"Collinas Erben" sind beruhigt Diesmal ist der VAR kein Thema
07.11.2022, 08:21 Uhr

Schiedsrichter Tobias Stieler begutachtet den Reyna-Sturz.
(Foto: IMAGO/RHR-Foto)
Während in der Debatte über die Video-Assistenten die Option einer "Challenge" ins Spiel gebracht wird, klappt das Zusammenspiel zwischen Referees und VAR am 13. Spieltag der Fußball-Bundesliga gut. Vor allem in Berlin und Dortmund sind die Video-Assistenten hilfreich.
Am vergangenen Spieltag und in den Tagen danach kochte mal wieder die Diskussion über die Video-Assistenten hoch, ausgelöst durch den in der Tat schwer zu begreifenden ausgebliebenen Eingriff des VAR in der Partie zwischen Eintracht Frankfurt und Borussia Dortmund nach einem nicht geahndeten Foulspiel von Karim Adeyemi an Jesper Lindström im Strafraum des BVB. Eine zu schnell beendete Überprüfung im Kölner Video-Assist-Center auf der Grundlage offenbar schlecht ausgewählter Kameraeinstellungen hatte dazu geführt, dass der Fehler des Schiedsrichters auf dem Feld nicht korrigiert wurde.
Ein solches Versäumnis ruft regelmäßig jene auf den Plan, die den VAR am liebsten wieder abschaffen würden. Das ist übrigens keineswegs nur in Deutschland so, auch in anderen Ländern gibt es Debatten, die teilweise sogar noch deutlich vehementer geführt werden, etwa in England. Gleichzeitig führen weltweit immer mehr Ligen den Video-Assistenten ein, weil er bei aller Kritik insgesamt eben doch dazu beiträgt, dass die Zahl der Fehlentscheidungen deutlich reduziert wird - und das ist es, worum es den Klubs und Verbänden als Auftraggeber und Finanziers vorrangig geht. Die Sichtweise und die Interessen vieler Fans sind anders gelagert.
Kommt die Möglichkeit einer "Challenge"?
Unterhalb der unrealistischen Maximalforderung, die Instanz VAR aufzulösen, gibt es diverse Vorschläge zu ihrer Verbesserung. Darunter finden sich allgemein gehaltene Forderungen wie die nach einer "klaren Linie" und einer "einheitlichen Eingriffsschwelle". Das ist zwar verständlich, angesichts eines Regelwerks mit relativ großen Ermessensspielräumen und Graubereichen bei der Bewertung von Zweikämpfen und Handspielen aber auch äußerst schwierig zu erreichen. Konkreter und greifbarer ist die Idee, den Teams eine Art Vetorecht zu gewähren, eine "Challenge" wie etwa im American Football.
Das heißt: Die Mannschaften hätten dann die Möglichkeit, selbst die Überprüfung einer Entscheidung zu verlangen, beispielsweise einmal pro Hälfte, mit der Option einer weiteren Challenge, wenn die Überprüfung zur Änderung dieser Entscheidung führt. Tatsächlich würde das den VAR von der oftmals schwierigen Aufgabe entbinden, zu entscheiden, ob er dem Referee ein On-Field-Review empfehlen soll oder nicht. Jochen Drees, der Projektleiter für die Video-Assistenten in Deutschland, zeigte sich unter der Woche im Gespräch mit dem "Kicker" grundsätzlich offen für diese Idee. Er wies aber auch darauf hin, dass es wiederum Ärger gäbe, wenn aufgrund verbrauchter Challenges bei einem klaren Fehler kein Einspruch mehr möglich wäre. Und er machte deutlich, dass eine solche Änderung im VAR-Protokoll die Angelegenheit der FIFA wäre, die aktuell jedoch der Challenge-Option nichts abgewinnen könne.
Korrekte VAR-Eingriffe in Berlin und Dortmund
Ungeachtet dieser Diskussionen und Vorschläge verlief der 13. Bundesliga-Spieltag für die Unparteiischen und ihre Video-Assistenten deutlich geräuschärmer und besser als am Wochenende zuvor. So griff beispielsweise in der Begegnung zwischen Hertha BSC und dem FC Bayern München (2:3) der aufmerksame Video-Assistent Sören Storks zu Recht ein, als dem insgesamt souverän leitenden Schiedsrichter Bastian Dankert nach 42 Minuten ein zwar gewiss unglücklicher, aber dennoch strafbarer Tritt von Benjamin Pavard in die Ferse des Herthaners Davie Selke im Münchner Strafraum verborgen geblieben war. Nach dem On-Field-Review gab es folgerichtig einen Strafstoß für die Gastgeber, den Selke verwandelte.
