Fußball

Windige Vergabe der FIFA-WM 2034 Saudi-Arabien und Infantino übertölpeln schweigenden Fußball

Kronprinz bin Salman und FIFA-Präsident Infantino sind so frei.

Kronprinz bin Salman und FIFA-Präsident Infantino sind so frei.

(Foto: picture alliance / abaca)

Mit dem Ausbleiben einer Bewerbung Australiens sichert sich Saudi-Arabien die Fußball-WM 2034. Daran bestehen keine Zweifel mehr. Kritik kommt nur von erwartbarer Seite. Die Überrumplungstaktik geht auf. Jetzt benötigt es schon eine Revolution, doch wer soll sie anführen?

Immerhin auf den Fußball-Weltverband FIFA ist dieser Tage Verlass. Er macht weiter, was er will und wie er es will und legt dabei immer noch einen drauf. Auf die WM 2022 in Katar folgte Anfang des Monats die dubiose WM-Vergabe 2030, die unter dem Deckmantel einer Jubiläums-WM die Tür sperrangelweit für den WM-Gastgeber 2034 öffnete. Der wird, so es zu keiner Revolution im Weltverband kommen wird, Saudi-Arabien sein. Das steht seit diesem Dienstag fest. Mit Australien hat sich der letzte ernst zu nehmende Bewerber aus einem Rennen verabschiedet, das es nie gegeben hat. Den letzten Schritt muss der alleinige Bewerber für die WM 2034 nun im vierten Quartal 2024 gehen. Dann soll der FIFA-Kongress die Entscheidung abnicken. Das wird passieren. Kritik daran ist kaum zu erwarten.

Hellhörig war ohnehin niemand geworden. Nicht, als Saudi-Arabien sich schon vor der WM 2022 in Katar für eine mögliche Ausrichtung im Jahr 2030 in Stellung brachte, nicht, als FIFA-Präsident Gianni Infantino noch während des Katar-Turniers von einer nächsten Winter-WM sprach und nicht, als die Milliarden aus dem Königreich im Sommer 2023 die europäischen Ligen fluteten - im Gegenzug gab es Superstars als Werbebotschafter. Mit dem Königreich als Gastgeber der WM erreicht der Fußball eine neue Ebene der Skrupellosigkeit, die fast alle sprachlos macht.

Nicht aber Infantino, der setzt dem bizarren Schauspiel am Dienstagabend die Krone der Dreistigkeit auf. Wie ein Allmächtiger verkündet er die WM als perfekt. Der Schweizer listete die kommenden Austragungsorte auf und führte neben den schon offiziell bekannten Gastgebern USA, Kanada und Mexiko für 2026 sowie Spanien, Marokko, Argentinien, Paraguay und Uruguay für 2030 auch Saudi-Arabien für 2034 auf und bejubelte "drei Ausgaben, fünf Kontinente und zehn Länder", die in die Veranstaltung "der größten Show der Welt" involviert seien. Das mache Fußball wirklich global. Der Bewerbungsprozess sei, so schrieb Infantino weiter, im Konsens vom FIFA-Council angenommen worden.

Plan so perfid wie einfach

Der Plan, um das Ziel zu erreichen, war so perfid wie einfach. Anstelle der geplanten WM-Bewerbung für 2030 gemeinsam mit Ägypten und Griechenland, stellte sich das Königreich mit dem allmächtigen Kronprinzen Mohammed bin Salman hinten an. Es überließ die erste WM auf drei Kontinenten Südamerika (drei Spiele, je eins in Uruguay, Argentinien und Paraguay), Europa (Portugal und Spanien) und Afrika (Marokko). So war der Weg frei für 2034, für das sich nur Staaten aus den Verbänden Asiens und Ozeaniens bewerben konnten. Das tat niemand.

Weil Saudi-Arabien über die Jahre bereits zu viele einzelne Verbände hinter sich bringen konnte und zu diesem Zeitpunkt nach eigenen Angaben schon 100 Länder hinter sich weiß. Die Saudis waren in den vergangenen Monaten um die Welt gereist und hatten Grundsatzvereinbarungen mit etlichen Verbänden abgeschlossen, auch in Europa, wo sie sich mit Frankreich einigten. Es ging um eine sportliche Zusammenarbeit und natürlich um die Bewerbung der Saudis.

Dabei kann das Königreich eine beeindruckend negative Menschenrechtsbilanz vorweisen. Doch dazu eben auch einen noch größeren Geldspeicher und noch viel mehr Macht. Im Fußball- und Sport-Kontext hat sich Saudi-Arabien in den vergangenen Monaten und Jahren eine spektakuläre Vormachtstellung erarbeitet. Sie haben mit Newcastle United einen Verein in Europa übernommen, sie haben sich zahlreiche europäische Supercup-Finals ins Land geholt, sie sind Sponsoren von Vereinen, die in der Champions League spielen und sie haben etliche Sport-Arten gekapert. Golf, Boxen und auch die Formel 1 sind ohne Saudi-Arabien nicht mehr denkbar, der Tennis-Sport ist ebenfalls in ihrem Visier.

