Der WM-Check, Gruppe B Hebelt van Gaal Spaniens Tiki-Taka aus?
03.06.2014, 10:47 Uhr
Halbfinale oder gar mehr? Louis van Gaal.
(Foto: dpa)
Bald geht es los, die Fußball-WM in Brasilien beginnt am 12. Juni. Wer kann was? Wo liegen die Stärken, wo die Schwächen der jeweiligen Mannschaften? Wir nehmen die WM-Teilnehmer unter die Lupe. Heute: die Gruppe B mit Spanien, den Niederlanden, Chile und Australien.
Spanien
Wer als Welt- und Europameister in eine WM-Endrunde geht , sollte den Anspruch haben, seinen Titel zu verteidigen. Nicht wenige Experten sind allerdings der Meinung, dass Spanien seine Dominanz eingebüßt hat. Trotzdem qualifizierte sich die Auswahl des Trainers Vicente del Bosque ungeschlagen für das Turnier, ließ dabei Frankreich hinter sich. Aber: Die Iberer stellten mit gerade einmal 1,75 Toren im Schnitt die zweitschlechteste Offensive der Gruppensieger in Europa - und das trotz eines Angriffs, der seinesgleichen sucht.
Mit Alvaro Negredo (Manchester City), David Villa (Atletico Madrid), Fernando Torres (FC Chelsea) und Pedro (FC Barcelona) haben die Spanier vier Stürmer, die ein Spiel alleine entscheiden können. Kuriert Atletico-Star Diego Costa seinen Muskelfaserriss im Oberschenkel noch rechtzeitig aus, geht auch einer der treffsichersten Angreifer der Primera Division für Spanien auf Torejagd. Mindestens genauso gefürchtet wie der namhafte Angriff ist das von del Bosque perfektionierte Tiki-Taka, das Kurzpassspiel, mit dem sich die Furia Roja in den vergangenen Jahren zur besten Auswahl der Welt aufgeschwungen hatte. Was den anderen Nationen Mut machen dürfte, ist der Umstand, dass die Taktgeber dieses Systems, Xavi und Andres Iniesta (beide FC Barcelona), ihrer Form hinterherlaufen. Zudem soll es Spannungen innerhalb der Mannschaft geben. Torhüter Iker Casillas (Real Madrid) gilt als Liebling von del Bosque, ist Gerüchten zufolge bei seinen Kollegen aber umstritten. Blenden die Spanier ihre Nebenkriegsschauplätze aus, sind sie ein Favorit auf den Titel - und erst recht auf den Sieg in der Gruppe B.
Niederlande
Eigentlich stimmen bei Oranje die Voraussetzungen, um ein großes Turnier zu spielen: Ein Team mit der richtigen Mischung aus talentierten und routinierten Spielern, eine WM-Historie mit achtbaren Erfolgen und ein Trainer mit einem gesunden Selbstbewusstsein. Dennoch hat Louis van Gaal genügend Baustellen, die den Traum vom ersten WM-Titel platzen lassen könnten. Angefangen bei der dürftigen Form: Im ersten Testspiel kamen die Holländer gegen Ecuador nur zu einem 1:1 und zeigten dabei über weite Strecken eine enttäuschende Vorstellung.
Beim Remis gegen die Südamerikaner schmorte Klaas-Jan Huntelaar mal wieder auf der Bank. Der Schalker Angreifer, bei seinem Verein gesetzt, ist in der Nationalmannschaft meist zum Zuschauen verdammt. Van Gaal setzt stattdessen auf seinen Liebling: Robin van Persie, dem Stürmer von Manchester United, der ebenso wie Huntelaar lange verletzt war und noch nicht in WM-Form ist. Rafael van der Vaart tritt die Reise nach Brasilien erst gar nicht an, der Spielmacher des Hamburger SV muss wegen einer Wadenverletzung passen.
Rechtsverteidiger Gregory van der Wiel (Paris Saint-Germain) fällt wegen einer Knieverletzung aus, Augsburgs Paul Verhaegh (Knöchelprobleme) bangt ebenfalls um seine WM-Teilnahme. Wesley Sneijder, Mittelfeldspieler bei Galatasaray Istanbul, und Nigel de Jong (AC Mailand) spielen derzeit unter ihren Möglichkeiten - Sorgen, wohin das Auge reicht. Deshalb gibt van Gaal offiziell nur das Halbfinale als Maximal-Ziel aus. Wer den erfolgsfanatischen Bondscoach kennt, weiß aber, dass er insgeheim das Finale im Visier hat. Um das zu erreichen, lässt der frühere Bayern-Trainer neuerdings im 5-3-2-System spielen - vielleicht auch aus Rücksicht auf Huntelaar, der die Holländer nach den Vize-Weltmeisterschaften 1974, 1978 und 2010 gerne zum ersten Titel schießen würde.
