Kernkompetenz Champions League Klopps Liverpool ist bereit fürs letzte Drama
26.05.2018, 08:01 Uhr
Jürgen Klopp will mit Liverpools Leidenschaft die erfahrenen Madrilenen schlagen.
(Foto: imago/Pro Shots)
Jürgen Klopp führt seinen FC Liverpool überraschend ins Finale der Champions League - mit einer besonders spektakulären Idee des Fußballs. Die ist zwar sehr anfällig, taugt aber ganz besonders für den Modus Königsklasse.
Es wäre übertrieben, von einem Fluch zu sprechen. Verflucht ist Jürgen Klopp nach aktuellem Stand nicht. Aber so richtig viel Glück hat er eben auch nicht, wenn er mit seinen Mannschaften im Finale irgendeines Wettbewerbs steht. Von insgesamt sechs Endspielen in seiner Karriere als Profi-Trainer gewann er nur eines, nämlich das erste. 2012 besiegten Klopps wilde Dortmunder im Finale des DFB-Pokals den FC Bayern 5:2. Die Pokal-Endspiele 2014 und 2015 und das Finale der Champions League 2013 gingen mit dem BVB verloren. Mit dem FC Liverpool, für den er seit Oktober 2015 arbeitet, unterlag er in seiner ersten Saison in den entscheidenden Duellen im Ligapokal und in der Europa League. Im Olympiastadion von Kiew geht es für den 50 Jahre alten Fußball-Lehrer an diesem Samstag beim abschließenden Höhepunkt der Champions League also auch darum, seine persönliche Endspiel-Bilanz aufzubessern.
Gegen den doppelten Titelverteidiger Real Madrid - das Team aus Spanien gewann die silberne Henkel-Trophäe zuletzt zweimal nacheinander - peilt der FC Liverpool den sechsten Sieg im wichtigsten kontinentalen Wettbewerb an. Sollte es mit dem Titel klappen, würde Klopp in die Riege der großen Trainer des einstigen englischen Rekordmeisters aufsteigen und auch in den elitären Kreis der Koryphäen des internationalen Betriebs vordringen. In der Kreis der Guardiolas, Mourinhos und Ancelottis.
"Mit Leidenschaft und harter Arbeit"
Klopp weiß, dass seine Mannschaft der Überraschungsgast im Endspiel von Kiew ist. Er weiß, dass Real Madrid auf dem Papier besser besetzt ist und so viel Erfahrung mit derartigen Großveranstaltungen hat wie kein anderes Team in Europa. Doch er hat sieht keinen Anlass, sich und seinen Klub klein zu reden. Seiner Meinung nach reicht Erfahrung alleine nicht aus. "Es ist ein Vorteil, erfahrener zu sein. Aber man kann das ausgleichen - mit Leidenschaft, Bereitschaft und harter Arbeit", sagt er. Das wird der Plan seines Teams im Finale sein.
Der Marsch ins Endspiel ist Klopps größter Erfolg in Liverpool. Und er ist das Ergebnis einer konsequent durchgezogenen Idee. Der Idee nämlich, dass Fußball nicht in erster Linie Strategie oder Taktik sein soll, sondern Unterhaltung. Liverpools Spiele auf internationalem Terrain sind immer große Dramen. Die Mannschaft hat auf dem Weg ins Finale 46 Tore geschossen, das ist Rekord in der Geschichte des Wettbewerbs. Sie hat Gegner wie Manchester City im Viertelfinale und den AS Rom im Halbfinale phasenweise an die Wand gespielt. Doch sie hat auch eine gewisse Anfälligkeit in der Defensive nie beseitigen können.
Für Klopp gehören beide Komponenten zusammen. "All inclusive fooball" nennt er das Spiel seines Teams neuerdings, also: Fußball mit allem, was dazu gehört. "Wenn wir versucht hätten, wie Juventus, Bayern, Barcelona oder Real Madrid zu spielen, wären wir in der Gruppenphase ausgeschieden. Wenn man mehr macht, kann das zu mehr Fehlern führen. Aber im Moment gibt es für uns keine Alternative dazu", sagt er. Wer mutig spielt und viel riskiert, ist eben auch anfällig, das meint er.
Klopp und Liverpool - das passt
Die Herangehensweise passt zu Klopp und zum FC Liverpool. Beide - der Trainer und der Verein - leben von Leidenschaft und von Emotionen. Es scheint gerade zusammen zu wachsen, was ohnehin zusammen gehört. Das merkt man, wenn Klopp darüber spricht, wie Mannschaft und Fans den Weg ins Endspiel gemeinsam gegangen sind. Die erste Halbzeit im Hinspiel gegen Manchester City und die ersten 50, 60 Minuten im Hinspiel gegen Rom, beides in flirrender Atmosphäre an der Anfield Road, lassen Klopp in der Rückschau zu Superlativen greifen. "Das war der kraftvollste Fußball, den ich je gesehen habe. Es war unglaublich", sagt er. Der Trainer bedient mit seiner Spielweise und seiner Art das Verlangen des Publikums in Liverpool nach Spektakel und großen Gefühlen. Und das Publikum zahlt mit der gleichen Währung zurück.
Für Klopp soll der Einzug ins Endspiel der Champions League - und ein möglicher Triumph - erst der Anfang sein. "Ich glaube nicht, dass das unser letztes Finale ist. Ich glaube, dass wir eine gute Zukunft vor uns haben", sagt er. In der Tat befindet sich sein Team noch im Aufbau. Es ist durchsetzt von Spielern, die gerade ihre erste Saison in Liverpool (oder überhaupt in der Premier League) beenden. Beispiele sind die Außenverteidiger Andrew Robertson und Trent Alexander-Arnold, Abwehrchef Virgil Van Dijk und natürlich Angreifer Mohamed Salah. Er ist in seiner Premieren-Spielzeit an der Anfield Road direkt Torschützenkönig und Fußballer des Jahres in England geworden. Zur neuen Saison verstärkt sich der Klub mit Naby Keita aus Leipzig. Weitere Zugänge sind geplant.
Ob das reichen wird, um in der Liga mit dem überragenden Manchester City um die Meisterschaft zu konkurrieren, ist fraglich. Klopps All-inclusive-Fußball ist ideal für die K.O.-Spiele der Champions League, wenn es um alles oder nichts geht, gegen offensivstarke Gegner. Im Alltag über 38 Spieltage würde sich die Herangehensweise vermutlich abnutzen. Weshalb Liverpool auch in der kommenden Saison voraussichtlich wieder mit Manchester United, Tottenham und Chelsea um die Plätze hinter Manchester City spielen wird.
Aber das möglicherweise als amtierender Champions-League-Sieger.
Quelle: ntv.de