Auch der Eingriff von VAR Pascal Müller in der Partie Borussia Dortmund - VfL Bochum (3:0), ebenfalls nach 42 Minuten, war korrekt. Der Unparteiische Tobias Stieler hatte nach einem Zweikampf im Bochumer Strafraum zwischen Danilo Soares und dem Dortmunder Giovanni Reyna zunächst auf Strafstoß für den BVB entschieden, wie schon eine halbe Stunde zuvor nach einem Foulspiel von Vassilis Lampropoulos an Donyell Malen. Doch anders als der erste Elfmeterpfiff war der zweite unberechtigt, weil Reyna mit dem rechten Fuß selbst den Kontakt mit Soares gesucht und herbeigeführt und mit dem linken durchaus freiwillig abgehoben hatte. Soares hatte also nichts unternommen, was den Sturz seines Gegenspielers verursacht hätte. Deshalb nahm Stieler seine Strafstoßentscheidung nach dem On-Field-Review zurück.
Gefährlicher Scherenschlag oder strafbares Handspiel?
Im Spiel des FC Augsburg gegen Eintracht Frankfurt (1:2) lag Schiedsrichter Deniz Aytekin ebenfalls richtig, als er kurz nach der Pause den versuchten Fallrückzieher des Frankfurters Evan Ndicka in luftiger Höhe kurz vor dem Augsburger Tor als gefährliches Spiel bewertete. Dennoch kam es zu einem On-Field-Review, was daran lag, dass der in unmittelbarer Nähe befindliche Augsburger Mergim Berisha den Ball einen Sekundenbruchteil später möglicherweise mit dem Oberarm gespielt hatte. Aytekin blieb jedoch zu Recht bei seiner ursprünglichen Entscheidung, die er auch gestisch transparent machte: Erst gab es den - mit einem indirekten Freistoß korrekt geahndeten - Scherenschlag von Ndicka, danach den Ballkontakt von Berisha, der aus der Sicht des Referees zudem mit der Schulter erfolgte.
Den Monitor am Spielfeldrand suchte der Unparteiische auch in der Auftaktpartie dieses Spieltags zwischen Borussia Mönchengladbach und dem VfB Stuttgart (3:1) am Freitagabend auf, und das schon nach 18 Minuten. Matthias Jöllenbeck hatte nach einem Gerangel zwischen dem Stuttgarter Waldemar Anton und Ramy Bensebaini vor einem Eckstoß für die Gastgeber dem Gladbacher die Gelbe Karte gezeigt, schaute sich die Auseinandersetzung nach Rücksprache mit VAR Tobias Welz jedoch noch einmal in der Review Area an. Er blieb schließlich aber bei seiner ursprünglichen Entscheidung, also der Verwarnung.
Bensebaini kommt glimpflich davon
Bensebaini durfte sich damit glücklich schätzen, denn eigentlich sprachen die Bilder für einen Feldverweis. Was sie zeigten, war weniger ein Losreißen von Anton, der ihn festgehalten hatte, kein bloßes Wegdrücken oder -schieben, sondern vielmehr ein Ausholen und eine Schlagbewegung mit dem rechten Arm, die in einem Treffer im Halsbereich mündete. Doch Jöllenbeck sah noch einen Ermessensspielraum, vielleicht fehlte ihm auch die letzte Überzeugung, um in dieser Situation die gravierendste persönliche Strafe auszusprechen und ein Team frühzeitig zu dezimieren. Eine Rote Karte wäre gleichwohl angebracht gewesen.
Insgesamt stimmte an diesem Wochenende das Zusammenspiel zwischen den Schiedsrichtern und ihren Helfern in Köln. Auch die Kameraeinstellungen, die die Video-Assistenten den Unparteiischen bei den On-Field-Reviews zeigten, waren aussagekräftig und klar. Dessen ungeachtet bleibt die spannende Frage, ob die angestoßene Diskussion über die Challenge-Option in näherer Zukunft Fahrt aufnehmen wird. Fest steht: Das letzte Wort nach dem Gang in die Review Area werden die Referees in jedem Fall behalten, was die Möglichkeit einschließt, dass eine Mannschaft mit der finalen Entscheidung nicht einverstanden ist. Aber so ist das immer, wenn Regeln ausgelegt und angewendet werden.
Quelle: ntv.de