Chile
Fragt man die Experten nach ihren Geheimfavoriten auf den Titel, nicht selten wird Chile genannt. Was auf den ersten Blick überraschend klingt, scheint bei genauerer Betrachtung gar nicht mehr so abwegig: Mit Jorge Sampaoli verfügt 'La Seleccion' über einen Trainer, der in der Lage ist, sein Team perfekt auf den Gegner einzustellen, dazu hat die Truppe aus Südamerika einige Einzelspieler in ihren Reihen, die den Unterschied machen können. Allen voran ist da Alexis Sanchez, Stürmer des FC Barcelona. "Er hat die Klasse, um der Star dieser WM zu werden und die Menschen in Chile glücklich zu machen", sagt Sampaoli über den 25-Jährigen, der perfekt in das taktische System passt.
Er lebt das Offensiv-System mit Pressing und schnellem Umschaltspiel vor, ackert dabei genauso unermüdlich wie Arturo Vidal. Der Mittelfeldspieler von Juventus Turin ist der andere große Star der Chilenen, doch ob er überhaupt spielen kann, ist wegen seiner Meniskusprobleme noch unklar. Läuft Chile in Bestbesetzung auf, kann die Truppe jedem Gegner die Stirn bieten. Im März dieses Jahres biss sich die DFB-Elf die Zähne an der perfekt eingestellten Sampaoli-Elf aus, hatte beim 1:0-Erfolg am Ende nur Glück, dass die Gäste ihre Chancen liegen ließen. Davor gewannen Sanchez & Co. 2:0 in Wembley gegen England - für den Torjäger nicht der einzige Grund, warum Chile nach 1998 und 2010 wieder die Runde der besten 16 Mannschaften erreichen wird: "Wir kennen die klimatischen Bedingungen besser als die europäischen Teams." Reicht das, um Holland oder sogar die Spanier hinter sich zu lassen?
Australien
Wer richtig Geld machen möchte, könnte Haus und Hof auf ein Weiterkommen der Socceroos in der Todesgruppe B setzen. Er sollte sich hinterher aber nicht beschweren, wenn der Einsatz weg ist, denn im Vergleich zu Spanien, Holland und Chile ist Australiens Auswahl allenfalls drittklassig aufgestellt. Die Helden der Vergangenheit wie Mark Schwarzer oder Harry Kewell haben ihre Fußball-Schuhe an den Nagel gehängt. Einzig Stürmer Tim Cahill, der seine Karriere bei den New York Red Bulls ausklingen lässt, ist noch ein Spieler mit Rang und Namen.
Angeführt wird Australien von Kapitän Mile Jedinak. "Es ist eine privilegierte Position und er verdient diese Auszeichnung nach der unglaublichen Arbeit, die er bei Crystal Palace geleistet hat in der härtesten Liga der Welt - der Premier League", sagt Trainer Ange Postecoglou, der den bisherigen Kapitän Lucas Neill (FC Watford) wegen Form- und Fitnessproblemen zuhause lässt. Mit dabei sind Borussia Dortmunds Ersatzkeeper Mitchell Langerak und Mathew Leckie, der vom FSV Frankfurt nach Ingolstadt wechselt. Wir halten fest: Es sind Teilzeit- oder Zweitliga-Kicker, die das Wunder für Australien vollbringen sollen.
Dass es wahr wird, davon werden wohl auch die kühnsten Optimisten nicht ausgehen. Das einzige Fünkchen Hoffnung auf ein Weiterkommen macht ein Blick auf die WM 2006: Den späteren Weltmeister hielten die Männer aus 'Down Under' im Achtelfinale bis zur Nachspielzeit in Schach, ehe Francesco Totti zum 1:0 für Italien traf. Wer daraus seinen Optimismus ziehen möchte, der kann auch den einen oder anderen Euro auf einen Achtelfinal-Einzug der Postecoglou-Elf setzen - die Quote dürfte jedenfalls eine gute Rendite versprechen.
Quelle: ntv.de, sport.de