"Dann geht's nicht nach vorne" Nagelsmann mahnt "Mut und Tempo" in der Politik an
18.09.2024, 06:33 Uhr
Wenige Stunden nach dem EM-Aus hält Julian Nagelsmann eine Ruckrede, in der er die Nation zum Zusammenhalt aufforderte. Nun erneuert der Bundestrainer seine Forderung - und mahnt.
Anfang Juli raffte sich Julian Nagelsmann in bitterster Stunde zu einer Ruckrede auf. Im EM-Quartier der deutschen Fußball-Nationalmannschaft musste der Bundestrainer eigentlich vor allem über das bittere Viertelfinalaus seines Teams gegen Spanien (1:2) sprechen, doch der angefasste Nagelsmann, dem auf dem Podium immer wieder die Tränen kommen, wollte eine größere Botschaft loswerden: "Ich habe es gestern schon gesagt, dass ich mir einfach wünsche für dieses Land, dass wir verstehen, dass gemeinsam immer besser geht", sagte er. "Ich glaube, wir können alle anpacken, dass es nicht so traurig ist, wie es gerade wirkt und nicht alles schwarzgemalt werden muss, wie es gerade schwarzgemalt wird. Man kann immer Probleme sehen - und wir haben Probleme im Land. Man kann aber auch immer von Lösungen sprechen."
Das Echo auf seine persönliche Regierungserklärung war groß, nun erneuert Nagelsmann seine Forderungen - und wird im Interview mit dem "Stern" und RTL konkreter. "Eines der Lieblingswörter der Deutschen ist 'Problem'. Wenn ich das 500 Mal am Tag sage, geht es tatsächlich nicht nach vorn", sagt der 37-Jährige. "Ich bin nicht der große Zampano, der der Gesellschaft erklären will, wie die Dinge zu laufen haben. Das steht mir nicht zu. Es sind nur meine Gedanken: Ich würde mir wünschen, dass Dinge schneller gehen. Dass wir einfach mal ausprobieren, ob etwas funktioniert." In der Politik fehle ihm "manchmal das Tempo und vor allem der Mut. Ich kann sagen, dass ich mich mit mutigen Entscheidungen immer wohlgefühlt habe."
"Was Deutschland stark gemacht hat, bricht weg"
Als Beispiel nannte Nagelsmann den Fachkräftemangel in der Gastronomie: "Es gibt viel zu wenig Personal, alle in der Branche stöhnen. Warum sagt man nicht: Wir machen eine 35-Stunden-Woche, die normal versteuert wird, und alle Stunden, die darüber hinausgehen, sind steuerfrei. Vergleichbare Anreize müsste man in anderen Branchen natürlich auch machen. Deshalb muss man was probieren, schnell, ohne das zuvor mit 8000 Leuten zu diskutieren. Und wenn es nicht funktioniert, muss man eben eine neue Entscheidung treffen." Die Gesellschaft fordert er auch in Zeiten der Vereinzelung zum Zusammenhalt auf: "Jeder hängt nur noch am Handy und postet Sachen. Jeder versucht, eine Marke zu werden, um daraus Kapital zu schlagen. Aber das, was Deutschland einmal stark gemacht hat, die Gemeinschaft, dieses Vereinsleben, bricht immer mehr weg."
Bei der EM hatte Nagelsmann ähnlich leidenschaftlich gemahnt: Die Gemeinsamkeit, gemeinsam Dinge zu bewegen, sei extrem wichtig. "Damit wir realisieren, in was für einem wunderschönen Land wir leben - landschaftlich, kulturell, aber auch welche Möglichkeiten haben, wenn wir zusammenhalten." Er habe noch nie einen Menschen getroffen, "der Dinge allein macht und automatisch Dinge schneller, besser, weiter macht, als mit irgendjemandem zusammen".
Nach seiner Rede im Juli habe er jede Menge Einladungen erhalten, auch von hochrangigen Politikern. Angenommen habe er davon keine. "Es wäre anmaßend von mir zu glauben, da mitreden zu können. Dazu kenne ich mich nicht gut genug aus, und es ist nicht meine Aufgabe."
Quelle: ntv.de, ter