"Collinas Erben" atmen auf Nur Modeste hat Grund zum Ärgern
23.11.2015, 10:15 Uhr

Kölns Anthony Modeste und der Schiedsrichter waren in der 57. Minute anderer Meinung.
(Foto: imago/Eibner)
Nachdem die Schiedsrichter zuletzt in die Kritik gerieten, gibt es am 13. Spieltag so gut wie keine Diskussionen über ihre Entscheidungen. Lediglich in Köln grummelt man. In Berlin ist derweil der Schnee der größte Gegner des Referees.
Am Sonntag brach der Winter über die Bundesliga herein, zumindest im Berliner Olympiastadion, wo es kurz nach dem Beginn des Spiels zwischen der gastgebenden Hertha und der TSG 1899 Hoffenheim zu schneien begann. Und das so heftig, dass auch die Rasenheizung nichts mehr ausrichten konnte – die weiße Pracht blieb einfach liegen. Schiedsrichter Guido Winkmann ordnete deshalb schon nach wenigen Minuten an, dass fortan mit einem besser sichtbaren roten Ball gespielt wird statt mit der handelsüblichen weißen Kugel. Zunehmend schlechter zu erkennen waren dagegen die Spielfeldmarkierungen, die allmählich zuschneiten. Was aber tut man, wenn die Linien auf dem Platz einfach verschwinden?
Hier geben die "Zusätzlichen Erläuterungen des DFB" zur Regel 1 ("Das Spielfeld") Aufschluss, in denen es heißt: "Ist die Zeichnung des Spielfeldes wegen Schneefalls nicht mehr erkennbar, sind zusätzlich zu den fakultativen Mittelfahnen acht Hilfsflaggen zur Kennzeichnung der Strafräume einen Meter außerhalb der Begrenzungslinien aufzustellen. Stehen keine Hilfsflaggen zur Verfügung, sind auch sogenannte 'Hütchen' zugelassen." Das heißt: Jeder Sechzehnmeterraum wird durch vier Flaggen abgegrenzt, die dessen äußere Punkte in der Länge und in der Breite anzeigen. Auf den Seiten- und Torlinien dürfen sie allerdings nicht stehen, weil sie dort hinderlich wären. Daher die Anweisung, sie ein Stück außerhalb zu platzieren.
Anhand der aufgestellten Eck-, Mittel- und Hilfsfahnen rekonstruiert der Schiedsrichter sodann gedanklich die Linien auf dem Spielfeld. Das ist allerdings naturgemäß eine ausgesprochen fehleranfällige Sache – weshalb man die Markierungen dort, wo Schneeschieber bereitstehen, lieber in einer Spielunterbrechung freischaufeln lässt. In Berlin hätte Guido Winkmann auch durchaus Grund gehabt, die Verrichtung dieser Aufgabe zu veranlassen. Doch er spekulierte offenbar darauf, zumindest bis zur Halbzeit ohne zusätzliche Pause durchzukommen. Mit Erfolg – auch deshalb, weil beim Treffer des Tages für Hertha in der 30. Minute die Torlinientechnologie signalisierte, dass der Ball die kaum noch zu sehende Torlinie bereits überschritten hatte, als der Hoffenheimer Torhüter Oliver Baumann ihn erreichte. Nach dem Seitenwechsel hörte der Schneefall schließlich auf und die Rasenheizung tat ihr Werk. Nur der rote Ball erinnerte noch an den plötzlichen Wintereinbruch.
Zu früh die Fahne gehoben
"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.
In Köln haderten die Hausherren derweil mit dem Unparteiischen Wolfgang Stark. Anlass war eine Szene, die sich in der 57. Minute des Spiels der Domstädter gegen den 1. FSV Mainz 05 zugetragen hatte. Bei einem schnellen Angriff der Kölner wollte Kevin Vogt den Ball zu seinem Mitspieler Anthony Modeste spielen, doch der Mainzer Nico Bungert ging dazwischen. Sein Versuch, die Kugel zu stoppen, misslang allerdings dermaßen, dass das Spielgerät von seinem Fuß zu Modeste sprang, der bei Vogts ursprünglichem Abspiel knapp im Abseits gestanden hatte. Schiedsrichter-Assistent Mike Pickel hob deshalb die Fahne, Wolfgang Stark pfiff – und die Rheinländer tobten. Denn sie argumentierten, Modeste habe den Ball nun mal von Bungert bekommen, mithin sei seine vorherige Abseitsstellung unerheblich.
Bis zum Sommer 2013 hätte Pickel mit seinem Fahnenzeichen absolut richtig gelegen. Wenn damals ein Angreifer den Ball abspielte und dieser daraufhin von einem Verteidiger im Zuge einer missglückten Abwehraktion zu einem gegnerischen Stürmer befördert wurde, der sich im Moment des ursprünglichen Abspiels seines Mitspielers im Abseits befunden hatte, entschied der Schiedsrichter auf Abseits. Dann jedoch wurde die betreffende Regel modifiziert, um die Offensive weiter zu stärken. Seitdem wird zwischen einem unkontrollierten Abfälschen und einem absichtlichen Spielen des Balles durch einen Verteidiger unterschieden. Das heißt: Wird ein Abwehrspieler von einem Gegner unvermittelt angeschossen und gelangt der Ball daraufhin von ihm zu einem Stürmer, der zuvor beim Schuss in einer Abseitsposition war, dann ist und bleibt es Abseits. Bewegt sich der Verteidiger aber bewusst zum Ball und spielt er diesen dann versehentlich zu einem im Abseits befindlichen Angreifer, dann ist das Abseits aufgehoben.
Letzteres war der Fall, als Nico Bungert der Ball unglücklich versprang und zu Modeste gelangte, der nun freie Bahn zum Tor hatte. Doch Mike Pickel, ein international erfahrener Assistent, hatte da schon sein Arbeitsgerät in die Höhe gereckt und sein Chef war ihm gefolgt. Auch zweieinhalb Jahre nach ihrer Änderung ist die neue, erheblich anspruchsvollere Regelauslegung beim Abseits vielen Referees und ihren Helfern an der Seitenlinie, die jahrelang eine andere Praxis gewohnt waren, noch immer nicht in Fleisch und Blut übergegangen. Pickel bat den verärgerten Kölner Trainer Peter Stöger dann auch kurz nach der Szene per Handschlag um Verzeihung für seinen Lapsus.
Solche Misstöne blieben am 13. Spieltag jedoch die Ausnahme. Nachdem die Schiedsrichter zuletzt arg in die Diskussion geraten waren, gab es an diesem Wochenende kaum Proteste gegen sie. Nicht zuletzt in den Topspielen zwischen dem Hamburger SV und Borussia Dortmund sowie zwischen Schalke 04 und dem FC Bayern München zeigten die Unparteiischen – Felix Zwayer hier, Tobias Stieler dort – vorzügliche Leistungen. Sie amtierten so gelassen wie souverän, genossen die Akzeptanz aller Beteiligten, ließen gut den Vorteil laufen und lagen mit ihren Entscheidungen nahezu durchweg richtig. Nach anstrengenden Wochen dürfte die gesamte Zunft nun aufgeatmet haben.
Quelle: ntv.de