Collinas Erben

"Collinas Erben" sehen Superlative Grapscher, Kartenrekorde und eine Elferorgie

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Nicht alle Entscheidungen der Bundesliga-Schiedsrichter waren glücklich.

Nicht alle Entscheidungen der Bundesliga-Schiedsrichter waren glücklich.

(Foto: dpa)

Spieler, die mit den Regelneuerungen nicht vertraut sind. Trainer als Wiederholungstäter, dazu die größte Strafstoßflut seit 30 Jahren – die Bundesliga-Schiedsrichter hatten allerhand zu tun. Ein Zwischenfazit in Superlativen.

Regeländerung der Hinrunde: Nicht weniger als 95 Modifikationen traten im Zuge der großen Regelreform des International Football Association Board (Ifab) mit Beginn dieser Saison in Kraft. Die meisten davon sind unspektakulärer Natur - so kann etwa der Anstoß jetzt auch nach hinten ausgeführt werden – oder betreffen Situationen, die nur selten vorkommen. Anders verhält es sich jedoch mit der Änderung bei einer "Notbremse" im Strafraum: Wenn dort eine offensichtliche Torchance durch ein Vergehen zunichte gemacht wird, bei dem der Ball nur knapp verfehlt wird, gibt es neben dem obligatorischen Strafstoß nicht mehr die Rote, sondern nur noch die Gelbe Karte. Damit folgten die Regelhüter dem Wunsch vieler Klubs und Verbände, die sogenannte "Doppelbestrafung" etwas zu mildern. Der Erste, der in der Bundesliga davon profitierte, war Gladbachs Torwart Yann Sommer: Als er beim Auswärtsspiel in Freiburg kurz vor Schluss vergeblich nach der Kugel hechtete und dabei Vincenzo Grifo zu Fall brachte, wurde er von Schiedsrichter Harm Osmers lediglich verwarnt.

"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.

Missverständnis der Hinrunde: Diese Neuerung hat jedoch nicht jeder gleich verstanden. Nationalspieler Christoph Kramer beispielsweise glaubte noch im November, bei "Notbremsen" im Sechzehnmeterraum gebe es nun grundsätzlich keinen Platzverweis mehr. Gladbachs Manager Max Eberl war davon überzeugt, dass die geänderte Regelung nur die Torhüter betrifft. Schiedsrichter, die nach der Verhinderung einer klaren Tormöglichkeit im Strafraum zu Recht die Rote Karte zeigten, weil das Vergehen ein Halten, Ziehen oder Stoßen war und somit nicht im Kampf um den Ball geschah, wurden angeblafft, sie hätten wohl die Regeln nicht verstanden. Umgekehrt bekamen Unparteiische, die bei einer "Notbremse" im Kampf um den Ball richtigerweise nur Gelb zückten, zu hören, ihnen fehle der Mut zum Platzverweis. Ein paar Spieler und Funktionäre haben bei der Regelschulung durch die Referees vor der Saison offenkundig nicht gut genug aufgepasst.

Kniff der Hinrunde: Franck Ribéry ist bekanntlich für allerlei Überraschungen gut, in positiver wie in negativer Hinsicht. Mit seinen Tricks auf dem Spielfeld verzückt er regelmäßig die Bayernfans, seine oft ungeahndeten Unbeherrschtheiten sorgen jedoch immer wieder für Ärger bei gegnerischen Klubs und deren Anhängerschar. So wie am fünften Spieltag, als Ribéry in der Partie der Münchner beim HSV den sichtlich verdutzten Hamburger Nicolai Müller ohne erkennbaren Anlass in die Wange zwickte. Nicht wenige hätten es begrüßt, wenn Schiedsrichter Felix Zwayer den grapschenden Franzosen dafür vom Platz gestellt hätte. Der Referee sah in diesem Kniff der besonderen Art jedoch noch keine Tätlichkeit, sondern nur eine Unsportlichkeit und beließ es bei einer Gelben Karte. Über diese Regelauslegung kann man gewiss unterschiedlicher Ansicht sein, Ribérys jüngstes Opfer nahm sie gleichwohl gelassen und mit Humor: "Franck wollte mir wohl den Bart streicheln", scherzte Nicolai Müller nach dem Spiel. "Solche Scharmützel gehören dazu."

