Fußball

Der Bundesliga-Check: Dortmund Tuchel startet ohne Schonzeit

Fühlt sich augenscheinlich sehr wohl in seiner neuen Heimat: Coach Thomas Tuchel.

Fühlt sich augenscheinlich sehr wohl in seiner neuen Heimat: Coach Thomas Tuchel.

(Foto: imago/Eibner)

Die Ära des Kumpeltyps Jürgen Klopp ist vorbei - in Dortmund weht ein anderer Wind. Heilsbringer Thomas Tuchel ordnet alles dem Erfolg unter, zum Leidwesen einiger BVB-Urgesteine.

Zum Abschied blieb Jürgen Klopp sogar die Abschiedsfahrt auf dem LKW um den Borsigplatz verwehrt. Im DFB-Pokalfinale unterlag ein geistig erschöpft wirkender BVB den präzisen Wolfsburgern mit 1:3. Wenn es noch einen Beweis gebraucht hat, dass die Ära Klopp an ihrem natürlichen Schlusspunkt angelangt war, dann wurde er an diesem Abend in Berlin erbracht. Nun also der Neustart – unter verschärften Bedingungen. Als Klopp nach Dortmund kam, war der BVB der Pleite knapp entronnen und im sportlichen Mittelmaß versunken. Es konnte nur besser werden. Thomas Tuchel findet einen nach wie vor starken Kader vor, der neue Impulse braucht – und schnelle Erfolge. Der Ex-Mainzer muss deswegen einige Steine umdrehen und stößt die gleich einigen alteingesessenen Stars vor den Kopf. Es sieht so als, als werde es weder für Tuchel noch für sein Team eine Schonzeit geben.

Was gibt’s Neues?

Den begehrtesten Trainer Deutschlands. Thomas Tuchel umgibt spätestens seit seinem Sabbatical eine Aura wie Cumberbatch' Sherlock: Genial, unnahbar, mit einem Hang zum allumfassenden Wahnsinn. Mainz' Präsident Harald Strutz hat mal erzählt, er habe sich im Trainingslager nie getraut, seinen Trainer auch nur zu begrüßen, weil er Angst hätte, Tuchel würde sich in seiner Konzentration gestört fühlen.

Das Fußball-Feuilleton hat der 41-Jährige mit seiner Art schon völlig um den Verstand gebracht. Natürlich äußert sich einer wie er nicht in der "Bild"-Zeitung, sondern in der intellektuellen Wochenzeitung "Die Zeit", der er während seiner Auszeit eine Audienz, pardon, ein Interview gewährte. Die "Zeit" dankt es ihm bis heute mit lobhudelnden Artikeln. Thomas Tuchel macht keine Werbung? "Er ist Idealist im Kosmos der Kapitalisten." Holla.

Bevor Tuchel Griechenlands Schulden eigenhändig abzahlt, den Nahostkonflikt löst und erfolgreich durch 0 teilt, muss er noch eben den BVB wieder zu der Topmannschaft machen, für die sie sich immer noch halten. Richtig viele Neue hat er für die Mission Wiederbelebung nicht gefordert, die haben es aber in sich: Torhüter Roman Bürki vom SC Freiburg wird wohl Weltmeister Roman Weidenfeller verdrängen, Talent Julian Weigl darf sich Hoffnungen auf Sven Benders Platz im defensiven Mittelfeld machen und dem Vernehmen nach soll Xherdan Shaqiri kommen und den Platz von Publikumsliebling "Kuba" Blasczcykowski einnehmen.

Auf wen kommt es an?

Es gibt so Journalisten-Floskeln, die sich einnisten wie Bettwanzen: heimlich, still und leise, und sehr schwer wieder wegzubekommen. Zu diesen nichtssagenden Stanzen gehört das Verb "liefern". Alex Tsipras muss liefern, die Eurozone muss liefern, Mario Götze muss liefern. Und, liebe Kollegen vom "Kicker", was muss der BVB? "Tuchel und sein Team müssen in der Europa League sofort liefern." Will heißen: Umbruch schön und gut, aber Dortmund muss von Saisonbeginn an Spiele gewinnen. Das hat bisher gut geklappt, in der Qualifikation zur Europa League gab es zwei Erfolge gegen Wolfsberg. Die Mannschaft zieht also mit, was ganz wichtig ist, wenn ein neuer Trainer mit neuen Ideen kommt. Tuchel lobte die konzentrierte Arbeit im Training. "Wir haben die Grundlage gelegt, ein besonderes Team zu werden", sagte er dem "Kicker".