Deutschland schweigt still

Was in Europa "Sportswashing" genannt wird, ist viel mehr ein Griff nach der Macht im globalen Kontext und eine Absicherung gegen Unruhen in der eigenen Bevölkerung. Brot und Spiele sollen es für die Bewohner des Königreichs sein. Dort gibt es weder Meinungs- noch Versammlungsfreiheit und Regimekritiker müssen um ihr Leben fürchten. "Wenn Sportswashing mein Bruttoinlandsprodukt um ein Prozent erhöht, dann werde ich weiter Sportswashing betreiben", sagte Kronprinz bin Salman in einem seltenen Interview im September und nannte den Fußball Teil eines Diversifizierungsprogramms des Landes. Er sagte: "Wenn man eine Wirtschaft diversifizieren will, muss man in allen Sektoren arbeiten: Bergbau, Infrastruktur, Produktion, Transport, Logistik - all das." Ein Teil davon sei der Tourismus. "Und wenn man den Tourismus entwickeln will, ist ein Teil davon die Kultur, ein Teil davon ist der Sportsektor, denn man muss einen Kalender erstellen."

Diesem Kalender kann Saudi-Arabien nun einen neuen Termin hinzufügen. Der Fußball wurde überrumpelt, was sich auch am Schweigen in Deutschland zeigt. Dort waren die Kurven in den Stadien im Herbst 2022 maßgeblich an der Anti-WM-Stimmung im Vorfeld des Turniers in Katar beteiligt. Woche für Woche demonstrierten sie auf den Tribünen Verbrüderung gegen das größte Sport-Turnier der Welt. "Boycott Qatar" hieß es auf Banner in der Münchener Allianz Arena, im Dortmunder Westfalenstadion, aber auch im damals noch viertklassigen Sportpark Unterhaching oder auf der Bielefelder Alm. Die Fans trugen ihren Unmut direkt hinein in die Gesellschaft, die angefeuert von zahlreichen TV-Dokumentation ihre Schlüssel zog und tatsächlich in bislang nie dagewesener Form das Turnier ignorierte.

Die Spieler der Nationalmannschaft hingegen gaben sich hilflos, beklagten, dass es nun zu spät sei und haderten noch, wie in der beeindruckend desolaten Amazon-Dokumentation über ihr Scheitern zu sehen war, während des Turniers mit ihrem Schicksal. Die Verantwortung für die Austragung der WM in Katar übertrugen sie vorherigen Generationen, von denen nichts zu hören gewesen sei. Damit hatten sie recht. Doch sie machen es sich zu einfach: Die Generation 2034 wird einfach auf das Schweigen der Generation 2023 verweisen können.

Altbekanntes Narrativ der Machtlosigkeit

Das Narrativ der Machtlosigkeit ist ein altbekanntes. Auch der DFB um Präsidenten Bernd Neuendorf bediente es im Vorfeld der WM 2022. Neuendorf, mittlerweile im FIFA Council sitzend, stimmte Anfang Oktober dem Taschenspielertrick Gianni Infantinos zu und nickte die WM-Vergabe auf gleich drei Kontinente im Jahr 2030 ab. Womöglich auch, weil alles immer Politik ist und der DFB 2027 gemeinsam mit Belgien und den Niederlanden die WM der Frauen ausrichten will. Da machen sich Gegenstimmen nicht sonderlich gut. So schweigt Neuendorf und mit ihm der gesamte Profi-Zirkus in Deutschland.

"Die FIFA setzt ihren Zyklus der Zerstörung des größten Turniers der Welt fort. Es ist schrecklich für die Fans, missachtet die Umwelt und rollt einem Gastgeber für 2034 den Roten Teppich aus, der eine erschreckende Menschenrechtsbilanz aufweist", konstatierte Football Supporters Europe, das Netzwerk europäischer Fußballfans, Anfang Oktober. Während der Deutschland-Direktor von Human Rights Watch, Wenzel Michalski, eine WM in Saudi-Arabien als Betrug an all diejenigen ansieht, die der FIFA glauben würden, die sich gegebenen Menschenrechtsstandards auch zu verwirklichen.

Das dürfte nach den Erfahrungen der letzten Jahre ohnehin nicht viele sein. Kaum jemand glaubt der FIFA um ihren Präsidenten Infantino noch nur ein Wort, doch der Verband schert sich darum ohnehin nicht. Und der Rest? Es besteht wenig Hoffnung. "Saudi-Arabien ist einfach eine starke Bewerbung", sagte der CEO von Football Australia, James Johnson: "Sie haben eine Menge Ressourcen, nicht nur für die WM 2034. Sie haben als disruptive Kraft in den europäischen Fußball eingegriffen. Sie haben mit ihren Geldern den Markt gestört. Das ist ihre starke Positionierung. Der Fußball wird priorisiert. Damit kann man nur schwer konkurrieren."

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Es sind ernüchternde und realistische Worte im Angesicht des neuen Giganten auf der Bühne des Fußballs. Australien wird die Brotkrumen aufklauben und von der FIFA für den störungsfreien Verlauf des Bieterprozesses vielleicht mit der Klub-WM abgespeist werden. Auch das ist vorhersehbar. Wie alles bei der FIFA, die Geld über alles andere stellt und die den Fußball weiter missbrauchen und es als Weltrettung darstellen wird. "Wir müssen das Spiel schützen, sonst wird alles zerstört", sagte FIFA-Rebellin Lise Klaveness in diesem Sommer.

Der Aufforderung der Präsidentin des norwegischen Fußball-Verbandes kommt keiner nach. Das Spiel hat sich endgültig ausgeliefert, nur noch eine Revolution kann dies verhindern. Doch dafür gibt es keine Anführer. Die überrumpelte Masse schweigt und lässt sich abspeisen.

Quelle: ntv.de

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