Collinas Erben

"Collinas Erben" ärgern sich Ein Elfmeter, der nicht im Sinne des Fußballs ist

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Leandro Barreiro hatte gegen Hertha BSC einen interessanten Arbeitstag.

(Foto: IMAGO/Andreas Gora)

Das brisante Revierduell zwischen Schalke und Dortmund am 24. Spieltag verläuft für den Schiedsrichter ohne Zwischenfälle. Beim Spiel zwischen Hertha und Mainz dagegen muss sein Kollege in der Review Area das Handspiel eines Mainzers im Strafraum bewerten, das nur dem VAR aufgefallen ist. Der folgende Strafstoß überrascht selbst die Berliner.

Das Ruhrgebietsduell zwischen dem FC Schalke 04 und Borussia Dortmund ist zweifellos eines der größten Spiele, die die Bundesliga zu bieten hat. Am Samstagabend standen sich die beiden Revierklubs zum 100. Mal in der deutschen Eliteklasse gegenüber, Schalke droht ein weiterer Abstieg, der BVB dagegen hegt Titelträume, und beide Teams zeigten sich zuletzt formstark. Eine Konstellation, die eine brisante und besonders emotionale Partie erwarten ließ, deshalb entsandte die sportliche Leitung der Bundesliga-Referees auch einen der erfahrensten Schiedsrichter in die Schalker Arena, nämlich Marco Fritz.

Für den 45-Jährigen aus Korb im baden-württembergischen Rems-Murr-Kreis war es das erste Mal, dass er diese Begegnung zu leiten hatte. Er tat es souverän und unaufgeregt, mit klarer Körpersprache und einer großzügigen Linie bei der Zweikampfbewertung, die zum Spielcharakter passte und von beiden Teams gut angenommen wurde. Mehr als je eine Gelbe Karte hüben wie drüben - für den Schalker Cedric Brunner und den Dortmunder Emre Can, die jeweils rücksichtslos zu Werke gegangen waren - musste der Unparteiische nicht zeigen. Zupass kam ihm gewiss, dass wirklich knifflige Situationen ausblieben. Es gab keine grenzwertigen Handspiele oder Zweikämpfe, keine ernsthaften Rudelbildungen, keine heimtückischen Nickeligkeiten.

"Keiner hat irgendwas geahnt"

Nach dem Schlusspfiff dieser aufregenden Partie, die mit einem 2:2 endete, war der Schiedsrichter jedenfalls kein Thema. Anders verhielt es sich beim Spiel zwischen Hertha BSC und dem 1. FSV Mainz 05 (1:1), wobei Benjamin Cortus eine jener undankbaren Aufgaben zu bewältigen hatte, die seinem Kollegen Fritz erspart geblieben waren. In der 14. Minute versuchte der Mainzer Leandro Barreiro im eigenen Strafraum, nach einer hohen Flanke von Lucas Tousart den Ball mit dem rechten Fuß im Sprung zu erreichen. Er verfehlte ihn jedoch, dafür berührte er ihn ganz leicht mit der linken Hand. Der Ball änderte seine Flugbahn minimal und gelangte zum Berliner Suat Serdar, der ihn aufs Mainzer Tor schoss.

"Keiner hat irgendwas geahnt", sagte Barreiro nach dem Spiel, und in der Tat waren selbst die Herthaner überrascht, als Referee Cortus plötzlich vom Video-Assistenten Sören Storks das Signal bekam, sich die Szene noch einmal am Monitor anzusehen, und anschließend auf Strafstoß entschied. Er habe auf dem Feld ebenfalls kein Handspiel wahrgenommen, sagte Cortus später dem Sender Sky, um anschließend zu erläutern, warum der VAR eingegriffen hatte: Nicht wegen einer klaren und offensichtlichen Fehlentscheidung, sondern aufgrund eines "serious missed incident", also eines schwerwiegenden übersehenen Vorfalls. Cortus hatte das Handspiel schließlich nicht falsch bewertet, sondern - wie auf dem Feld alle außer Barreiro - nicht erfasst.

