So läuft der WM-Streichtest Löw tüftelt und rotiert vor der Kanzler-Visite
02.06.2018, 14:39 Uhr
Fußball-Kanzlerin Angela Merkel schaut am Sonntag im DFB-Trainingslager in Eppan vorbei.
(Foto: imago/Moritz Müller)
Im vorletzten WM-Test trifft die DFB-Elf auf Österreich. Bundestrainer Löw will nochmal tüfteln und testen, allen voran die Turniertauglichkeit von DFB-Kapitän Neuer und Pechvogel Reus. Denn zwei Tage später muss der Kader stehen.
Worum geht's?
Letzter Test vor der finalen WM-Kadernominierung. In Österreich. Gegen Österreich. Comeback von DFB-Kapitän Manuel Neuer nach 599 Tagen. Comeback des DFB-Dauerpechvogels Marco Reus nach 795 Tagen. Und am Sonntag kommt Angela Merkel zum traditionellen Trainingslagerbesuch. Noch Fragen? Gut. Bundestrainer Joachim Löw ließ vor dem Anpfiff in Klagenfurt um 18 Uhr (im n-tv.de Liveticker) zwar aus seinem WM-Tunnel heraus wissen, dass das "Ergebnis völlig nebenan gestellt und nicht das Wichtigste" sei. Aber der Fußball-Kanzlerin will man beim "netten Beisammensein" (DFB-Teammanager Oliver Bierhoff) wohl trotzdem nicht als erste gesamtdeutsche Nationalmannschaft gegenübertreten, die gegen Österreich verloren hat. Oder als erste DFB-Elf seit 1992, die nicht gegen Österreich gewonnen hat.
Deshalb ließ Löw wissen: "Österreich ist natürlich schon für uns ein wichtiges Testspiel." Schon deshalb, weil es der letzte echte Test ist vor dem WM-Auftakt am 17. Juni gegen Mexiko. Am 8. Juni wartet in Leverkusen zwar noch WM-Teilnehmer Saudi-Arabien. Aber der ist ja angeblich nur deshalb bei der WM dabei, damit er Russland als angenehmstmöglicher Auftaktgegner zugelost werden konnte.
Wie ist die Ausgangslage?
Höchst entspannt. Das liegt an der ungewohnten Verletzungsfreiheit im DFB-Trainingslager, auch wenn Löw über BVB-Star Marco Reus sprach, als würde der auf der Intensivstation liegen. Das liegt aber auch an der formidablen Statistik gegen Österreich. Neun DFB-Siege in Folge sind es inzwischen, verteilt über zweieinhalb Jahrzehnte. Bei der letzten deutschen Pleite gegen Österreich am 29. Oktober 1986, der übrigens einzigen nach der berühmten "Schmach von Cordoba", waren 25 von 27 Spieler im vorläufigen WM-Kader des DFB noch gar nicht geboren und Löw erst seit ein paar Monaten volljährig. Vielleicht hatte sich Löw deshalb bis Freitagmittag nach eigener Aussage noch nullkommanull Gedanken über die deutsche Aufstellung gegen Österreich gemacht. Turniervorbereitung, das ist für Löw ja Tüftel- und Experimentierphase, um Abläufe und Matchplanvarianten einzustudieren, Spielern Rhythmus und Turnierhärte zu verschaffen oder sie zu schonen.
Voraussichtliche Aufstellungen
Österreich: Lindner - Bauer, Prödl, Dragovic, Hinteregger - Baumgartlinger, Grillitsch - Schöpf, Alaba - G. Burgstaller, Arnautovic
Deutschland: Neuer - Kimmich, Rüdiger, Süle, J. Hector - Khedira, Gündogan - Brandt, Özil, Reus - Werner
Deshalb dürfen die Weltmeister Mats Hummels, Thomas Müller und Jérôme Boateng in Eppan entspannen bzw. an ihrer Matchfitness arbeiten. Deshalb sollen neben Neuer auch die zu Saisonende verletzten WM-Startelfaspiraten Sami Khedira und Mesut Özil spielen und "in Rhythmus kommen" und WM-Debütanten wie Reus und Ilkay Gündogan ins Team finden. Deshalb kündigte Löw an, in Klagenfurt munter wechseln zu wollen, womöglich schon zwei, drei Mal in der Halbzeitpause. Kurzum: Wie schon beim letzten DFB-Test gegen Rekord-Weltmeister Brasilien werden Freunde der Fußball-Großrochaden voll auf ihre Kosten kommen. Erkenntnisse sind in Klagenfurt wichtiger als Ergebnisse.
Wie ist die DFB-Elf drauf?
