Köster über Kasper und Salzsäulen Muss Bayerns Ancelotti mehr coachen?
18.10.2016, 15:13 Uhr
Mit dem Anpfiff stellt Carlo Ancelotti seine Trainerarbeit weitgehend ein.
(Foto: REUTERS)
Kritiker halten Carlo Ancelotti vor, der neue Trainer des FC Bayern sei während der Spiele zu passiv. Dabei ist die Zurückhaltung des Italieners Teil der neuen Freiheiten, die die Bayern-Spieler genießen.
Es gab schon souveränere Auftritte des FC Bayern als das fast ein wenig glückliche 2:2-Unentschieden bei Eintracht Frankfurt am letzten Wochenende. Und in die Kritik geriet dabei neben der Mannschaft, der allgemein die nötige Einstellung abgesprochen, um in solchen engen Spielen bestehen zu können, auch Trainer Carlo Ancelotti.
Der italienische Coach habe erstens bisher nicht ausreichend klar machen können, welche taktische Ausrichtung er anstelle des zirkulierenden Ballbesitzfußballs seines Vorgängers Pep Guardiola bevorzuge. Und zweitens wurde auch sein Verhalten während des Spiels moniert. Der Italiener steht in aller Regel stoisch an der Seitenlinie und verzichtet so gut wie komplett darauf, die Mannschaft im Laufe der neunzig Minuten zu coachen und im Falle des Falles neu einzustellen und einzuschwören. Was sein gutes Recht als Trainer ist, inzwischen aber so manchem Analysten wie dem n-tv-Experten Uli Stein sauer aufstößt, weil sie sich an den wild an der Seitenlinie gestikulierenden Guardiola erinnern, der pro Minute drei neue taktische Anweisungen auf den Platz krakeelte und damit ja durchaus einen gewissen Erfolg hatte.
Philipp Köster, Jahrgang 1972, ist Chefredakteur und Herausgeber des Fußballmagazins "11 Freunde". In seiner Kolumne "Kösters Direktabnahme" greift er jeden Dienstag für n-tv.de ein aktuelles Thema aus der Welt des Fußballs auf. Zudem ist er seit der Saison 2016/17 Bundesligaexperte von n-tv.
Wer jedoch von Ancelotti ein ähnlich engagiertes Coaching erwartet, verkennt ein paar grundlegende Tatsachen des Fußballgeschäfts. So ist zunächst einmal festzuhalten, dass vom Verhalten an der Seitenlinie selten der Erfolg einer Fußballmannschaft abhing. Sicher, Guardiola verbringt die Spiele gerne hyperventilierend am Spielfeldrand, ebenso wie seine Kollegen Diego Simeone, Thomas Tuchel oder Jürgen Klopp. Andere Erfolgstrainer wie Jupp Heynckes und eben auch Carlo Ancelotti stehen eher mit verschränkten Armen an der Seitenlinie und schauen sich in Ruhe an, was die Mannschaft so zustande bringt. Und wer in die Fußballhistorie blickt, wird dort ebenfalls gestikulierende Derwische wie Hennes Weisweiler finden wie besonnene Zeitgenossen. Einer der erfolgreichsten Trainer aller Zeiten, nämlich der Ukrainer Valeri Lobanowski, war dafür berühmt, dass er während des Spiels nicht einmal zwinkerte, sondern nur regungslos an der Trainerbank stand wie eine Statue.
Um zu den Bayern zurückzukommen: Man könnte nun fragen, ob nicht gerade der Verzicht aufs engagierte Coaching ein Vertrauenssignal an die Mannschaft ist. Ancelotti scheint dem Team zuzutrauen, selbst Lösungen für die Probleme auf dem Spielfeld zu finden. Dazu muss er nicht schon nach drei Minuten den ersten Spieler heranrufen, um mit ihm die Position der Viererkette durchzudiskutieren. Der Verzicht auf permanente Anweisungen und Befehle ist Teil der neuen Freiheiten, die das Team genießt.
Ob die Spieler diese neuen Freiheiten zu schätzen und zu nutzen wissen, ist noch nicht klar. Womöglich war die totale Kontrolle, die Guardiola anstrebte, für manchen Spieler einfacher zu handhaben und in Kreativität umzusetzen. Der Erfolg des FC Bayern in dieser Saison wird stark davon abhängen, ob es Ancelotti an deren Stelle eine neues stimmiges System zu platzieren, dass indivuelle Freiheiten mit dem Dominanzstreben des FC Bayern verbindet. Auf den FC Bayern wartet dementsprechend viel Arbeit, im Training und vor dem Spiel.
Was Ancelotti während des Spiels macht, ist hingegen völlig egal.
Quelle: ntv.de