Was für den Handelfmeter spricht

Regeltechnisch ist es dabei unerheblich, wie deutlich der Ball mit der Hand gespielt wird und ob er überhaupt seine Richtung verändert. Es spielt auch keine Rolle, ob ein solches Handspiel das gegnerische Team beeinträchtigt oder nicht. Maßgeblich für die Bewertung der Strafbarkeit ist alleine, ob es entweder absichtlich geschehen ist oder die Folge einer unnatürlichen Armhaltung war, wie minimal auch immer der Kontakt gewesen sein mag. "Berührung ist da, Armhaltung strafbar, strafbares Handspiel und somit Elfmeter", erklärte Benjamin Cortus seine Entscheidung kurz und knapp. Den Ballkontakt mit der Hand habe der VAR bildlich nachweisen können.

Regelkonform war der Eingriff von Sören Storks, zumal der Unparteiische so überhaupt erst die Gelegenheit bekam, das Handspiel im Strafraum zu begutachten. Und es gibt Aspekte, die dafür sprechen, es als strafbar zu bewerten: Barreiro hatte seinen linken Arm abgespreizt, und der Ball war lange genug unterwegs, um dem Mainzer die Gelegenheit zu geben, ein Handspiel zu vermeiden. Zweifellos wollte er den Ball mit dem Fuß spielen, aber das tat er nun mal nicht. Wenn man vor allem solche technischen Kriterien zugrundelegt, dann geht die Elfmeterentscheidung in Ordnung.

"Das war kein Elfmeter"

Andererseits ist die generelle Akzeptanz für sie gering, selbst Herthas Trainer Sandro Schwarz war der Meinung: "Das war kein Elfmeter." Dabei spielte die - regeltechnisch aber eben irrelevante - Tatsache eine Rolle, dass Barreiro den Ball nur geringfügig gestreift hatte. Es gibt aber auch Argumente, die die Regel und ihre Auslegung selbst betreffen: Die Absicht, den Ball mit der Hand zu spielen, hatte der Mittelfeldspieler der Gäste sicherlich nicht, er ging klar mit dem Fuß zum Ball. Als unnatürlich muss man die Armhaltung ebenfalls nicht bewerten - für eine solche Sprungbewegung war sie vielmehr normal und diente dazu, das Gleichgewicht zu wahren.

Gemessen an diesen Kriterien wäre es möglich und denkbar gewesen, das Handspiel nicht als strafbar zu bewerten. Im Sinne des Fußballs wäre es ebenfalls gewesen, denn die getroffene Entscheidung wirkt - obwohl sie formal vertretbar ist - unverhältnismäßig: Dass eine kaum sichtbare unabsichtliche Berührung des Balles mit der Hand beim klaren und mit einer natürlichen Körperbewegung unternommenen Versuch, ihn mit dem Fuß zu spielen, zu einem Strafstoß führt, passt nicht zusammen. Allerdings ist dieses Problem keines, das die Schiedsrichter zu verantworten haben - hier wären in erster Linie die Regelhüter gefragt.

Gelb gerade noch vertretbar

Nur wenige Minuten nach der Elfmeterentscheidung hatte der Unparteiische die nächste schwierige Aufgabe zu lösen: In der Nähe des Mittelkreises sprang der Berliner Tolga Ciğerci mit beiden Füßen voraus zum Ball, den er auch traf, bevor er Barreiro mit den hinteren Stollen seines rechten Schuhs über den Spann rutschte und ihn anschließend mit dem linken Bein so traf, dass der Mainzer durch die Luft geschleudert wurde. Benjamin Cortus beließ es bei der Gelben Karte, und diesmal schaltete sich VAR Sören Storks nicht ein.

Das hätte er ziemlich sicher auch nicht getan, wenn der Referee hier einen Feldverweis ausgesprochen hätte. Denn dafür sprach einiges: der Absprung mit beiden Beinen, was ein Tackling häufig unkontrolliert werden lässt, die hohe Intensität, die Dynamik der Aktion. Was Ciğerci die Rote Karte ersparte, war die Tatsache, dass er zuerst deutlich den Ball gespielt hatte und dass der anschließende Treffer vor allem auf der Vorderseite des Fußes erfolgte und nicht oberhalb des Knöchels. Diese Parameter lassen die Gelbe Karte zumindest nicht zur klaren und offensichtlichen Fehlentscheidung werden. Die Hinausstellung des Berliners wäre jedoch erst recht keine gewesen.

Quelle: ntv.de

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