Glückspilz der Hinrunde: Gleich zweimal blieb eine Tätlichkeit des Frankfurters David Abraham ungeahndet: Am sechsten Spieltag patschte er dem Freiburger Vincenzo Grifo während einer Rudelbildung ins Gesicht, was Schiedsrichter Marco Fritz jedoch verborgen blieb. Acht Spieltage später rammte er dem Hoffenheimer Sandro Wagner den Ellenbogen an den Kopf, doch auch diesen brutalen Einsatz übersah der Unparteiische, der in diesem Fall Christian Dingert hieß. Abraham – und nicht nur er – sollte sich jedoch vorsehen: Wenn in der kommenden Saison der Videobeweis probehalber in der Bundesliga eingeführt wird, werden solche Aktionen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr ohne unmittelbare Sühne über die Bühne gehen.

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Trockenübung der Hinrunde: Apropos Videobeweis: Am ersten Spieltag dieser Saison hat die Testphase begonnen, auch wenn die Öffentlichkeit davon noch nichts mitbekommt. Anfänglich waren es an jedem Samstagnachmittag drei Bundesliga-Referees, die unter der Anleitung von Hellmut Krug, dem Schiedsrichter-Manager der DFL, in einem Studio in Köln je ein Bundesligaspiel verfolgten und sich notierten, in welchen konkreten Situationen ein Video-Assistent zu Rate gezogen werden könnte, sollte oder müsste. Inzwischen sind es deren vier. Der Test findet zurzeit noch "offline" statt, das heißt, die Video-Schiedsrichter haben keinen Kontakt zu ihren Kollegen auf dem Platz. Vorerst geht es darum, Beobachtungen vorzunehmen, mögliche Abläufe zu besprechen und die Unparteiischen mit ihrer künftigen Aufgabe vertraut zu machen. Mit Beginn der Spielzeit 2017/18 wird es dann in allen Bundesligaspielen zu Live-Tests kommen, die einen direkten Einfluss auf die Bewertung von Spielsituationen haben können. Das letzte Wort bleibt aber beim Schiedsrichter auf dem Feld. Wie wichtig es ist, die Einführung der Videotechnik gründlich vorzubereiten, hat die Klub-WM in Japan gezeigt, wo der "Online-Test" noch recht holprig verlief.

Für Leverkusens Roger Schmidt galt: Ich - einfach unverbesserlich.

Für Leverkusens Roger Schmidt galt: Ich - einfach unverbesserlich.

(Foto: imago/Chai v.d. Laage)

Wiederholungstäter der Hinrunde: Roger Schmidt, der Trainer von Bayer 04 Leverkusen, sorgte in der vergangenen Spielzeit für einen Eklat. Im Spiel seiner Elf gegen Borussia Dortmund weigerte er sich zunächst, dem Tribünenverweis durch Schiedsrichter Felix Zwayer Folge zu leisten. Erst nach einer neunminütigen Unterbrechung nahm der Coach auf den Zuschauerrängen Platz. Der DFB verhängte ein Innenraumverbot für drei Partien, zwei weitere setzte er zur Bewährung aus. Schmidts Versprechen, sich künftig zurückzuhalten, hielt allerdings nicht lange: Am achten Spieltag dieser Saison wurde er in der Begegnung gegen die TSG 1899 Hoffenheim von Referee Bastian Dankert erneut von der Bank verwiesen – wegen Beleidigung des gegnerischen Trainers. Diesmal leistete der Übungsleiter keinen Widerstand, um eine weitere Sanktion kam er trotzdem nicht herum: Die Bewährungsstrafe wurde in eine Sperre für zwei Spiele umgewandelt.

