: "Lasst uns cool bleiben. Ich bin froh, dass wir ein kleines Signal senden konnten, dass wir noch Teil der Liga sind und Fußball spielen können - manchmal sogar richtig gut." Und in einem Punkt hat Klopp ja auch nach dem Chelsea-Spiel Recht: Liverpool ist tatsächlich unbezwingbar - gegen die Topteams der Premier League gab es in dieser Saison noch keine Pleite. Trotzdem: Gut, dass dieser Horror-Januar vorbei ist.

Quelle: ntv.de

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