Mit 50 prozentiger Wahrscheinlichkeit weltmeisterlich. Sagt nicht Weltmeister-Trainer Joachim Löw, sondern Weltmeister-Trainer-Kenner Franco Foda von den Österreichern. Dem hat sein Verband vor der Sommerpause eine Art Methadon-Therapie verpasst, nach dem Motto: Wenn wir nicht zur WM kommen, kommt die WM halt zu uns. Nach WM-Gastgeber Russland am Mittwoch geht es nun gegen Weltmeister Deutschland und nächste Woche gegen Rekordchampion Brasilien. Also gegen die beiden Teams, von denen eines Weltmeister wird. Sagt Foda und widerspricht damit Lothar Matthäus.
Bevor es nach Russland geht, müssen aber noch vier Spieler aus dem DFB-Kader gestrichen werden. Der Österreich-Kick spielt laut Löw durchaus "in die Entscheidung mit rein, aber das Spiel alleine ist natürlich nicht der Maßstab aller Dinge". Ohnehin umweht die finale Nominierung dank Aktion Mensch ja der unschöne Verdacht, dass längst final nominiert wurde und sich das DFB-Trainerteam am Sonntag lediglich darüber die Köpfe heiß reden wird, wie dieser Verdacht bei exakt gleicher Streichliste noch irgendwie entkräftet werden könnte. Auf den als Streichkandidaten gehandelten Nils Petersen sang Löw am Freitag ein kleines Loblied. Der noch länderspiellose Stürmer vom SC Freiburg habe sich rasch eingefunden, sei "variabel, läuferisch gut, immer anspielbar und in der Defensive gut mitarbeitend". Kurzum: "Er weiß, was bei uns verlangt wird. Ich bin absolut zufrieden mit ihm." Weshalb Petersen gegen Österreich sein DFB-Debüt feiern soll. Selbstverständlich als Joker.
Was machen die Österreicher?
Wer Österreich kennt, muss sich wundern, wie gut die Stimmung rund um die Nationalmannschaft gerade ist - es hat ja seinen Grund, warum mit Sigmund Freud ein Österreicher als Erster wirklich verstanden hat, was Depressionen sind. Doch nach dem enttäuschenden Aus in der WM-Qualifikation verfielen Team und Fans nicht in Schwermut, stattdessen ging es im Herbst 2017 sofort in den Neuanfang – ausgerechnet unter einem Piefke: Franco Foda, nach fast 20 Jahren als Spieler und Trainer bei Sturm Graz mittlerweile ohnehin eingeösterreichert, löste Marcel Koller ab. Und wie: Vier Spiele, vier Siege, noch einer gegen Deutschland, und er hat den Trainer-Startrekord eingestellt. Insgesamt haben die Österreicher sechs Erfolge hintereinander eingefahren, mit dem siebten würden David Alaba und Co. zum legendären "Wunderteam" aus den 30ern aufschließen.
Zum Auftakt der österreichischen "Mini-WM" reichte gegen den erschreckend harmlosen Gastgeber Russland eine solide Leistung für einen 1:0-Heimsieg. "Das war ein wichtiger Sieg", sagte Foda danach, "das Team hat Vertrauen getankt". Von einem Sieg gegen den großen Nachbarn wollten aber weder Trainer noch Spieler öffentlich träumen, alles andere wäre ja auch ein Fall für Freud – siehe Statistik.
Was gibt's sonst noch?
Technik, die entgeistert - die fürchten viele Fans und Experten, wenn während der WM der Videobeweis als technisches Helferlein der Schiedsrichter zum Einsatz kommt. Zerstreuen lassen sich diese Bedenken angesichts der durchwachsenen Bundesliga-Debütsaison leider nicht. Manchen Fan tröstet aber vielleicht: Es soll auch Technik geben, die begeistert. Konkret: Headset, Tablet, Smartphone. Wofür? Für die Live-Fußball-Kommunikation 2.0 zwischen Trainern und Assistenten, die das Spiel beispielsweise von der Tribüne verfolgen. Von dort können sie ihre Erkenntnisse während der WM nun direkt an die Seitenlinie funken. Richtig euphorisch klang Löw zwar nicht, als er vorm Österreich-Testkick zum Technik-Debütkick befragt wurde. Er rang sich aber immerhin ein "Das ist für uns schon wichtig" ab. Im Stadion sei es ja "manchmal wahnsinnig schwer, Dinge im Spiel zu korrigieren", bislang blieb dafür nur die Halbzeitpause. Und weil das eben bis hierher so war, steht Löw ja seit Jahren im Verdacht, der vielleicht beste Matchplan-Trainer der Fußballwelt zu sein. Wer sich jetzt aber auf Headset-Jogi freut, der verkabelt durch die Coachingzone tigert und mit heiserer Stimme Taktikhinweise von der Tribüne in den Klagenfurter Abendhimmel brüllt, wird zumindest diesmal noch enttäuscht. Verkabelt werden erstmal nur die Assis. "Miro an Thomas, bitte kommen!"
Quelle: ntv.de