Hasenhüttl verzockt sich RB Leipzig knabbert an seiner Minikrise
12.02.2017, 11:04 Uhr
Begeisterung sieht anders aus.
(Foto: dpa)
Noch immer thronen die Raseballsportler auf Platz zwei in der Fußball-Bundesliga. Doch die Niederlage gegen einen schlauen HSV gibt den Leipzigern zu denken. Trainer Ralph Hasenhüttl will den Finger in die Wunde legen.
Jedes Spiel hat ein Bild, das symbolisch für die Partie steht. Beim 0:3 (0:2) zwischen RB Leipzig und dem Hamburger SV lieferte Kyraikos Papadopoulos die prägnanteste Szene. Nach seinem Kopfballtreffer zum frühen 1:0 (18. Minute) baute sich der Grieche vor der Bank von RB Leipzig auf, wo er noch vor einigen Wochen selbst gesessen hatte, zog sein Trikot nach oben, um seinen rechten Oberarm freizulegen und zeigte auf den Muskelberg. Subtext: Wie konntet ihr nur einen so starken Mann abgeben? "Mir hat er gesagt, dass er zeigen wollte, dass er in Hamburg viel Krafttraining macht und bei uns mehr Bizeps gekriegt hat", erklärte Torhüter René Adler lächelnd.
Die Leipziger fanden die Szene wohl weniger witzig. Die Ersatzspieler machten abwiegelnde Gesten; Trainer Ralph Hasenhüttl wendete sich ab. Vielleicht ahnte er bereits, was seiner Mannschaft an diesem Nachmittag bevorstand. Denn davon, dass kurz darauf auch noch das 0:2 durch den brasilianischen Zugang Walace fiel - wieder nach einer Ecke von Nicolai Müller, wieder per Kopf (24.) - erholten sich die an diesem Nachmittag kraftlosen Leipzigern nicht mehr. Zu "sorglos, wie noch nie in dieser Saison", habe sein Team diese Standards zu verteidigen versucht, monierte Hasenhüttl.
Doch es gab noch drei weitere entscheidende Gründe, weshalb der HSV dem Tabellenzweiten RB Leipzig an diesem 20. Spieltag der Fußball-Bundesliga die erste Heimniederlage dieser Saison verpasste.
Erstens: Den genesenen Spielern Timo Werner, Marcel Sabitzer und Diego Demme sowie dem nach Rotsperre zurückgekehrten Emil Forsberg Frische, Rhythmus und Selbstverständnis. "Wir haben heute viel versucht, wenig ist geglückt, die Präzision hat in allen Belangen gefehlt", monierte der Trainer. "Am Engagement will ich nicht rütteln, aber das Werkzeug war heute das falsche." Zwar stießen die Hausherren bisweilen auch bis in den Sechzehn-Meterraum der Hamburger durch, doch die letzten oder meist schon vorletzten Bälle vor dem möglichen Torabschluss gerieten zu ungenau, weshalb die Leipziger in der zweiten Hälfte keine wirkliche Torchance hatten. Dass die komplette Offensive deutlich unter Niveau agierte, erklärte Sportdirektor Ralf Rangnick auch mit der Grippewelle, die das Team ebenso wie im Vorjahr erwischt hatte. Die betroffenen Spieler seien "nicht einmal bei 80 Prozent" gewesen. "Dann kriegen wir unser Spiel nicht durch, und dann kann so ein Spiel wie heute passieren."
"Dann war erstmal viel kaputt"
Zweitens: Hasenhüttl musste nach einer halben Stunde einsehen, dass er sich bei der Aufstellung verzockt hatte und nahm den mit 18 Jahren jüngsten Leipziger Dayot Upamecano früh vom Platz. Der Österreicher hatte sich dafür entschieden, den gelbgesperrten Marvin Compper nicht durch Stefan Ilsanker zu ersetzen, sondern den 12-Millionen-Euro-Mann, der erst im Januar aus Salzburg nach Leipzig gewechselt war. Da Hasenhüttl auch auf Ilsanker nicht verzichten wollte und seinen Landsmann im defensiven Mittelfeld brachte, hatte er Yussuf Poulsen zunächst auf die Bank gesetzt. Ein Fehler, den Hasenhüttl in der 31. Minute korrigierte. Poulsen hatte die beste Gelegenheit für die Leipziger, als er einen Schuss von der Strafraumkante an den Pfosten setzte (35.). Doch nach nicht einmal zehn Minuten musste der agile Stürmer das Spielfeld schon wieder verlassen. Bei einem unglücklichen Ausfallschritt hatte sich der Däne einen Muskelbündelriss im hinteren Oberschenkel zugezogen und wird RB in den kommenden sechs Wochen fehlen. "Seine Verletzung war das I-Tüpfelchen in der ersten Halbzeit, weil einfach nichts geklappt hat und wir noch einmal wechseln mussten. Dann war erstmal viel kaputt", ärgerte sich Hasenhüttl.