Dafür geht der neue Coach offenbar genau so akribisch vor, wie es sein Ruf verspricht. Neven Subotic sagte, es gehe um die winzigsten Details: "Mit welchem Fuß man den Ball annimmt, wie man den Ball passen soll." Passend zum Hype um Tuchel gibt es übrigens einige Taktiknerds, die in der Vorbereitung ganz genau hingeschaut haben, welche Ideen der BVB angeht. Wer schon immer mal wissen wollte, wie Tuchel seinen Trainingsplatz absteckt, lese hier weiter. Wir stellen uns nach der Lektüre dieses Textes und allem, was wir über Tuchel zu wissen glauben, das Training ungefähr so locker vor wie Unterricht bei Jasper von den "Simpsons": "Auf meine Fußballschuhe starren – schon paddel ich euch eins."

Apropos liefern: Nicht mehr liefern darf in Dortmund der Pizzabote. Stattdessen verpasste Tuchel seiner Mannschaft eine Diät mit Vollkornprodukten und Omega-3-Fettsäuren aus bestem Olivenöl. Dürfen wir leise "Spaßbremse" sagen oder kriegen wir dann eine gepaddelt?

Was fehlt?

Wo ist die "Echte Liebe" hin? Wie kann es sein, dass der größte BVB-Fan im Kader sich mit den Verantwortlichen überwirft? Kevin Großkreutz beschwerte sich via "Bild"-Zeitung öffentlich, dass niemand mit ihm rede. Tuchel reagierte gereizt, der Kommentar von Manager Michael Zorc: Der soll erstmal fit werden. Seit Monaten plagt sich der Weltmeister mit einer Knieverletzung herum, in der Vorbereitung spielte er wenig und wenn, dann wenig überzeugend. Ein Wechsel wäre logisch, auch Großkreutz redete schon offen von einem Transfer - aber will der BVB wirklich den Liebling der Fans loswerden? "Kevin ist ein Dortmunder Urgestein und identifiziert sich total mit dem BVB", weiß Zorc. Im Gegensatz zu Jürgen Klopp interessiert sich Thomas Tuchel für solche Kategorien allerdings eher weniger. "Kuba" Blasczcykowski ist mindestens so beliebt wie Großkreutz, der Pole soll aber wohl trotzdem verkauft werden. "Kuba" weg, Großkreutz im Abseits, Weidenfeller nur auf der Bank: Setzt der BVB für das Projekt Tuchel seine Identität auf's Spiel?

 
Wie gut kennen Sie Borussia Dortmund
Borussia Dortmund blickt auf eine durchwachsene Spielzeit zurück. Nach der Ära Klopp soll nun unter Thomas Tuchel ein erfolgreicher Neuanfang gelingen. Wie gut kennen Sie sich mit der Borussia aus? Testen Sie ihr Wissen im n-tv Quiz.
Wie lautet das Saisonziel?

Der Champions-League-Platz wurde ihnen "weggenommen", wie Klubboss Hans-Joachim Watze es formulierte, und in einem solchen Fall greift die gute alte Milchzahn-um-Milchzahn-Regel aus dem Kindergarten: Der BVB will ihn zurück. Das ist die Erwartung an Thomas Tuchel und den Kader. Der Trainer sieht sich als "Herausforderer" von Wolfsburg, Gladbach und Leverkusen. "Aber auch als Herausforderer will man gewinnen", sagt Watzke.

Die n-tv.de Prognose

So ein bisschen kommt es uns vor wie damals, kurz bevor der erste Teil von "Herr der Ringe" ins Kino kam: Der erste Trailer war schon ein gefühltes Jahr im Umlauf, die Spannung wuchs, aber auch der Zweifel - würde es wirklich so gut werden? Thomas Tuchel muss aus dem Stand Erwartungen erfüllen, an denen andere zerbrechen würden. Alles andere als die Champions League wäre eine Enttäuschung für den BVB. Denn bei allen Mängeln, die in der vergangenen Saison zutage traten: Dortmund hat immer noch einen herausragenden Kader, der es mindestens mit Gladbach und Leverkusen, wenn nicht auch mit Wolfsburg aufnehmen kann. Neu ausgerichtet wurde er von einem Mann, der den FSV Mainz 05 zweimal in die Europapokal-Ränge gebracht hat. Was genau soll eigentlich schiefgehen?

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen