Fußball

Willenloses Debakel gegen FCB Manchester United verschläft die Nacht "um Leben und Tod"

Bruno Fernandes (l.) wird seine Körpersprache vorgeworfen. Harry Kane nimmt es interessiert zur Kenntnis.

Bruno Fernandes (l.) wird seine Körpersprache vorgeworfen. Harry Kane nimmt es interessiert zur Kenntnis.

(Foto: IMAGO/Sportsphoto)

Aus in der Champions League, und das als Gruppenletzter: Bei der Niederlage gegen den FC Bayern ergibt sich Manchester United in sein Schicksal. Trainer Erik ten Hag dürfte trotzdem erstmal sicher sein. Das hat einen erstaunlichen Grund.

In der goldenen Vergangenheit war die Nachspielzeit die Spezialität von Manchester United, kein Gegner musste das so leidvoll erfahren wie der FC Bayern. Das Champions-League-Finale 1999 gewann der Klub aus dem englischen Nordwesten gegen die Münchner durch zwei Tore nach Ablauf der regulären 90 Minuten. Der Titel bedeutete für United die Vollendung des Triples in jener Saison - es war der Höhepunkt der 26 Jahre dauernden Amtszeit von Über-Trainer Sir Alex Ferguson, in der der Verein zum englischen Rekordmeister aufstieg und auch sonst fast alle Pokale gewann, die es zu gewinnen gibt.

Ferguson ist immer noch präsent im Old Trafford, die Gegentribüne ist nach ihm benannt, Spruchbänder erinnern an sein Wirken, doch das Manchester United der Gegenwart hat nur noch wenige Gemeinsamkeiten mit dem von 1999. Als der vierte Offizielle bei der Partie gegen den FC Bayern am Dienstag die Nachspielzeit anzeigte, großzügige fünf Minuten, hatten viele Fans die Hoffnung schon aufgegeben - sie hatten das Stadion verlassen.

Ein paar der Zurückgebliebenen forderten United halbherzig zum Angriff auf ("Attack! Attack! Attack!"), doch die Botschaft kam nicht an. Die Mannschaft spielte in den fünf Zusatz-Minuten genauso teilnahmslos wie in 90 Minuten zuvor und fügte sich in ihr Schicksal: ein 0:1, das das Vorrunden-Aus in der Champions League bedeutete - als Gruppenletzter.

Scheitern ohne Gegenwehr

Das frühestmögliche Scheitern in der Königsklasse ist an sich schon peinlich für den englischen Rekordmeister, doch besonders verstörend war die Partie gegen den FC Bayern, weil United zu keinem Zeitpunkt den Willen erkennen ließ, die Partie um jeden Preis zu gewinnen. Das Stadionmagazin hatte die Veranstaltung zur "do-or-die night" erklärt, zu einer Nacht, in der es um Leben oder Tod ging, doch die United-Profis sind offenkundig keine Leser der hauseigenen Zeitschrift. Sie spielten, als wären sie schon für das Achtelfinale qualifiziert gewesen - wie der FC Bayern. Einen einzigen Torschuss fabrizierte United, es war ein Verlegenheitsakt von Linksverteidiger Luke Shaw aus der zweiten Reihe.

Die Spiele des englischen Rekordmeisters in der Champions League in dieser Saison waren chaotische Gemälde gewesen - 3:4 im Hinspiel in München, 2:3 und 3:3 gegen Galatasaray, 3:4 gegen den FC Kopenhagen. Ein Aus nach einer weiteren Schlacht gegen den FC Bayern, ein ehrenhaftes Scheitern nach heroischem Kampf, damit hätte sich die englische Öffentlichkeit möglicherweise arrangieren können.

Dass einer der größten Vereine der Welt sich allerdings ohne Gegenwehr seinem Verderben ausliefert, ist für die Presse unverzeihlich. Von einer "verzweifelt mittelmäßigen Vorstellung" schrieb die Daily Mail. Die Times klagte: "Wo United Leidenschaft brauchte, hatte es nur Passivität. Wo es Spieler brauchte, die ein Spiel ändern können, hatte United niemanden auf der Bank, mit dem Talent und dem Glauben, um es mit Bayern aufzunehmen."

Eine Mannschaft ohne Fundament

Die bisherige Saison - in der Premier League ist Manchester United mit bereits sieben Niederlagen Sechster - ist das Fanal einer über Jahre grotesk verfehlten Personalpolitik. Trotz horrender Ausgaben wirkt die Mannschaft weitgehend improvisiert und unausgereift. Ein paar Beispiele: Der zu dieser Saison von Champions-League-Finalist Inter Mailand gekommene Torwart André Onana trug mit mehreren Fehlern entscheidend zum Champions-League-Aus bei.

Verteidiger Harry Maguire sollte eigentlich schon abgeschoben werden, ist aber plötzlich wieder erste Wahl. Mittelfeldmann Scott McTominay ist ein seriöser Arbeiter, muss aber in dieser Saison als Hoffnungsträger für die Offensive herhalten. Kapitän Bruno Fernandes steht in der Kritik wegen seiner oft negativen Körpersprache, außerdem holte er sich beim 0:3 am Wochenende gegen den AFC Bournemouth seine fünfte Gelbe Karte ab und fehlt am Sonntag beim Spiel bei Erzfeind und Tabellenführer FC Liverpool. Es fällt schwer, in der ersten United-Elf auch nur die Fundamente einer Mannschaft zu erkennen, die in ferner Zukunft wieder um Titel mitspielen könnte.

Die Einwechselspieler illustrierten gegen den FC Bayern besonders die Misere des englischen Rekordmeisters. Als ein leidenschaftliches Aufbäumen gefordert war, konnte Trainer Erik ten Hag nur die unerfahrenen Hannibal, Facundo Pellistri und Kobbie Mainoo einwechseln. Bayern-Coach Thomas Tuchel wies nach dem Spiel kollegial auf Uniteds Verletzungspech hin, das ten Hag wenig Handlungsspielraum gelassen hätte. Doch es ist fraglich, ob im Moment abwesende Profis wie Casemiro, Marcus Rashford oder Anthony Martial dem Spiel eine Wendung hätten geben können. Und Jadon Sancho wurde bekanntlich aussortiert.

Wen die Fans für den Niedergang verantwortlich machen

Zehn Jahre nach dem Abschied von Trainer-Ikone Ferguson muss Manchester United wieder einmal feststellen, dass es den Anschluss an die Spitze verloren hat, in England und international. Zum dritten Mal schon in dieser Zeit ist der Verein in der Vorrunde der Champions League ausgeschieden. Erik ten Hag ist nach David Moyes, Louis van Gaal, José Mourinho und Ole Gunnar Solskjær schon der fünfte hauptamtliche Trainer, der am Ferguson-Erbe zu scheitern droht.

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Allerdings wäre sein Posten wohl selbst dann nicht akut in Gefahr, wenn auch die Partie am Sonntag in Liverpool mit einer Niederlage endet. Bei Manchester United steht der Einstieg des Chemikalien-Milliardärs Jim Ratcliffe bevor. Er soll künftig über die sportlichen Angelegenheiten bestimmen. Dass er als erste Amtshandlung den Trainer entlässt, gilt als unwahrscheinlich.

Beim Publikum im Old Trafford hat Ten Hag noch Kredit, auch wenn er sich keinen Gefallen getan haben dürfte mit der Einschätzung, dass sich Manchester United nach dem Champions-League-Aus immerhin voll auf die Premier League konzentrieren könne. Für die Zuschauer sind die Schuldigen am Niedergang des Vereins die Besitzer, die Glazer-Familie aus Florida. "We want Glazers out!", brüllten die United-Fans auch gegen den FC Bayern wieder. Der Wunsch wird so schnell nicht in Erfüllung gehen. Die Familie tritt nur 25 Prozent der Anteile an Jim Ratcliffe ab und behält die Mehrheit. Aber immerhin: für einen Moment war ein Hauch von Leidenschaft im Old Trafford zu spüren.

Quelle: ntv.de

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