Selbstkritik der Hinrunde: Auch als langjähriger Referee hat man bisweilen einen Tag, an dem man besser im Bett geblieben wäre. Einen solchen erwischte Christian Dingert im Dezember, als ihm die knüppelharte Partie zwischen Eintracht Frankfurt und der TSG 1899 Hoffenheim mit zunehmender Spieldauer immer weiter aus den Händen glitt und sich eine zweifelhafte Entscheidung an die nächste reihte. Der 36-Jährige mochte das auch gar nicht beschönigen: Zum Hoffenheimer Trainer Julian Nagelsmann soll er bereits in der Halbzeitpause gesagt haben, er müsse eigentlich ausgewechselt werden. Auch nach dem Schlusspfiff übte er sich dem Coach zufolge in Selbstkritik. "Ich schätze es sehr, wenn ein Schiri zugeben kann, dass es nicht sein bester Tag war. Das ist eine tolle menschliche Geste", sagte Nagelsmann. Sandro Wagner war ebenfalls angetan: "Hut ab vor dem Schiedsrichter, das war sensationell, weil er das selbst eingesteht. Davor habe ich großen Respekt."

Elfmeterorgie der Hinrunde: Nicht weniger als zehn Strafstöße verhängten die Unparteiischen am siebten Spieltag – das hatte es zuletzt vor 30 Jahren gegeben. Acht davon waren entweder eindeutig korrekt, zumindest vertretbar oder nicht zweifelsfrei aufzuklären, lediglich bei zwei Elfmeterentscheidungen lagen die Schiedsrichter eindeutig daneben. Damit hatten die Unparteiischen eine erheblich bessere Trefferquote als die Strafstoßschützen. Von denen vergaben nämlich nicht weniger als fünf, also genau die Hälfte – ein neuer Bundesliga-Rekord.

Kartenrekorde der Hinrunde: Gerade mal sieben Sekunden alt war am elften Spieltag die Begegnung zwischen dem FSV Mainz 05 und dem SC Freiburg, da musste Schiedsrichter Patrick Ittrich auch schon die erste Gelbe Karte zeigen, nachdem der Freiburger Florian Niederlechner seinen Gegenspieler Stefan Bell im Luftkampf mit dem Ellenbogen im Gesicht getroffen hatte. Manche Sanktionen dulden eben keinen Aufschub. Rekordverdächtiges schaffte auch der Ingolstädter Matthew Leckie, dem es am 14. Spieltag beim überraschenden 1:0-Sieg der Schanzer gegen RB Leipzig gelang, sich in einer einzigen Spielunterbrechung sowohl die Gelbe als auch die Gelb-Rote Karte abzuholen. Der Australier hatte dabei zunächst einen Gegenspieler mit einer rustikalen Grätsche zu Fall gebracht, Schiedsrichter Markus Schmidt ließ das Spiel jedoch weiterlaufen, weil sich für die Leipziger eine Vorteilssituation ergab. Diese wurde durch ein weiteres Foul beendet, woraufhin Leckie erst den Ball wegschlug und dann auch noch den Gästekapitän Willi Orban wegschubste. Der Referee zeigte Leckie für das ungehobelte Einsteigen nachträglich Gelb und sofort darauf für das unsportliche Verhalten Gelb-Rot.

Aufsteiger der Hinrunde: Gleich vier Schiedsrichter gaben in dieser Saison ihr Debüt im Oberhaus: Harm Osmers, Robert Kampka, Benjamin Cortus und Frank Willenborg. Sie ersetzten Knut Kircher, Florian Meyer, Michael Weiner und Peter Sippel, die die Altersgrenze erreicht hatten und deshalb ausscheiden mussten. Ein solcher Aderlass an erfahrenen Unparteiischen will erst einmal kompensiert sein – doch die Neuen fügten sich gut in die Gruppe der deutschen Elite-Referees ein und brachten ihre ersten Spiele weitgehend geräuschlos über die Bühne. Sie waren es jedenfalls nicht, über die geschimpft wurde, als die Schiedsrichter zum Ende der Hinrunde einige Male heftiger Kritik ausgesetzt waren. Besonders Robert Kampka machte bei seinen Spielleitungen einen abgeklärten Eindruck und bewahrte auch in heiklen Situationen die Ruhe und den Überblick.

Quelle: ntv.de

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