Drittens: HSV-Trainer Markus Gisdol hatte seinem Team genau das richtige Rezept verordnet, um in Leipzig zu bestehen. "Es ist uns heute gut gelungen, die extremen Stärken des Gegners nicht aufflackern zu lassen", sagte Gisdol zufrieden. "Wir wollten nicht in die Pressingfallen des Gegners tappen. Das hat die Mannschaft schnörkellos gemacht, und das war der Schlüssel zum Erfolg." Keeper René Adler, gebürtiger Leipziger, erklärte die HSV-Strategie so: "Der Trainer hat ganz klar gesagt: Wir können hier versuchen, schön zu spielen, dann werden wir höchstwahrscheinlich verlieren. Oder wir spielen einfach, rigoros, und dann haben wir auch die Chance zu gewinnen", sagte der Torhüter. Und: "Man weiß, dass man gar nicht erst in diese Pressingzonen von RB Leipzig hineinspielen, sondern rigoros in die Räume, die hinter der Abwehr entstehen." So kamen nicht die Leipziger, sondern immer wieder die Hamburger in Kontersituationen. Der eingewechselte Dennis Diekmeier hatte das 3:0 schon auf dem Fuß, doch sein Ball tropfte auf die Latte (87.). Der ebenso ins Spiel gekommene Aaront Hunt vollendete dann die letzte Umschaltbewegung des Spiels zum Endstand (90.+3).
"Jetzt nicht in Schönheit sterben"
Zwar hat der Aufsteiger aufgrund der Niederlagen der Verfolger noch immer ein schönes Polster auf Rang drei. Doch den RB-Verantwortlichen ist natürlich bewusst, dass das Team nach der vierten Niederlage in den vergangenen sieben Spielen - die zweite hintereinander - leicht in einen Abwärtstrend geraten kann. Für die aktuelle Verfasstheit der Roten Bullen existiert die Vokabel "Minikrise". Hasenhüttl analysierte: "Wir hatten das Gefühl, dass wir noch drei Stunden spielen können, und es fällt kein Tor für uns. Jetzt gilt es, wieder eine Schippe draufzulegen, wieder konsequenter und zielstrebiger zu werden." Und: "Es ist nicht damit getan, dass wir jetzt in Schönheit sterben, sondern wir müssen jetzt den Finger in die Wunde legen."
Sein Kollege Gisdol freute sich über eine "perfekte englische Woche" mit drei Siegen. Erstmals nach dem Saisonstart steht sein Team wieder auf einem Nicht-Abstiegsplatz, wirkt homogen, defensiv gefestigt und hat sich Selbstvertrauen erarbeitet. Die HSV-Spieler genossen den deutlichen Sieg sichtlich; Lewis Holtby, Adler & Co. plauderten in den Stadionkatakomben lange mit den Journalisten. Doch Gisdol bremste: "Wir dürfen den Sieg nicht überbewerten, wir sind nur ein paar Schritte gegangen." Doch in dieser Form dürfte der HSV nichts mehr mit dem Abstieg zu tun haben.
Übrigens: Gewinner waren an diesem Nachmittag auch die Leipziger Fans. Nach dem Randale-Abend von Dortmund demonstrierten die Anhänger von Rasenballsport mit über 100 im gesamten Stadion verteilten Plakaten gegen Gewalt im Fußball und eine friedliche Fankultur. "Fußball für alle statt menschenverachtender Krawalle" stand auf dem größten. Und: "Lieber Dosenbier statt Wertpapier." Oder: "Gewalt ist die Zuflucht der Unfähigen." Die 4300 mitgereisten Anhänger des HSV antworteten unsinnigerweise mit einer Pyrotechnik-Zündelei vor Anpfiff, was die Leipziger unter den 42.558 Zuschauern im ausverkauften Stadion mit Pfiffen quittierten.
Quelle: ntv.de