
Matthäus und Beckenbauer: Zwei Ikonen des deutschen Fußballs.
Vor 30 Jahren schaut ganz Fußball-Deutschland auf den damals 32-jährigen Lothar Matthäus: Mit seinem 104. Länderspiel für Deutschland überholt er die Legende Franz Beckenbauer. Für den "Kaiser" kein Problem - auch wenn er damit am Anfang von Matthäus' Karriere nicht gerechnet hätte.
Die Botschaft eines großen Sportartikelherstellers aus Herzogenaurach war vor 30 Jahren eindeutig: "King stürzt Kaiser". Damals stand Lothar Matthäus vor seinem 104. Länderspiel. Mit der Partie am 17. November 1993 im Müngersdorfer Stadion zu Köln und gegen Brasilien überholte Lothar Matthäus den bisherigen Rekordhalter Franz Beckenbauer. Viele dachten in diesen Tagen, dass sich seine erfolgreiche Karriere langsam auf die letzten Meter machen würde. Doch weit gefehlt. Es sollte noch weitere knapp sieben Jahre dauern, bis der Junge aus Herzogenaurach das letzte Mal - nach einer 20-jährigen Laufbahn in der DFB-Elf - sein Trikot mit dem Adler ausziehen sollte.
Dabei hatte damals, im Sommer 1980, erst einmal alles sehr zaghaft begonnen. Und eigentlich musste Lothar Matthäus sogar zu seinem Glück gezwungen werden. Denn der 19-jährige Nachwuchsstar zickte ein wenig rum. Und so fasste Kapitän Ennatz Dietz bei der Europameisterschaft gegen die Niederlande beim vermeintlich sicheren 3:0 für Deutschland einen Entschluss: Er wollte dem jungen Talent bei diesem Spielstand zu seinem ersten Einsatz im Nationaltrikot verhelfen. Dietz täuschte eine Verletzung vor und ermöglichte Matthäus sein Debüt. Dass das Spiel am Ende und nach zittrigen Schlussminuten nur noch 3:2 für Deutschland ausging, lag nicht unbedingt an dem unbedarften Nationalmannschaftsneuling Matthäus allein, wie Dietz einmal schmunzelnd erzählte, doch den Elfmeter zum 3:1 verschuldete er trotzdem.
Aber Dietz wusste auch noch etwas anderes über Matthäus zu berichten: "Der Lothar hat am Tag der Nominierung bitterlich geweint. Ich stand neben ihm und war völlig hilflos. Erst habe ich gedacht, der würde Freudentränen vergießen, aber dann hat der gar nicht mehr aufgehört. Ich habe ihm den Arm um den Hals gelegt und ganz behutsam gefragt, was denn los sei. Da hat mich der Lothar mit geröteten Augen angeguckt und geschluchzt: 'Aber meine Freundin hat doch für die Zeit der Europameisterschaft schon unseren Urlaub gebucht ...'"
Lothar Matthäus, der Zeitungsbote
Dass Matthäus sich damals Gedanken über seine Nominierung machte, hatte weniger sportliche, denn finanzielle Gründe. Schließlich würde die Stornierung der Reise Geld kosten, so seine Überlegung. Und das schmeckte dem heutigen Rekordnationalspieler so gar nicht. Schließlich hatte er früh gelernt, sein eigenes Geld zu verdienen, wie er anlässlich des 104. Spiels erzählte: "Schon als Zehnjähriger begann ich, Zeitungen auszutragen. Mit dem Fahrrad, tagtäglich vier Stunden, bei Schnee und Regen. Das war gutes und leicht verdientes Geld, ein Stundenlohn zwischen 13 und 14 Mark. Erst kurz vor meinem Wechsel nach Mönchengladbach, als ich schon 18 war, habe ich damit aufgehört."
Die Geschichte zeigt, dass schon der kleine fußballvernarrte Junge aus Herzogenaurach wusste, was wirkliche Arbeit bedeutet. Denn die Karriere des Lothar Matthäus ist tatsächlich die eines Kämpfers. Vor seinem Rekordländerspiel für die deutsche Nationalmannschaft damals in Köln erzählte er stolz, dass ihm ein "unbändiger Ehrgeiz, eine absolute Gewinnermentalität angeboren" sei. Matthäus weiter: "Ich war immer der Kleinste und wurde deswegen von den Größeren gehänselt. Aber denen habe ich es gezeigt und war dann mächtig stolz, als ich beim Wählen der Mannschaften auf dem Bolzplatz immer als Erster ausgesucht wurde."
Matthäus hält noch immer zahlreiche Bestmarken
Natürlich verglich sich der "King" vor dreißig Jahren auch mit dem "Kaiser" und stellte fest, dass Franz Beckenbauer alles in die "Wiege gelegt" worden sei, er selbst sich aber alles hart "erarbeiten" musste. Interessanterweise beschrieb ihn der genannte Beckenbauer im Rückblick auf die Anfangsjahre von Matthäus als "ein Springginkerl, wie wir in Bayern sagen. Ein Bruder Leichtfuß. Er wollte überall dabei sein, wo was los war."
Vermutlich eine Charaktereigenschaft von Lothar Matthäus, die ihm im späteren Verlauf seiner beruflichen Karriere den einen oder anderen Stein in den Weg legen sollte. Doch vor dreißig Jahren war das noch nicht abzusehen. Beckenbauer war voll des Lobes: "Er ist ein anständiger Bursche, er hat den Titel Rekordnationalspieler verdient. Wenn ihm einer diese Titel gönnt, dann ich." Im Gegenzug revanchierte sich Matthäus mit netten Worten über den "Kaiser": "Franz ist die Lichtgestalt des deutschen Fußballs, er bleibt die Nummer eins. Franz ist der Kaiser, und wer rüttelt schon gerne an des Kaisers Thron?"
Nach seinem erfolgreichen Rekordspiel gegen Brasilien (2:1) am 17. November 1993 ging es für Lothar Matthäus in der Nationalmannschaft noch sieben Jahre mit vielen Höhen und Tiefen weiter. Als er am 20. Juni 2000 um 20:45 Uhr im Rotterdamer Stadion De Kuip zum letzten Mal im am Ende so beschämenden Spiel gegen Portugal auflief, bestritt Matthäus sein 150. Länderspiel.
Damit war er über einen Zeitraum von zwanzig Jahren, so lange wie kein anderer deutscher Nationalspieler, in der Nationalmannschaft aktiv gewesen und hatte als bisher einziger deutscher Nationalspieler an fünf Weltmeisterschaften teilgenommen. Vermutlich ein Rekord für die Ewigkeit - für den Mann, der auf die Frage, was ihn zum Rekordnationalspieler habe werden lassen, so klug und bescheiden antwortete: Ehrgeiz und Glück.
Quelle: ntv.de